Sondierung Bekommen wir eine neue Groko?

BERLIN · CDU, CSU und SPD gehen mit „dicken Brocken“ in die entscheidende Gesprächsphase. Die Union will diese Koalition, doch die SPD, die durch einen Sonderparteitag muss, macht es ihr mit der angestrebten Bürgerversicherung sehr schwer.

 Schauplatz der Sondierungsrunde am Donnerstag: die SPD-Zentrale. Greenpeace-Aktivisten hatten am Abend zuvor ihre Forderungen zum Klimaschutz an die Fassade des Willy-Brandt Hauses in Berlin projiziert.

Schauplatz der Sondierungsrunde am Donnerstag: die SPD-Zentrale. Greenpeace-Aktivisten hatten am Abend zuvor ihre Forderungen zum Klimaschutz an die Fassade des Willy-Brandt Hauses in Berlin projiziert.

Foto: GORDON WELTERS/GREENPEACE GERMANY/DPA

Dann hinein in dieses Finale, erster Teil, womöglich zugleich der letzte. Es regnet, es stürmt, es ist schlicht ungemütlich. Passt zur Lage. In dieser Nacht wollen sie sich einigen: Einstieg in Koalitionsverhandlungen über eine „Groko“ – Ja oder Nein? Angela Merkel steigt um 9.32 Uhr aus ihrer gepanzerten Dienstlimousine. Sie bleibt vor dem aufgestellten Mikrofonbaum im Durchgang des Willy-Brandt-Hauses stehen: „Es wird ein harter Tag werden.“ Aber die potenziellen Partner wüssten, „dass wir Lösungen finden müssen“. Na klar, einige „dicke Brocken“ müssten noch aus dem Weg geräumt werden, sagt die CDU-Vorsitzende auf ihrem Weg in die SPD-Zentrale. Merkel wird sehr bald spüren, dass dieser 11. Januar des neuen Jahres ähnlich wie der 19. November vergangenen Jahres, als die FDP kurz vor Mitternacht ihren Ausstieg aus den Jamaika-Sondierungen meldete, ein sehr harter Tag werden wird. Die Groko hängt über viele Stunden an einem seidenen Faden.

Drei Minuten vor Merkels Eintreffen beim politischen Wettbewerber hatte SPD-Chef Martin Schulz noch einmal für den Einstieg in eine neue Phase in Europa getrommelt. „Wir müssen klarmachen, dass eine neue Bundesregierung vor allem einen neuen Aufbruch für Europa einleiten muss.“ Es gehe um eine Stärkung des europäischen Projektes, um mehr Zusammenhalt der Gruppe von bald 27 Staaten, aber auch „auf der nationalen Ebene“, gerade in einer Zeit, in der Gesellschaften auseinanderdrifteten.

Gegenüber dem Willy-Brandt-Haus fordern Demonstranten auf einem Plakat: „Make Europe great again.“ Europa wieder größer machen – das wäre ganz nach Schulz' Vorstellung, der beim SPD-Parteitag im Dezember in Berlin seine Idee der Vereinigten Staaten von Europa ausgerufen hatte, was CDU und vor allem CSU sofort als Idee aus Absurdistan verworfen haben. „Wir müssen klar machen, dass eine neue Bundesregierung vor allem einen neuen Aufbruch für Europa einleiten muss“, so Schulz am Donnerstag.

In zwei Wochen muss er noch einmal vor die Basis treten: SPD-Sonderparteitag in Bonn, wenn, ja wenn, in der Nacht zu Freitag eine Einigung mit der Union über eine ausreichend breite Basis einer künftigen Koalition erreicht werden kann. Nach Meldungen diverser Unterhändler stand es zuletzt Spitz auf Knopf. Alles möglich, auch ein Scheitern. Dann müssten Merkel wie auch CSU-Chef Horst Seehofer mit der Erkenntnis leben, auch diese Sondierungen nicht erfolgreich ins Ziel gebracht zu haben. Seehofer hatte am Morgen nach Schulz und Merkel das Willy-Brandt-Haus betreten. Ohne Worte, naja fast: „Wir wollten schweigen“, erinnerte der CSU-Chef, gerade aus der Klausur in Kloster Seeon von einem Ort früherer Schweigegelübde zurück, an eine Verabredung, die nicht lange gehalten hat. Keine Wasserstandsmeldungen, keine Alleingänge, keine Durchstechereien.

Seehofer hat bis heute keine Erklärung, warum der potenzielle Jamaika-Partner FDP in jener November-Nacht 2017 die Sondierungen platzen ließ. Er möchte es kein zweites Mal erleben – dieses Mal mit der SPD. Die Union könnte der SPD beispielsweise bei deren Wunsch nach Einführung einer Solidarrente entgegenkommen. Für Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, aber am Ende weniger als die Grundsicherung an Rente haben, könnte der Staat die Rente auf das Niveau der Grundsicherung aufstocken. Dafür bekäme die Union im Gegenzug die Mütterrente. Doch die SPD will einen ganz „dicken Brocken“: die Bürgerversicherung. Seehofer hatte dazu im Vorfeld gesagt: „Das ist mit uns nicht zu machen.“ Obwohl die SPD offenbar bereit ist, der Union beim Flüchtlingsnachzug entgegenzukommen, der derzeit ausgesetzt ist.

Merkel verhandelt. Durch eine nächste Nacht. Ohne Annegret Kramp-Karrenbauer, Mitglied im Sondierungsteam der CDU. Die saarländische Ministerpräsidentin war am frühen Morgen auf der Autobahn in Brandenburg verunglückt, als ihr Wagen auf einen Lastwagen aufgefahren war. Außer ihr erlitten auch der Fahrer und zwei Personenschützer Verletzungen. Kramp-Karrenbauer meldete sich per Twitter: „Ich hoffe, das Krankenhaus morgen verlassen zu können, bleibe eine Nacht zur Beobachtung.“

Die Nacht zur Beobachtung – das gilt auch für die Groko-Sondierungen. Viel Arbeit auf der Intensivstation. Ernste Lage. Chefarzt-Runde mit Merkel, Seehofer und Schulz. Alleine würden sie es wohl schaffen, was auch für die Fraktionschefs Volker Kauder, Alexander Dobrindt und Andrea Nahles gilt. Aber es hakt in den Arbeitsgruppen. „Der Fortschritt ist eine Schnecke“, hatte SPD-Vize Ralf Stegner am Morgen noch getwittert. Merkel und Seehofer kommt es vor wie Dejà-vu. Alles schon erlebt. Bitte nicht schon wieder.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort