Katholische Kirche Gutachten zeigt Missbrauch im Bistum Aachen auf

Aachen · Das Bistum Aachen hat mit einem ungewöhnlich offenen Schritt eine Studie über sexuellen Missbrauch durch Geistliche vorgestellt: Die Präsentation wurde im Internet frei übertragen. Am Ende bekam Bischof Dieser den schweren, roten Band.

 Symbolbild

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Foto: dpa/Jochen Lübke

Als eines der ersten Bistümer in Deutschland hat das Bistum Aachen ein unabhängiges und ohne Einschränkungen erstelltes Gutachten über den eigenen Umgang mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs veröffentlicht. Die vom katholischen Bistum beauftragte Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl stellte am Donnerstag ihr Gutachten bei einer im Internet übertragenen Pressekonferenz vor. Der Aachener Bischof Helmut Dieser war dabei.

Bei den Recherchen wurden Hinweise auf 175 Missbrauchsopfer im Bistum Aachen bis 2019 gefunden. Die meisten seien Jungen zwischen 8 und 14 Jahren, sagte Gutachter Martin Pusch. Untersucht wurden Übergriffe von 81 Klerikern. Davon werden 14 näher beschrieben. In mehreren Fällen seien Priester, die sich des Missbrauchs schuldig gemacht und teilweise dafür Haftstrafen abgesessen hätten, wieder in Gemeinden eingesetzt worden. Dort hätten sie dann teilweise erneut Kinder missbraucht. Andere seien in ein anderes Bistum versetzt worden.

Die Zahlen spiegelten den Missbrauch nicht umfassend wider, sagte Pusch. Insgesamt seien die Reaktionen auf das Bekanntwerden der Hinweise auf Missbrauch unzureichend gewesen. Im Kern ging es um einen Zeitraum von 1965 bis 2019.

Kritisiert wurde der Umgang mit den Opfern. Während beschuldigte Kleriker mit unverdienter Milde hätten rechnen können, seien die Opfer vor 2003 kaum wahrgenommen worden. Wenn dies aber doch der Fall gewesen sei, dann in der Regel nicht wegen des ihnen zugefügten Leids, „sondern weil man sie als Bedrohung für das Bistum und die Institution Kirche ansah“, sagte Pusch.

Für die Reaktion der Bistumsführung auf die Missbrauchsfälle sehen die Gutachter „systemische Ursachen“, darunter die quasi unangreifbare Stellung des Priesters im Katholizismus als Mittler zwischen Gott und den Menschen und das problematische Verhältnis der Kirche zur Sexualität. Kirchliche Verantwortungsträger fühlten sich den Tätern näher als den Opfern. Es gebe eine besondere Sicht auf den Stand und eine „Wagenburgmentalität“ untereinander. Das Bild einer befleckten Kirche habe unbedingt vermieden werden müssen.

Persönliche Mitverantwortung sehen die Gutachter bei mehreren früheren Aachener Bischöfen, unter ihnen Bischof Klaus Hemmerle (1929-1994) und Bischof Heinrich Mussinghoff, der bis 2015 an der Spitze des Bistums stand. Hierbei gehe es aber nicht um eine Stigmatisierung, betonte der Gutachter Ulrich Wastl.

Die Gutachter betonten die Bedeutung, dass das Bistum Aachen sich zu einer Aufklärung entschlossen und diese unterstützt habe. Das Erzbistum Köln hatte bei der Kanzlei eine ähnliche Untersuchung in Auftrag gegeben. Mit dem Ergebnis ist Kardinal Rainer Maria Woelki jedoch so unzufrieden, dass er das Gutachten nicht veröffentlichen will und die Zusammenarbeit mit der Kanzlei beendete. Fragen dazu beantwortete Wastl nicht - er verwies auf die weiter bestehende Verschwiegenheitspflicht.

Aachens Bischof Dieser, der das Papier nicht vorher kannte, hatte die Öffentlichkeit zur Teilnahme an der im Internet übertragenen Veröffentlichung eingeladen. Im Anschluss erhielt Dieser einen dicken roten Band mit dem Gutachten. Das Bistum veröffentlichte den Link zu dem Gutachten und schaltete eine Hotline für Betroffene.

(dpa)
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