Aufteilung der Ministerien SPD-Duos fordern Komplett-Umzug von Bonn nach Berlin

Berlin · Eine Mehrheit der Bewerber-Duos um den SPD-Vorsitz hat sich für einen Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin ausgesprochen. Nur zwei Kandidaten-Gespanne wollen Bonn als Standort erhalten.

 Nach dem Bonn-Berlin-Gesetz von 1994 sollen mehr als die Hälfte der Mitarbeiter der Bundesministerien in Bonn arbeiten.

Nach dem Bonn-Berlin-Gesetz von 1994 sollen mehr als die Hälfte der Mitarbeiter der Bundesministerien in Bonn arbeiten.

Foto: Marius Becker

Sie waren in Bremen und in Baunatal, in Erfurt und Ettlingen. In Bernburg an der Saale wollten sich 150 Bürger anhören, an diesem Sonntag in Troisdorf sind es gesicherte 950. So viele Stühle hat die NRW-SPD in die Stadthalle stellen lassen. Viele Dutzend weitere Interessierte stehen hinter und neben den Reihen. Es ist die 19. von 23 Regionalkonferenzen, in denen sich die Bewerber für den SPD-Vorsitz dem Parteivolk vorstellen.

Wie bei jeder langen Tournee gibt es Ermüdungserscheinungen. Das Publikum steckt immer voller Erwartungen. Aber die Kandidaten auf der Bühne haben Tausende Kilometer auf dem Buckel, Wochenenden, die sie sich um die Ohren schlagen. Zudem sind sie noch Vizekanzler und Finanzminister, haben Regierungsämter oder andere Funktionen und Pflichten. Der eine oder andere aus der Riege sitzt, wenn er nicht am Mikrofon steht und über die eigenen Ziele reden darf, recht spannungslos auf seinem Barhocker.

Den Auftakt in Troisdorf machen "Gesine" (Schwan) und "Ralf" (Stegner). Man duzt sich unter Genossen. Stegner, bekannt für seine Sieben-Tage-Regenwetter-Miene, nutzt die Gelegenheit für eine selbstironische Bemerkung ("bekannt als Stimmungskanone"), bevor er einen Eckpunkt im sozialdemokratischen Meinungsspektrum markiert: Raus aus der großen Koalition, weg von der schwarzen Null im Bundeshaushalt und der Schuldenbremse in den Kommunen. Tosender Beifall. Mit der Absage an sparsames Haushalten und das Berliner Bündnis trifft der SPD-Fraktionschef in Schleswig-Holstein die Stimmungslage vieler engagierter Mitglieder, die von Rot pur träumen. Nur dass diese Positionen so ziemlich das Gegenteil von dem sind, was seine Partei im Bund vertritt und wofür Finanzminister Olaf Scholz steht. Chancen zu gewinnen wird das Duo Schwan/Stegner wohl nicht haben: Zu alt, zu sehr Parteiestablishment.

Die wenigen Umfragen zum SPD-Vorsitz sehen Scholz als Favoriten. Er tritt im Tandem mit der brandenburgischen Abgeordneten Klara Geywitz an. Vom Favoritenstatus ist in Troisdorf allerdings nichts zu spüren. Beim Wettbewerb um den lautesten und längsten Beifall landen Scholz/Geywitz hinten. Scholz muss sich nicht nur schwarze Null und Schuldenbremse vorhalten lassen: Jetzt kommt auch noch die vernichtende Kritik am Klimaschutzpaket der großen Koalition dazu. Die Umweltpolitikerin Nina Scheer, die sich an der Seite des Gesundheitsexperten Karl Lauterbach bewirbt, lässt an dem Kompromiss kein gutes Haar: zu wenig, zu halbherzig. "So ein Paket machen Karl und ich nicht mit", donnert sie den Genossen entgegen, und Lauterbach sekundiert: "Die Koalition bringt beim Klimaschutz gar nichts."

SPD-Urgestein Monika Wulf-Mathies warnt später mit jahrzehntelanger Parteitagserfahrung aber davor, der jeweiligen Phon-Laustärke im Saal zu viel Bedeutung beizumessen: "Die Anwesenden im Saal reagieren womöglich anders als die schweigende Mehrheit", gibt die Bad Godesbergerin zu bedenken. Schließlich entscheiden am Ende nicht ein paar Tausend Teilnehmer der Regionalkonferenzen, sondern die fast 430 000 SPD-Mitglieder. Einen Rat gibt Wulf-Mathies allen Bewerbern mit: die Unterlegenen nicht zur Seite zu schieben: "Die Gewinner werden klug daran tun, die anderen in ihre Arbeit einzubinden."

Lauterbach, der Abgeordnete aus dem Kölner Norden, profitiert in Troisdorf vom Heimvorteil. Noch mehr gilt das für den in Köln-Sülz wohnenden Norbert Walter-Borjans. Der ehemalige NRW-Finanzminister, der sich zusammen mit der dezidiert linken baden-württembergischen Abgeordneten Saskia Esken bewirbt, gehört zu den ernsthaften Anwärtern - auch weil das Duo die Unterstützung der Jusos genießt.

Die Hartnäckigkeit, mit der "Nowabo" Steuerflüchtlinge verfolgte und durch den Ankauf von Datenträgern Hunderte hinterzogene Steuermillionen eintrieb, rechnen ihm viele in der SPD hoch an. Walter-Borjans trifft die Stimmung, als er die Gründe für die Misere seiner Partei zeitlich viel früher ansiedelt: nämlich zur Zeit von Rot-Grün unter Gerhard Schröder. "Wir sind vom Weg abgekommen, schon vor der großen Koalition", ruft Walter-Borjans - und meint damit die Hartz-Reformen, für viele in der Partei mittlerweile die sozialdemokratische Ursünde schlechthin.

Für Jessica Rosenthal, Vorsitzende der NRW-Jusos, hat Walter-Borjans den Ton getroffen: "Das absolute Nein zu einem Weiter so ist bei vielen in der SPD angekommen. Und Olaf Scholz repräsentiert das Weiter so." Dem Duo Walter-Borjans/Esken traut die Bonnerin zu, die SPD zu führen. Auf ein Wort des Vorsitzenden des gastgebenden NRW-Landesverbandes warten die Zuhörer in Troisdorf übrigens vergebens. Der Rhein-Sieg-Abgeordnete Sebastian Hartmann ist wenige Stunden zuvor Vater geworden und damit entschuldigt.

Dann haben die Parteimitglieder das Wort, die Schlangen vor den Saalmikrofonen werden lang und länger. Der Frage-, Rede- und Mitteilungsbedarf ist genauso groß wie die Brandbreite der Probleme. Warum ist für die Pflege nicht genug Geld da? Welche Pläne gibt es für den Ausstieg aus der großen Koalition? Warum wird das Ehegattensplitting nicht abgeschafft? Was ist mit der inneren Sicherheit? Wie die Kommunen entschulden? Viele Themen, wenig Zeit. Jeder Kandidat darf eine Minute antworten, dann in einer zweiten Fragerunde noch eine Minute, dann ist schon Zeit für die Schlussstatements. Sieben Kandidatenduos, 14 Bewerber um den Parteivorsitz, jeder soll zu Wort kommen, niemand länger reden als der andere. Zwei Stunden vergehen wie im Flug.

Am Ende sind die Meinungen im Publikum über die Art und Weise, wie die SPD ihre neuen Vorsitzenden sucht, gespalten. "Es hat was von ‚Deutschland sucht den Superstar‘", meint Kerstin Salchow. Die Lehrerin aus Bad Honnef bemängelt vor allem, dass die Kandidaten ihre politischen Pläne nicht ausführlich genug begründen konnten. "Das meiste waren doch Phrasen", so Salchow. Eine Kritik, die Peter Deteren teilt: "Zu viel politische Selbstdarstellung, zu wenig Analyse", kommentiert der Friesdorfer, der gleichwohl "den sehr mühevollen, aber auch sehr mutigen Weg" gut findet, den die SPD bei der Vorsitzendensuche eingeschlagen hat. Für den Dürener Dirk Windelschmidt sind die Paarungen das Problem. "Ich kann mir Ralf Stegner als Vorsitzenden vorstellen, aber nicht Gesine Schwan."

Übrigens verfolgt auch die Konkurrenz die SPD-Tournee. "Es war mal interessant", meint Julia Rostek. "Aber ob es das angemessene Format ist? Ich weiß nicht", zweifelt die junge Frau aus Sankt Augustin, die sich als FDP-Mitglied outet. "Für die SPD passt es vielleicht ganz gut, vielleicht auch für die Grünen", meint Rostek, "ich persönlich bin nicht überzeugt."

(dpa)
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