Wirtschaftswachstum in Deutschland Billiges Öl treibt die Konjunktur an

BERLIN · Sigmar Gabriel will sich vom Murren beim Koalitionspartner nicht beirren lassen. Seit 29 Tagen ist jetzt das Gesetz über einen flächendeckenden Mindestlohn in Kraft, Dokumentationspflichten für Arbeitgeber inklusive.

 Importiertes Konjunkturprogramm: Das billige Öl verschafft der deutschen Wirtschaft kräftig Luft.

Importiertes Konjunkturprogramm: Das billige Öl verschafft der deutschen Wirtschaft kräftig Luft.

Foto: dpa

Tags zuvor noch hat die Unionsfraktion den Beschluss gefasst, das "bürokratische Monster" Mindestlohn zu entschärfen und Dokumentationspflichten für Minijobber abzuschaffen, wenn ein Arbeitsvertrag mit eindeutig verabredetem Stundenlohn und Arbeitszeit vorliegt.

Doch Bundeswirtschaftsminister Gabriel will das Mindestlohn-Gesetz nach nur knapp einem Monat Gültigkeit nicht anfassen. "Ich rate dringend, jetzt erst einmal ein paar Wochen Erfahrungen zu sammeln mit dem Mindestlohn", sagte Gabriel gestern bei der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts.

Der von CDU, CSU und SPD beschlossene gesetzliche Mindestlohn ist für ihn einer von mehreren Faktoren für eine in diesem Jahr von der Bundesregierung erwartete Stärkung der Konsumnachfrage. Auch höhere Renten für Mütter und Väter, die vor 1992 geborene Kinder erzogen haben, werden laut Gabriel die Nachfrage ankurbeln, ebenso die Senkung des Krankenkassenbeitrages von 15,5 auf 14,6 Prozent. Zudem würden ein niedriger Ölpreis und ein schwacher Euro Nachfrage und Konjunktur anschieben.

Gabriel sieht die deutsche Volkswirtschaft ungeachtet "geopolitischer Turbulenzen" in guter Verfassung. Sie sei im vergangenen Jahr auf einen Wachstumskurs zurückgekehrt. Nach dem Jahreswirtschaftsbericht unter der Überschrift "Investieren in Deutschlands und Europas Zukunft" erwartet die schwarz-rote Bundesregierung, dass neben einer soliden Baukonjunktur auch die Investitionen der Unternehmen in Ausrüstungen nach einer Schwächephase im zweiten Halbjahr 2014 im Verlauf dieses Jahres spürbar anziehen.

Der Bund selbst investiert in den Jahren 2014 bis 2017 fünf Milliarden Euro in Verkehrswege. Von 2016 bis 2018 sollen außerdem zusätzliche zehn Milliarden Euro für öffentliche Investitionen in Infrastruktur und Energieeffizienz ausgegeben werden. Zusätzlich werde die Konjunktur durch zunehmende Exporte stimuliert. Gabriel nutzte die Gelegenheit und rief die neue Regierung in Griechenland auf, angesichts einer europäischen "Solidaritätsleistung" von insgesamt 278 Milliarden Euro fair zu den Bürgern anderer Euro-Staaten zu sein. Gabriel: "Ich kann mir keinen Schuldenschnitt vorstellen."

Nach Gabriels Worten ist in diesem Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent zu rechnen. Um den selben Wert war das Bruttoinlandsprodukt auch im Vorjahr gestiegen. Die Zahl der Beschäftigten werde in diesem Jahr nochmals um 170 000 auf insgesamt 42,8 Millionen steigen, nach einem Zuwachs um rund 370 000 Beschäftigte im Vorjahreszeitraum. Gabriel erwartet 2015 ein Plus von 3,2 Prozent bei Löhnen und Gehältern.

Nach Einschätzung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie reichen "Sondereffekte" wie kräftiger Konsum, schwacher Euro und niedriger Ölpreis für ein dauerhaftes Wachstum nicht aus. Der BDI forderte eine langfristig angelegte Investitionsoffensive. Die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Kerstin Andreae, kritisierte, dass Gabriel keine zusätzlichen neuen Investitionen wage.

"Dabei sind der niedrige Ölpreis und der schwacher Euro wie ein Jackpot für die Bundesregierung." Damit könnten Zukunftsinvestitionen in Bildung, Forschung, digitale Netze und Elektromobilität angeschoben werden. Die Linke forderte angesichts erwarteter Lohnsteigerungen von 3,2 Prozent auch eine Rentenanhebung, sonst trieben steigende Preise und Mieten immer mehr Rentner in die Armut.

Das Konsumklima erklimmt ein 13-Jahres-Hoch

Shoppen ist in, Sparen ist out: Billiges Öl und extrem niedrige Sparzinsen haben die Verbraucherstimmung auf ein neues Rekordniveau steigen lassen. Das Konsumklima sei im Januar so gut gewesen wie zuletzt vor 13 Jahren, berichtete das Marktforschungsunternehmen GfK gestern in Nürnberg. Die Bereitschaft der deutschen Haushalte zu größeren Anschaffungen habe ebenso wie die Einkommenserwartung im Januar kräftig zugelegt. Für Februar prognostizierte die GfK einen Konsumklimaindikator von 9,3 nach 9,0 Punkten im Januar.

Inzwischen sehen die Bundesbürger auch die deutsche Wirtschaft wieder im Aufwind. Nach wachsender Konjunkturskepsis im vergangenen Jahr mache sich Zuversicht breit. Zum zweiten Mal in Folge habe sich der Indikator für die Konjunkturerwartung spürbar verbessert - und zwar um 8 Punkte auf nun 22,5 Punkte im Monatsvergleich, berichtete die GfK. Auch bei ihrem Einkommen sind die Bundesbürger wieder zuversichtlicher. Mit 47,8 Punkten sei der Einbruch vom Dezember wieder nahezu wett gemacht worden.

Zum vierten Mal in Folge legte im Januar die sogenannte Anschaffungsneigung zu, der entsprechende Indikator stieg mit einem Plus von 8,3 Zählern auf 57,4 Punkte. Zuletzt hatte der Wert im Jahr 2006 ein ähnlich hohes Niveau erreicht. Damals stand eine Steuererhöhung ins Haus.

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