Laufzeitverlängerung von Atomreaktoren Belgien verstößt gegen EU-Recht

Antwerpen · Belgien hat ohne Umweltprüfungen die Laufzeit von zwei umstrittenen Atomreaktoren verlängert. Der Europäische Gerichtshof sagt nun: So nicht. Müssen die Kraftwerke möglicherweise schon bald vom Netz?

Dampf steigt aus den Kühltürmen des Atomkraftwerks Doel des Stromversorgers Electrabel.

Foto: Oliver Berg/Archiv

Belgien hat mit der Laufzeitverlängerung der Atomreaktoren Doel 1 und 2 gegen EU-Recht verstoßen. Das entschied am Montag der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH). Die belgischen Behörden hätten die Genehmigung nicht ohne Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) erteilen dürfen, urteilte das Gericht. Diese müsse nun nachgeholt werden. Da das Kraftwerk an der belgisch-niederländischen Grenze liegt, müsse eine grenzüberschreitende Prüfung erfolgen. Ziel einer UVP ist es, die Auswirkungen einer Industrieanlage auf die Umwelt und den Menschen zu ermitteln.

Zwei belgische Vereinigungen, Inter-Environnement Wallonie und Bond Be ter Leefmilieu Vlaanderen, die sich für den Schutz der Umwelt einsetzen, hatten beim belgischen Verfassungsgerichtshof Nichtigkeitsklage gegen das Gesetz über die Laufzeitverlängerung erhoben. Der Gerichtshof übergab die Klage an den EuGH.

Anlagen sollten schon 2015 vom Netz gehen

Doel 1 und 2 sollten eigentlich 2015 abgeschaltet werden. Doel 1 wurde im Februar des Jahres tatsächlich heruntergefahren. Ende Juni genehmigte die belgische Regierung jedoch, die Stromerzeugung in den beiden Reaktoren fortzuführen – in Doel 1 für weitere zehn Jahre, bei Doel 2 verschob man die Stilllegung um fast zehn Jahre.

Trotz des Gerichtsentscheids bleiben die Reaktoren aber wohl zunächst in Betrieb. Belgien muss dafür allerdings deutlich machen, dass eine „schwerwiegende und tatsächliche Gefahr einer Unterbrechung der Stromversorgung“ besteht, sollten die Blöcke nun abgeschaltet werden. Mit einer solchen Begründung hatten die Behörden bereits die Fortführung von Doel 1 gerechtfertigt. Vor allem in den Wintermonaten wäre es sonst zu Engpässen gekommen, hieß es.

Die baugleichen Anlagen Doel 1 und 2 leisten zusammen rund 880 Megawatt und gingen 1975 ans Netz. Am Standort gibt es zudem noch den 1982 in Betrieb gegangenen Reaktor Doel 3 mit 1006 Megawatt und den 1985 gestarteten Reaktor Doel 4 mit 1033 Megawatt Leistung. Ein mittleres Atomkraftwerk mit einer Nennleistung von etwa 1400 Megawatt liefert jährlich elf Milliarden Kilowattstunden Strom für 3,5 Millionen Haushalte. Doel besitzt an der gesamten Stromerzeugungskapazität in Belgien einen Anteil von rund 15 Prozent.Belgien hat insgesamt sieben Atomreaktoren an zwei Standorten. Von Doel im Norden des Landes sind es rund 120 Kilometer zur Grenze von Nordrhein-Westfalen, vom zweiten Standort Tihange sind es weniger als 60 Kilometer. Beide Kraftwerke stehen immer wieder wegen Schäden und Störungen in der Kritik. Tihange 2 wurde erst Anfang Juli wie der ans Netz genommen. Der Reaktor war rund elf Monate heruntergefahren, nachdem im August 2018 bei Wartungsarbeiten marode Betonflächen entdeckt worden waren.

Aus Angst vor einer Atomkatastrophe hatte die Stadt Aachen bereits im Jahr 2017 Jodtabletten an die Bevölkerung verteilt. Diese verhindern, wenn zur rechten Zeit eingenommen, dass sich radioaktives Jod in der Schilddrüse ansammelt.