Untersuchung zur Ahr-Flut „Wenn das keine Katastrophe ist, weiß ich es auch nicht“

Update | Mainz · Die juristische Aufarbeitung der Flutkatastrophe zieht sich. Der Generalstaatsanwalt begründet das mit immer neuen Fragen. Im Untersuchungsausschuss geht es auch um Ex-Landrat Pföhler und Polizeivideos aus der Flutnacht.

 Das Standbild aus einem Video zeigt Häuser, das in der Flutnacht an der Ahr von Wasser eingeschlossen sind.

Das Standbild aus einem Video zeigt Häuser, das in der Flutnacht an der Ahr von Wasser eingeschlossen sind.

Foto: dpa/---

Ein Ende der Ermittlungen zur Flutkatastrophe im Sommer 2021 an der Ahr mit mindestens 134 Toten ist noch nicht absehbar. Hinreichende Anhaltspunkte für eine Ausweitung der Ermittlungen auf den Präsidenten der Landesbehörde ADD, Thomas Linnertz (SPD), sowie auf Polizisten, Feuerwehrleute oder Beschäftigte des Lebenshilfehauses in Sinzig gebe es bisher auch nicht, sagte Generalstaatsanwalt Harald Kruse am Freitag im Untersuchungsausschuss Flutkatastrophe des rheinland-pfälzischen Landtags in Mainz. „Es stehen immer noch sehr wesentliche Teile der Ermittlungen aus.“

In der ersten Sitzung des Gremiums im neuen Jahr übernahm der Leiter des Lagezentrums des Innenministeriums die Verantwortung dafür, dass einige wichtige Akten zunächst nicht an den Ausschuss weitergeleitet wurden. Dabei seien Fehler passiert, sagte Heiko Arnd. Wenn dadurch der Eindruck entstanden sei, er habe etwas absichtlich vertuschen wollen, dann tue ihm das leid. In der Nacht der Flutkatastrophe seien erste Fotoaufnahmen vom Ahrtal und schriftliche Lageberichte eingegangen. Die Bilder seien an das Innenministerium und die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) weitergeleitet worden, sagte Arnd. Es sei getan worden, was in so einer Lage getan werde.

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Ex-Ahr-Landrat Pföhler

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den ehemaligen Ahr-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und einen ehrenamtlichen Mitarbeiter des Krisenstabs des Kreises wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen. Pföhler hatte die Vorwürfe zurückgewiesen. Die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Tod von zwölf Bewohnerinnen und Bewohnern des Lebenshilfehauses in Sinzig sind ebenfalls Gegenstand dieses Verfahrens.

Die Staatsanwaltschaft gehe davon aus, dass Pföhler die „politisch-administrative Verantwortung“ für die Einsatzleitung nicht an den ehrenamtlichen Mitarbeiter des Krisenstabes habe delegieren dürfen, sagte Kruse. Pföhler habe sich am Abend des 14. Juli und in der Nacht zwar nicht die ganze Zeit in der Zentrale des Krisenstabs aufgehalten, sei aber telefonisch erreichbar gewesen und habe auch Entscheidungen getroffen.

„Unser Bild verdichtet sich, aber ganz scharf sind die Umrisse noch nicht“, fasste der Generalstaatsanwalt den aktuellen Ermittlungsstand zusammen. Er schilderte die Schwierigkeiten der Ermittlungen. „Das Verfahren ist strafrechtlich alles anders als trivial.“ Da tauchten Tausende Fragen auf, zu denen es wenige verbindliche rechtliche Feststellungen gebe. Das beginne mit der Frage, „was ist Fahrlässigkeit in einer Katastrophe und was ist nicht Fahrlässigkeit in einer Katastrophe?“

Hubschrauber-Aufnahmen aus der Flutnacht

Zu den Aufnahmen in den zu spät aufgetauchten Hubschraubervideos der Polizeistaffel von der Flutnacht sagte Kruse: „Das ist eine Katastrophe. Wenn das keine Katastrophe ist, weiß ich es auch nicht.“ Der ehemalige Leiter der Staatsanwaltschaft Koblenz, der seit Jahresanfang Generalstaatsanwalt ist, sagte: Es sei „ziemlich gesichert, dass es sich nicht um ein typisches Hochwasser“ gehandelt habe. „Sondern wir hatten es mit einem Flut-Geschehen zu tun.“ In der Flut habe es einen „starken schwallartigen Druck gegeben, der das Tal nach unten durchlaufen hat“.

„Wir empfinden die Arbeit des Untersuchungsausschusses als sehr hilfreich“, betonte Kruse. Es habe offenbar niemanden in Rheinland-Pfalz gegeben, der einen Überblick über die Lage gehabt habe.

Zur Frage nach einer etwaigen Ausweitung der Ermittlungen auf ADD-Präsident Thomas Linnertz sagte der Generalstaatsanwalt, die Ermittler hätten inzwischen sehr viele Erkenntnisse über den Ablauf der Katastrophe gesammelt. Für einen Anfangsverdacht gegen Linnertz müsste klar sein, dass dieser verpflichtet gewesen wäre, in der Flutnacht die Einsatzleitung an sich zu ziehen, und dass er Handlungsoptionen gehabt hätte. Die Flutwelle habe Bad Neuenahr-Ahrweiler zwischen 23.00 und 23.15 Uhr erreicht. Es stelle sich auch die Frage, was man zu einem so späten Zeitpunkt noch hätte tun können, sagte er weiter. Linnertz soll in der nächsten Woche erneut vor dem Ausschuss aussagen.

Es habe sich bei den Ermittlungen im Zusammenhang mit den Toten in Sinzig bislang auch kein Anfangsverdacht gegen ein Mitglied der Feuerwehr und eine Nachtwache im Haus der Lebenshilfe ergeben, sagte Kruse weiter. Die Vorstellung, dass das Wasser der Ahr das Haus erreichen könnte, „war nicht vorhanden“.

Oberstaatsanwältin Ute Adam-Backes las einen ausführlichen Bericht über die Ermittlungen vor. Die Behörde habe sich auch damit befasst, dass das zuständige Landesamt vor der Katastrophe eine zweite Nachtwache wegen der Größe der Einrichtung abgelehnt habe. Untersucht worden sei auch die im Untersuchungsausschuss unter anderem mit Gutachten beleuchtete Frage, ob die Leitung in der Flutnacht automatisch auf die ADD übergegangen sei, sagte die 58-Jährige. Dies sei aber noch nicht geklärt.

Dreyer erneut im Untersuchungsausschuss

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) wird am 24. März zum zweiten Mal vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Flutkatastrophe aussagen. Wie der Ausschussvorsitzende Martin Haller (SPD) vor Beginn der öffentlichen Sitzung am Freitagmorgen sagte, werde Dreyer zu 15 Punkten befragt.

Es gehe unter anderem um ihre Kenntnisse zum Lagebild und zur Kommunikation innerhalb der Landesregierung, aber auch um die Rolle der Regierungschefin während der Phase drei der Aufarbeitung. Damit ist die Zeit nach der Flutnacht und bis zum 6. August gemeint.

Dreyer hatte bereits einmal im April vorigen Jahres den Abgeordneten für rund zwei Stunden Rede und Antwort gestanden. Dabei hatte die Ministerpräsidentin erklärt, am Abend des 14. Juli 2021 sei nicht absehbar gewesen, dass die Flut so schreckliche Folgen haben würde und dass der Katastrophenschutz in Teilen nicht funktioniert habe.

Der Untersuchungsausschuss will aufklären, wie es zu der Flutkatastrophe kommen konnte und welche Fehler gemacht worden sind. In der Phase drei geht es um die Hilfen und deren Koordination nach der Katastrophe. Insgesamt starben im Ahrtal mindestens 134 Tote. Am Rande der Sitzung an diesem Freitagmorgen hieß es, dass nach derzeitigem Stand der Aufarbeitung der Untersuchungsausschuss am 24. März seine Beweisaufnahme abschließen könnte. Definitiv sei das allerdings noch nicht.

Flut-Helfer sagen im Untersuchungsausschuss aus

Am Freitagnachmittag stehen die Hilfsangebote privater Helfer und deren Koordination im Mittelpunkt der Befragungen der Abgeordneten. Unter den drei dazu geladenen Zeugen ist Marc Ulrich, einer der Gründer des Helfer-Shuttles, und der Unternehmer Markus Wipperfürth.

Zum Abschluss (ab 16 Uhr) werden ein Fachmann der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes und ein Professor der Hochschule für Ökonomie und Management aus Gütersloh gehört. Bei den beiden Sachverständigen geht es um Umfrageergebnisse aus den Befragungen von Einsatzkräften über die Katastrophenbewältigung im Kreis Ahrweiler.

(ga/dpa)
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