Ursula von der Leyen besucht das deutsche Seenotrettungskontingent Bewährungsprobe im Mittelmeer

CATANIA · Gleich kommt die Ministerin. Eine Ministerin aus Deutschland. Sehnsuchtsland Nummer eins in Europa. Die sechs Afrikaner sitzen auf durchsichtigen Plastikstühlen im Halbkreis unter Neonlicht in einem schmucklosen Raum der "Guardia Costiera", der italienischen Küstenwache, im Hafen von Catania auf Sizilien.

 Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit Fregattenkapitän Marc Metzger an Bord der Fregatte Schleswig-Holstein.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit Fregattenkapitän Marc Metzger an Bord der Fregatte Schleswig-Holstein.

Foto: dpa

Die Männer aus Eritrea, Nigeria, Gambia, Ghana und der Elfenbeinküste haben das geschafft, was Zehntausende Flüchtlinge nach ihnen auch wollen: Europa erreichen. Und jetzt kommt Ursula von der Leyen, um ihre "Geschichte" zu hören und von ihren Erfahrungen auf ihrer Flucht nach Europa.

Vor den Männern steht ein Strauß mit Sonnenblumen, im Rücken der Ministerin hängt an der Wand ein kleines Jesuskreuz. Barmherzigkeit ist für die EU wieder eine Tugend, seitdem die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Sondergipfel beschlossen haben, alles zu unternehmen, um den Tod im Mittelmeer zu verhindern. Es war eine Reaktion auf den Untergang eines überfüllten Flüchtlingsschiffes, bei dem mehr als 600 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind.

Wie viel Geld sie für die Überfahrt nach Europa bezahlt haben, darüber schweigen sich die sechs Afrikaner aus. Enoch Babajide Oliwasakin aus Nigeria sagt, er sei schlicht "gerettet" worden. Als wenn das so einfach wäre. Elvis Frimpong aus Ghana erzählt, er habe in Libyen Leute getroffen, die ihn mit nach Europa genommen hätten. Frimpong erzählt das so, als sei er mal eben per Anhalter von Magdeburg nach Hannover gefahren. 137 000 Menschen haben nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats seit Anfang dieses Jahres das Mittelmeer überquert und in Europa Zuflucht gesucht.

Sechs Männer, sechs Fluchtwege. Das Schicksal hat sie zusammengebracht. Bürgerkrieg, Repression, Armut, Verfolgung, pure Not. Europa hat nach dem Aufschrei wegen des Massensterbens im Mittelmeer dann doch beschlossen, nicht länger zuzusehen. Seit Juni läuft die EU-geführte Mission zur Seenotrettung im Mittelmeer (EUNAVFOR MED), für die Deutschland derzeit die Fregatte "Schleswig-Holstein" und den Versorger "Werra" stellt. Dazu kommen zwei Schiffe der italienischen Marine. Zusammen sollen sie ein Seegebiet so groß wie Deutschland überwachen.

Bis November hofft die Mission auf noch jeweils ein Schiff der britischen, belgischen und slowenischen EU-Partner. Das ist wenig genug. Dafür taucht, auch zur Aufklärung, noch ein griechisches U-Boot im Mittelmeer. Ausgerechnet Griechenland. Von der Leyen hat sich einen Tag vor dem einschneidenden Referendum in Griechenland aufgemacht, das deutsche Kontingent der EU-Seenotrettungsmission zu besuchen, das seinen Versorgungsstopp im Hafen von Catania dazu eigens einen Tag verlängert.

Von der Leyen sagt, Europa stehe derzeit wegen diverser Krisen vor einer Bewährungsprobe. Russische Nadelstiche an der Nato-Ostflanke, Staatsschuldenkrise in Griechenland, Flüchtlingsdrama im Mittelmeer. Die deutsche Verteidigungsministerin spricht von "Solidarität" und "Lastenteilung". Sie sagt: "Europa ist in diesen Tagen in einer Phase der Bewährung." Der alte Kontinent müsse auch zeigen, dass er für jene Werte stehe, die Europa zusammenhielten. Die Flüchtlinge zeigten, "dass Afrika, unser direkter Nachbar, uns zutiefst etwas angeht."

Die 250 Soldatinnen und Soldaten, die zu Ehren von der Leyens auf dem Deck der "Schlewsig-Holstein" angetreten sind, dürfen jetzt bequem stehen. "Ja bitte, rührt Euch, selbstverständlich", sagt die Ministerin, die in der sengenden Sonne zur Besatzung spricht. Knapp 5700 Menschen, darunter 400 Kinder, hat das deutsche Kontingent seit Anfang Mai gerettet, und dabei 1600 Flüchtlinge von diversen schiffsbrüchigen Holzbooten allein an Bord der "Schleswig-Holstein" genommen. Von der Leyen sagt, die deutsche Seenotrettung schenke der Politik Zeit, damit die Ursachen für Not und Flucht in den Herkunftsländern bekämpft werden könnten.

Wenn die Deutschen aus dem Missionshauptquartier Marschbefehl zur Rettung erhalten, rücken sie mit kleinen Booten an das Flüchtlingsschiff heran. Mit dabei sind ein Übersetzer und später auch ein "interkultureller Einsatzberater" im Range eines Majors. Dr. Diallo stammt aus Burkina Faso. Er spricht Französisch und Bambara, eine Sprache, die in den meisten Staaten Westafrikas verstanden wird. Die Anführer der Flüchtlingsgruppen müssen identifiziert werden.

Es kann acht, zehn und zwölf Stunden dauern, bis ein Flüchtlingsboot mit 500 Menschen geleert ist und die Getriebenen an Bord der "Schleswig-Holstein" sind. Der Führer des deutschen Einsatzkontingents, Kapitän zur See Thorsten Mathesius, sagt: "Wir sind hier, Menschen zu retten." Es sei schlicht eine "Seemannspflicht".

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