Demografie in Deutschland Barrierefreiheit wird zum Muss

DÜSSELDORF · Schon der Besuch beim Zahnarzt kann für Rollstuhlfahrer in NRW zum unüberbrückbaren Hindernis werden. Treppen, kein Aufzug, keine geeignete Toilette.

 Barrierefreiheit wird zum Muss.

Barrierefreiheit wird zum Muss.

Foto: Symbolfoto: dpa

Auch sechs Jahre nach Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik klafft zwischen dem rechtlichen Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe und der Wirklichkeit eine gewaltige Lücke.

In der öffentlichen Debatte dreht sich zurzeit alles um die Probleme der schulischen Inklusion, also das gemeinsame Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern. Behinderte klagen aber auch über Nachteile auf dem Arbeitsmarkt. Seit 2010 ist die Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten um zehn Prozent gestiegen - während sie insgesamt um vier Prozent sank.

Der NRW-Landesvorsitzende des Sozialverbands VdK, Karl-Heinz Fries, kritisierte, dass 24 Prozent der Arbeitgeber mit mindestens 20 Mitarbeitern trotz Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe keinen Behinderten beschäftigen. Dabei verfügt die Hälfte der schwerbehinderten Arbeitslosen in NRW über eine abgeschlossene Ausbildung - bei nichtbehinderten Arbeitslosen hingegen nur ein Drittel. Dennoch geht in NRW gerade jeder Dritte mit Schwerbehinderung von 15 bis 64 Jahren einem Beruf nach.

Fries mahnte, dass Krankheit und Behinderung jeden treffen können. Nur vier Prozent der 1,77 Millionen Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung waren von Geburt an gehandicapt. Die Gesellschaft altert: In den letzten fünf Jahren wurden in NRW 450.000 Rollatoren verkauft, derzeit gibt es 350.000 Rollstühle. Da wird die Barrierefreiheit zum demografischen Muss.

Längst herrscht in NRW Mangel an bezahlbaren und barrierefreiem Wohnraum. Schon heute fehlen 540 000 barrierearme Wohnungen - das Investitionsvolumen schätzt das Pestel-Institut auf 8,4 Milliarden Euro. Danach mangelt es allein in Köln an 25.000 entsprechende Wohnungen. Dass auch Hunderte öffentliche Gebäude in NRW nicht stufenfrei, blinden- und gehörlosengerecht sind, ärgert VdK-Landesgeschäftsführer Thomas Zander. Dieser fordert DIN-Vorschriften und verbindliche Regeln in der künftigen NRW-Bauordnung für öffentlich zugängliche Gebäude.

Außerdem sollen Wohngebäude mit mehr als zwei Wohnungen im Neu- und Umbau mindestens eine barrierefreie Etage besitzen. Der VdK verlangte mehr Kontrollen und Sanktionen bei Verstößen gegen die Barrierefreiheit. Gesetzliche Vorgaben für den öffentlichen Nahverkehr gibt es bereits. Bis 2022 müssen Busse und Bahnen "vollständig barrierefrei" sein. Noch gilt allerdings ein Mitnahmeverbot für "E-Scooter" im ÖPNV. Reformbedarf sieht der VdK bei den Fernbussen - die sind meist nicht barrierefrei. "Da kümmert sich keiner", klagte Fries.

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