Streik der Lokführer Bahn-Pendler müssen gute Nerven beweisen
BONN/SIEGBURG · Miriam Barowski hat es kalt erwischt. Die 19-Jährige hatte eine Freundin in Bonn besucht und will mit dem Zug zurück nach Münster, wo sie im dritten Semester studiert. Beinahe ungläubig starrt sie auf die Anzeigetafel, die über dem Bahnsteig 1 auf dem Bonner Hauptbahnhof hängt.
Der IC 133 nach Norddeich Mole über Münster fällt aus. "Ich schreibe morgen eine wichtige Klausur. Ich muss unbedingt nach Hause", sagt sie. Verständnis für die Streikenden? "Haben die nicht erst kürzlich gestreikt?"
Der Bahnmitarbeiter, den sie nach einer anderen Verbindung fragt, zuckt mit den Schultern "Tut mir leid, ab 14 Uhr wird gestreikt", sagt er. Barowski zeigt auf die Uhr, es ist kurz nach elf. "Und warum fällt der Zug jetzt schon aus?", fragt sie entnervt.
Die Bahn habe einen Sonderfahrplan in Kraft gesetzt, damit durch den Streik Züge nicht willkürlich auf den Bahnhöfen verteilt stehen bleiben, erklärt er geduldig. Schließlich sollen nach Streik-Ende alle Züge wieder planmäßig fahren. Dann schickt der Schaffner die Studentin zum Infostand am Reisezentrum.
Dort hat sich eine lange Schlange gebildet. Auch Zeyp Polat (54) und ihr Sohn Eren (18) haben sich eingereiht. Mutter und Sohn waren in Sankt Augustin im Krankenhaus, wo der herzkranke Junge untersucht wurde. Wie beide wieder ins heimatliche Emmerich kommen, ist ihnen schleierhaft. "Jetzt fahren wir erst einmal nach Köln. Dann sehen wir weiter", entscheidet die 54-Jährige.
Gerade hat sie erfahren, dass ein Zug der Mittelrheinbahn (MRB) um 14.31 Uhr in Richtung Domstadt fahren wird. Die MRB ist ein privates Zugunternehmen und wird nicht bestreikt. Der 18-jährige Mert schließt sich ihnen an. Der junge Mann kommt von einer Fortbildung an der Akademie der Bundespolizei in Swisttal und will nun zurück nach Wesel. "Das ist ja toll", kommentiert er. "Warum streiken die ausgerechnet in den Herbstferien?" Ein älterer Mann mischt sich ein. "Die Lokführer tragen eine so hohe Verantwortung. Ich verstehe gut, dass sie mehr verdienen wollen" , meint er.
Drei Stunden später. Auf Gleis 2 wartet der ICE nach Berlin-Ostbahnhof. "Fährt der denn?", fragt ein Mann aufgeregt den Schaffner. Ja, der Zug fährt. Der Lokführer ist ein Beamter und die streiken nicht. Hastig greift der Mann seinen Koffer und spurtet zur Rolltreppe. Der ICE fährt planmäßig um 14.25 Uhr ab. Kurz darauf trifft der Mittelrheinzug auf Gleis 1 ein. Die Fahrgäste drängeln sich vor den Türen. Zurückbleiben will keiner.
Dann wird es leerer auf den Bahnsteigen. Mittlerweile hat es sich wohl herumgesprochen, dass kaum noch Züge fahren. Dafür melden die Stadtwerke Bonn übervolle Wagen der Stadtbahnlinien 16 und 18.
Geduld ist auch auf der Strecke der Voreifelbahn RB 23 zwischen Bonn und Euskirchen gefragt. Immer wieder fallen Züge aus. Gerd Piesker aus Witterschlick nimmt es gelassen. "Ich habe gar nicht mehr an den Streik gedacht", sagt der 67-Jährige. "Ich nehme jetzt den Bus nach Bonn, die Verbindung ist auch gut."
Marcel Lehnen, der am Bahnhof in Meckenheim eine halbe Stunde länger auf den Zug warten muss, ärgert sich ebenfalls nicht. Dass sein Zug um 14.20 Uhr ausgefallen ist, sei nicht dramatisch. "Es ist kein Problem, wenn ich nicht zur Arbeit muss."
Am Siegburger Bahnhof bleibt die Anzeigetafel auf 13.59 Uhr stehen. Darauf angekündigt ist der Regionalzug nach Düren, der aber nicht kommt. Fluchend macht ein junger Mann wieder kehrt Richtung Ausgang. Er wusste zwar vom Streik, hatte aber darauf vertraut, dass er - wenn auch nur eine Minute vor Streikbeginn - noch planmäßig befördert würde. Das dachte auch Leila Fachat (34) vom Integrationsrat der Stadt Sankt Augustin. Sie musste zu einem dringenden Termin nach Köln. Dort wollte die Medizinerin einen Sponsorenvertrag unterzeichnen.
"Das Geld haben wir zum Glück schon", sagte sie. Aber dennoch sei das Ganze eine Katastrophe. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als ein Taxi zu nehmen. "Ich finde das von der Gewerkschaft respektlos den Fahrgästen gegenüber", sagt sie genervt. Viele weitere Passagiere, die noch kurz vor der Arbeitsniederlegung auf das Einlaufen ihres Zuges gehofft hatten, erfahren per Durchsage vom Ausfall. Der Satz "Nicht schon wieder" ist vor allem von Reisenden, die regelmäßig den Zug nehmen, immer wieder zu hören.
Verständnis für die Streikenden haben dagegen zwei Piloten, die nach Dienstschluss auf den ICE Richtung Frankfurt warten. "Wenn Unternehmen Millionen-Gewinne machen, müssen auch die Angestellten davon profitieren", meinten die Flugkapitäne. Um Rechte durchzusetzen, sei der Streik "nun einmal die Ultima Ratio". Ob sie an dem Tag ihren Zielort erreichten, blieb unklar. "Es ist durchaus möglich, dass der Zugführer die Lok in Montabaur abstellt", meinte ein Siegburger DB-Sicherheitsbeamter.
Gelassen reagierte Studentin Laura Fischer (25) aus Siegburg. Eigentlich wollte sie mit einer Kommilitonin aus Siegen zur Uni nach Köln fahren. "Dann mach ich halt heute mal frei", sagt sie. Die Freundin sagt ihr am Handy, dass sie mit dem Auto nach Siegburg gebracht wird. Hier wollen beide den Abend verbringen. Der Streik kommt also gar nicht so ungelegen. "Bei schlechtem Wetter hätte ich mich wohl mehr geärgert", sagte Laura Fischer.