Altenpflegebranche vor dem Kollaps Bundesverband kritisiert Ausbeutung in der Pflege

Berlin · Ohne Hilfskräfte aus Osteuropa droht der Branche der Kollaps, warnt der Bundesverband der Betreuungsdienste. Doch der Stundenlohn der Pfleger entspräche bei weitem nicht dem, was sie nach nationalem Standard bekommen müssten.

 Der Staat hat wenig Erkenntnisse über die Anzahl der benötigten Kräfte und den Anteil der Schwarzarbeiter.

Der Staat hat wenig Erkenntnisse über die Anzahl der benötigten Kräfte und den Anteil der Schwarzarbeiter.

Foto: dpa/Jens Büttner

Vertreter der Altenpflegebranche beklagen eine massive Ausbeutung osteuropäischer Betreuungskräfte und fordern für Pflegebedürftige mehr Leistungen aus der Pflegekasse. Der Geschäftsführer des Bundesverbands der Betreuungsdienste, Thomas Eisenreich, sagte unserer Redaktion: „In der Branche der sogenannten selbstorganisierten 24-Stunden-Pflegekräfte haben wir oftmals genauso prekäre Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsverhältnisse wie in der Fleischindustrie, in der Landwirtschaft oder auf dem Bau.“

Die Politik scheue sich, wirksam gegen Missstände vorzugehen, weil das für den Staat teuer werde. „Sie sollte sich aber sehr bewusst sein, dass das System ohne die osteuropäischen Betreuungskräfte in Deutschland zusammenbrechen würde.“ Eisenreich zufolge bekommen osteuropäische Pflegekräfte zwischen 1500 und 1700 Euro im Monat – für 24 Stunden, sieben Tage die Woche. „Sie leben bei den Pflegebedürftigen. Manchmal haben sie kein eigenes Zimmer, sondern sollen im ehemaligen Ehebett neben der Pflegeperson schlafen.“

Eisenreich rechnet vor, dass dies einem Stundenlohn von 8,52 Euro entspricht – vorausgesetzt man legt nur acht Stunden Arbeit an 22 Werktagen zugrunde. Der Pflegemindestlohn beläuft sich allerdings auf 11,60 Euro. „Wenn wir nationale Maßstäbe an eine 24-Stunden-Betreuung anlegen, sind das etwa 3,5 Stellen, damit Urlaub, freie Tage und Urlaubszeiten gewährt werden können. Das wären circa 9100 Euro pro Monat. Das kann sich niemand leisten“, so Eisenreich. Er forderte, die Schwelle für Sachleistungen für die Pflegebedürftigen zu senken, damit sie mehr Leistungen aus der Pflegekasse bekommen. „Dadurch könnten osteuropäische Pflege entlastet werden und hätten wie im deutschen Arbeitsrecht vorgeschrieben auch Pausen und Ruhezeiten.“

Der Staat hat wenig Erkenntnisse über die Anzahl der benötigten Kräfte und den Anteil der Schwarzarbeiter. So erklärte das NRW-Gesundheitsministerium, da der Einsatz von 24-Stunden-Kräften auf individuellen Vereinbarungen beruhe, die von Pflegebedürftigen oder Angehörigen mit den Dienstleistern getroffenen würden, und zudem keine Meldepflichten oder Bedarfserhebungsverfahren existierten, lägen keine Erkenntnisse vor. Der Verband für häusliche Betreuung und Pflege schätzt, dass von den rund 300.000 Kräften aus Osteuropa 90 Prozent schwarz arbeiteten.

Die Politik hat das Problem allerdings auf die Tagesordnung gehoben: Im Rahmen der Arbeits- und Sozialministerkonferenz Ende vergangenen Jahres hätten die Länder einstimmig den Bund aufgefordert, „Lösungskonzepte für eine zufriedenstellende Gestaltung aller existierenden Versorgungsformen, darunter auch der Betreuungsformen in häuslicher Gemeinschaft“, zu entwickeln, sagte ein Sprecher von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU).

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