Norbert Röttgen im GA-Interview „Ich bin keine Strömung“

Bonn · Der Königswinterer Norbert Röttgen spricht im GA-Interview über seine Bewerbung für den CDU-Vorsitz, die Kanzlerkandidatur und die Rolle der Hausmacht.

 „Es geht um eine existenzielle Dimension, auch für unsere CDU“, sagt Norbert Röttgen.

„Es geht um eine existenzielle Dimension, auch für unsere CDU“, sagt Norbert Röttgen.

Foto: Benjamin Westhoff

Als erster hat sich Norbert Röttgen in der vorigen Woche aus der Deckung gewagt und seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz angemeldet. Am Donnerstagmorgen war er zu Gast in der Redaktion des General-Anzeigers.

Seit Dienstag steht fest, dass Sie es mit Friedrich Merz sowie dem Team Armin Laschet/Jens Spahn zu tun bekommen. Wie sehen Sie den Dreikampf?

Norbert Röttgen: Ich bin sehr zufrieden mit dem offenen Wettbewerb. Als CDU haben wir in den nächsten zwei Monaten die Chance, diese Personalentscheidung mit einer inhaltlichen Debatte über die moderne strategische Ausrichtung der CDU zu verbinden. Dazu will ich meinen Beitrag leisten.

In der Partei wird viel über Strömungen geredet. Wo sehen Sie sich?

Röttgen: Ich war nie in einer Strömung, bin auch keine Strömung. Die CDU ist nur als Partei der Mitte denkbar und muss aus unterschiedlichen inhaltlichen Gründen nach beiden Seiten Grenzen ziehen. Das tun nicht alle Parteien der Mitte, wenn die SPD und die Grünen wie bei der vorletzten Landtagswahl in Thüringen eine Koalition mit der Linkspartei einer mit der CDU vorziehen. Die CDU muss den Bereich von Mitte-Rechts bis Mitte-Links integrieren. Dafür müssen wir die Mitte geistig neu definieren und versuchen zu erobern. Die Menschen sind andere geworden, ihre Fragen auch. Deshalb kann die CDU nicht stehenbleiben.

Wäre es nicht günstiger, zuerst den Vorsitzenden zu wählen und dann über Inhalte zu reden?

Röttgen: Ich bin dafür, beides zu verbinden. Wenn man Personalentscheidungen ohne eine inhaltliche Debatte trifft, bleiben die Menschen allein mit ihren Fragen. Wenn man inhaltliche Entscheidungen trifft ohne eine Personalentscheidung, hat man einen Inhalt ohne Gesicht. Was Politik ausmacht, ist die Verkörperung von Inhalt. Die SPD hat seit anderthalb Jahrzehnten nur Personalentscheidungen getroffen und nicht ihre Identität geklärt. Die Frage ist weiter unbeantwortet: Was heißt SPD heute in der globalisierten und postindustriellen Gesellschaft?

Wo sehen Sie sich im Vergleich zu Ihren Mitbewerbern?

Röttgen: Ich versuche, Antworten auf die neuen Fragen zu geben.

Hört sich theoretisch an.

Röttgen: Ich nenne Ihnen zwei Bereiche. Die CDU braucht eine starke Kompetenz in der Europa-, Außen- und Sicherheitspolitik. Das europäische Projekt ist zum ersten Mal seit den 50er Jahren nicht mehr garantiert, die transatlantische Partnerschaft ist gefährdet, da habe ich von der Herausforderung China und dem Nahen Osten noch gar nicht gesprochen. Ich nehme in Anspruch, dass ich mich seit Jahren damit beschäftige. Der andere Bereich ist die Ökologie und die Klimafrage. Keine Partei wird mehr eine große Partei der Mitte sein können, die hier nicht eigene Glaubwürdigkeit und Kompetenz hat. Gerade in der Verknüpfung sehe ich meine Verkörperung für Themen einer modernen Mitte.

Ein solches Thema ist die Digitalisierung. Was tut Not?

Röttgen: Wenn wir nicht als CDU beginnen, die Digitalität des Alltagslebens von jungen Menschen zu begreifen, dann werden wir keinen politischen Kontakt zu dieser Generation aufbauen können. Wir reden dann durch unterschiedliche Kommunikationskanäle aneinander vorbei. Ich bin zwar bei Twitter aktiv, aber bisher nicht bei Instagram. Wie meine Kandidatur dort diskutiert wird, hat mir am Mittwoch unsere 16-jährige Tochter gezeigt.

Gibt es denn in der CDU-Zentrale niemanden, der die sozialen Kanäle beobachtet und bedient?

Röttgen: Doch natürlich. Aber das reicht nicht. Wir müssen als Partei die digitale Lebenswelt der jungen Menschen verstehen, aufnehmen und leben.

Wo sehen Sie in den Debatten um die stärker werdenden Ränder die Aufgabe der CDU?

Röttgen: Ich würde damit anfangen zu fragen: Warum werden die Ränder stärker? Was haben wir falsch gemacht? Viele Menschen fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Die letzte Dekade war einerseits eine des wirtschaftlichen Aufschwungs, aber andererseits auch eine Krisendekade, in der das Vertrauen in Systeme immer wieder erschüttert wurde: Bei der Weltfinanzmarktkrise ist das Vertrauen in die Eliten zerstört worden, weil sie sich von verantwortungsloser Gier haben treiben lassen. Die Eurokrise war eine Vertrauenskrise in unsere Währung und die Flüchtlingskrise eine in den Anspruch des Staates, den Zugang zum eigenen Land sichern zu können. Dadurch sind die Ränder stärker geworden. Meine Antwort: Wir müssen die Ängste und die Themen in unsere Partei aufnehmen – mit dem Anspruch, vernünftige, solidarische und realistische Lösungen zu finden.

Wie geht man mit einer Situation wie in Thüringen um?

Röttgen: Wenn sich die CDU in Thüringen an das Prinzip gehalten hätte, nach rechts und links Grenzen zu ziehen, wären wir heute nicht in diesem Schlamassel. Denn dann hätte sie nicht, entweder grob fahrlässig oder unter billigender Inkaufnahme, den FDP-Kandidaten zum Ministerpräsidenten gewählt mit den Stimmen auch der AfD. Das war ein schwerer Fehler.

Ohne Thüringen hätte Annegret Kramp-Karrenbauer nicht entschieden, den CDU-Vorsitz bald abzugeben. Wann haben Sie entschieden anzutreten?

Röttgen: Mit der Rückzugsankündigung habe ich nicht gerechnet und sie auch nicht für notwendig gehalten. Aber ich kann sie verstehen, denn wir sind alle Menschen, das wird bei all der Härte manchmal übersehen. Irgendwann in den ein, zwei Tagen danach hat es in mir angefangen zu arbeiten. Dann habe ich das zu Hause besprochen, mit meiner Frau, mit unseren Kindern. Dann mit engen Freunden. Schließlich ist mein Entschluss gereift: Wenn das, was dich umtreibt und antreibt, kein anderer so richtig ausspricht, dann musst du eben selbst dafür einstehen.

Welchen Führungsstil würden Sie in der Partei pflegen?

Röttgen: Ich war in den 90er Jahren Vorsitzender der CDU in Rheinbach. In dieser Zeit gab es eine kontroverse Abstimmung über unseren Bürgermeisterkandidaten zwischen dem damaligen Beigeordneten Stefan Raetz und Stadtdirektor Gerhard Martini. Das haben wir in der Partei fair hinbekommen. Am Ende haben beide kandidiert, Martini als Unabhängiger. Obwohl es in der Partei eine kontroverse Diskussion und Entscheidung gab, ist die CDU solidarisch und geschlossen geblieben.

Als NRW-Landesvorsitzender hatten Sie weniger Erfolg.

Röttgen: Ich hatte keinen Erfolg bei der Landtagswahl. Aber auf das, was wir in meiner Zeit als Landesvorsitzender damals gemeinsam als CDU NRW erreicht haben, bin ich anhaltend stolz. Wir haben als Oppositionspartei mit der Regierung den Schulfrieden für NRW erreicht, ein weitreichendes Europapapier verabschiedet und die Grundlage dafür gelegt, dass wir in der Koalition im Bund beim Thema Mindestlohn zu einem guten Kompromiss gekommen sind. Ich habe also Erfahrung, sage klar, wofür ich stehe, bin aber nicht polarisierend. Politik muss mit einem Führungsanspruch verbunden sein, aber nicht mit Kommandoausgabe.

Anders als Laschet und Merz haben Sie aber keine Hausmacht. Wie wollen Sie da bestehen?

Röttgen: Mein persönlicher Ansatz ist, für das einzustehen, was ich für wirklich wichtig halte. Es geht um eine existenzielle Dimension, auch für unsere CDU. Elf Prozent in Hamburg heißt bei den Unter-Dreißigjährigen: unter fünf Prozent. Der Ernst der Lage, den ich sehe, wird von vielen geteilt. AKK hatte die Hausmacht des Saarlandes, Angela Merkel hatte den Landesverband Mecklenburg-Vorpommern. Die CDU ist eine viel zu kluge und erfahrene Partei, als dass solche Fragen nur durch Hausmacht entschieden würden.

Sie haben davon gesprochen, dass Sie eine Frau ins Team nehmen wollen. Wissen Sie schon wen?

Röttgen: Als Vorsitzender der CDU stünde für mich außer Frage, dass das nächst wichtigste Amt mit einer Frau besetzt werden muss, also eine Generalsekretärin. Wir haben gegen Ende des Jahres umfassende Bundesvorstandswahlen, da bin ich in der Lage, einen überzeugenden Vorschlag zu machen.

Wollen Sie Kanzlerkandidat werden?

Röttgen: Ich sehe in der Parteivorsitzendenwahl auch eine Entscheidung darüber, wer der Kanzlerkandidatenvorschlag der CDU an die CSU ist. Von diesem Recht würde ich Gebrauch machen, sonst würde ich nicht kandidieren. Und dann muss man mit der CSU zusammen den Unionskandidaten festlegen.

Hätte sich Ihre Kandidatur gelohnt, wenn Sie die Abstimmung über den CDU-Vorsitz verlieren sollten und als Außenminister enden würden?

Röttgen: (lacht) Mein Ringen mit mir, ob ich kandidieren soll, war kein taktisches.

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