Hannelore Kraft Beliebt, aber nicht unumstritten

An diesem Dienstag ist Hannelore Kraft seit fünf Jahren als Ministerpräsidentin im Amt. Eine Leistungsbilanz.

 In der Familienpolitik punktet die Ministerpräsidentin: Hannelore Kraft beim Besuch in einer Tagesstätte in Oberhausen.

In der Familienpolitik punktet die Ministerpräsidentin: Hannelore Kraft beim Besuch in einer Tagesstätte in Oberhausen.

Foto: dpa

Gerade erst hat Hannelore Kraft wie jedes Jahr im sauerländischen Sundern ihr Sportabzeichen gemacht. In dieser Woche eilt die 54-Jährige auf ihrer Sommertour "NRW 4.0" durchs Land, um sich über den rasanten digitalen Wandel zu informieren. Die rot-grüne Landesregierung will den Anschluss an die "neue Zeit" nicht verlieren. Heute ist Hannelore Kraft seit fünf Jahren Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen. Die Opposition beklagt "fünf Jahre Stillstand". Rot-Grün lobt die eigene vorbeugende Politik. Die 54-jährige Ökonomin wurde 2000 in den Landtag gewählt. Bereits 2001 wurde sie Europaministerin, 2002 Wissenschaftsministerin im Kabinett Clement. Nach der Abwahl 2005 war Kraft fünf Jahre lang Oppositionsführerin im Landtag und ab 2007 SPD-Landesvorsitzende. Im Juli 2010 wurde die verheiratete Mutter eines Sohnes als Ministerpräsidentin vereidigt.

Plus

  • Persönlichkeit: In der Bevölkerung genießt die SPD-Politikerin deutlich höhere Sympathiewerte als ihr CDU-Herausforderer Armin Laschet. Bodenständig, direkt, mit dem unüberhörbaren Ruhrpott-Slang, findet Kraft Zugang zu den Menschen. Dass sie leicht reizbar ist, wenn etwas nicht so klappt, wissen Mitarbeiter und Abgeordnete. In der "Berliner Luft" fremdelt die Mülheimerin. Seit ihrer Erklärung, dass sie "nie, nie Kanzlerkandidatin" werden wolle, ist ihr Einfluss in der Bundespolitik geschrumpft. Dafür kann sich die Regierungschefin jetzt voll auf NRW konzentrieren.
  • Kita-/Studiengebühren: Mit der Streichung der Studiengebühren und dem beitragsfreien letzten Kindergartenjahr hat Kraft bei vielen Familien gepunktet. Ihr Versprechen "Kein Kind zurücklassen", der massive Ausbau der Betreuungsplätze in Kitas und der offene Ganztag in Schulen haben Kraft politisch Rückenwind verschafft.
  • Koalition: Die rot-grüne Koalition arbeitet seit fünf Jahren weitgehend störungsfrei. Das enge Verhältnis zwischen Kraft und ihrer grünen Stellvertreterin Sylvia Löhrmann ("Doppeltes Lottchen") funktioniert. Auch wenn die Grünen zuletzt beim Landesentwicklungsplan (LEP), der Polizeireform und beim Ausbau des schnellen Internets mangelnden Reformwillen der SPD beklagten, stimmt das Koalitionsklima.
  • Energiepolitik: Kraft hat die Energiepolitik zur Chefsache erklärt. In harten Verhandlungen hat Kraft gemeinsam mit Laschet durchgesetzt, dass die für NRW wichtige Kraft-Wärme-Kopplung stärker gefördert und eine zusätzliche Abgabe auf Braunkohle-Strom verhindert wurde.
  • Rolle in der Partei: Die Vorsitzende des größten SPD-Landesverbandes sitzt fest im Sattel und hat keine Gegenspieler. Den Vorwurf, sie sei nach 14 Jahren als Ministerin und Ministerpräsidentin amtsmüde, weist sie entschieden zurück. Kraft gönnt sich im "Ruhe-Modus" gelegentlich politische Auszeiten. Bisher regiert die Ministerpräsidentin weitgehend skandalfrei.

Minus

  • Finanzen: Trotz boomender Steuereinnahmen türmt Kraft den Schuldenberg von mittlerweile 140 Milliarden Euro seit Amtsantritt um weitere Milliarden auf. Der Regierungschefin fehlt der Mut zum Sparen. Während andere Länder Schulden tilgen, löst Kraft soziale Aufgaben mit vermeintlich guten Schulden. Drei Haushalte hat das Verfassungsgericht verurteilt.
  • Arbeitslosigkeit: Zwar ist die Arbeitslosenquote in NRW auf 7,9 Prozent gesunken. NRW ist aber zum Problemfall geworden, weil die Arbeitslosigkeit um 41 Prozent über dem Schnitt der westdeutschen Länder (5,6 Prozent) liegt. Damit hat NRW erstmals sogar Thüringen überholt. Vor allem der hohe Anteil der schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen belastet die Bilanz in NRW. Das Prognos-Institut bilanziert, dass NRW beim Wirtschaftswachstum weiter zurückgefallen ist.
  • Investitionen: NRW ist zum Stauland Nr.1 geworden, weil ausreichende Investitionen in Straßen, Brücken, Bus- und Bahnnetze fehlen. Aus Sicht von Experten gerät die Zukunftsfähigkeit in Gefahr, wenn der Ausbau von Flughäfen, Straßen, Gewerbe- und Wohngebieten an finanziellen und ökologischen Widerständen scheitert.
  • Bildung/Schulen: Kraft ist stolz darauf, dass sie seit 2010 knapp 140 Milliarden Euro in Kinder, Bildung und Familien investiert hat. Trotzdem schneidet NRW in Bildungsvergleichen weiter nur schwach ab. Beim Thema Inklusion gibt es laute Klagen über die schlechte Vorbereitung des gemeinsamen Lernens von behinderten und nicht behinderten Schülern. Mit der "Gängelung" der Hochschulen durch bürokratische Hürden hat sich Kraft keine Freunde gemacht.
  • Internet: Viel zu spät hat Kraft die Bedeutung der "Industrie 4.0" für den Standort NRW erkannt. Weil die Fördermittel in den Breitband-Ausbau nicht reichen, geraten Betriebe außerhalb der Ballungsräume unter Druck. Mit einer Imagekampagne versucht Kraft, verlorenen Boden beim schnellen Internet gutzumachen.
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