Kommentar zum Fall Sami A. Bedrohter Rechtsstaat

Meinung | Bonn · Mit seiner Veranlassung, die Richter in Gelsenkirchen nicht über den Abschiebeflug nach Tunesien zu informieren, hat sich NRW-Integrationsminister Joachim Stamp über den Rechtsstaat gestellt und das Gericht missachtet, sagt GA-Redakteur Nils Rüdel.

 Symbol der Gerechtigkeit : Eine Statue der Justitia mit Augenbinde und Waage in der Hand.

Symbol der Gerechtigkeit : Eine Statue der Justitia mit Augenbinde und Waage in der Hand.

Foto: dpa

Eigentlich ist es selbstverständlich. Jeder Mensch ist vor dem Gesetz gleich. Gerichte kontrollieren die Verwaltung, und ihre Urteile sind umzusetzen. Wem ein Urteil nicht passt, dem stehen Rechtsmittel offen. Das macht den Rechtsstaat aus. Im Fall Sami A. allerdings scheint nichts mehr selbstverständlich. Da legen ausgerechnet zwei Politiker Hand an den Rechtsstaat, die ihn qua Amtseid schützen und bewahren sollen. Joachim Stamp, NRW-Integrationsminister von der selbst ernannten Rechtsstaatspartei FDP, und der CDU-Innenminister in Düsseldorf, Herbert Reul.

Stamp, so das Oberverwaltungsgericht Münster, hat die Richter in Gelsenkirchen hinters Licht geführt. Auf seine Veranlassung hin verschwiegen die Behörden, dass ein Abschiebeflug für A. nach Tunesien bevorstand – obwohl die Richter noch nicht entschieden hatten, ob die Abschiebung legal ist. Als sie das verneinten, war A. weg. Das ist keine clevere Trickserei, wie viele anerkennend meinen. Es ist eine bewusste Missachtung des Gerichts.

Das macht auch Reul, indem er den Richtern praktisch mangelnden Gehorsam gegenüber dem Volkswillen vorwirft. „Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen“, sagte er. Das erinnert fatal an Donald Trump, der 2017 gegen die „sogenannten Richter“ wetterte, die seinen Einreise-Bann gestoppt hatten. Der Weg, den Reul hier beschreitet, ist finster und rutschig.

Politik muss sich Gerichten fügen

Nein. Richter entscheiden unabhängig und auf Grundlage von Gesetzen. Die Politik muss sich dem fügen – nicht umgekehrt. Im Fall Sami A. heißt das: Die Abschiebung war rechtswidrig. Punkt. Der Rechtsstaat lässt sich nicht mal eben beiseiteschieben, wenn es gerade opportun ist.

Stamp, Reul und andere mögen aus öffentlichem Druck und dem Motiv heraus handeln, die Bevölkerung vor Leuten wie A. zu schützen. Schließlich geht es um einen Mann, dem die Behörden einen islamistischen Anschlag zutrauen, der sogar Leibwächter des Terrorfürsten Osama bin Laden gewesen sein soll.

Die wenigsten wollen so jemanden hier haben. Und es mag schwer erträglich sein, dass Richter A.s Abschiebung verbieten, weil sie befürchten, er werde in Tunesien gefoltert. Darum muss die Politik aber in einem rechtsstaatlichen Verfahren streiten. Dazu hätte die Bundesregierung etwa die von den Richtern geforderte Versicherung Tunesiens beibringen müssen, dass A. dort keine Folter droht. Dann wäre die Abschiebung vielleicht von Anfang an in Ordnung gewesen.

Die Flüchtlingskrise, vielmehr die zunehmend hysterische Debatte darum, hat bereits schweren Schaden im Land angerichtet. Sie hat unsere Sprache vergiftet, unsere Köpfe verwirrt und unsere Herzen verhärtet. Wir müssen verhindern, dass als Nächstes der Rechtsstaat dran ist.

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