Bilanz für NRW Das hat die Landesregierung bislang erreicht
Gut zwei Monate ist die neue Landesregierung inzwischen im Amt. Zeit, Bilanz zu ziehen. Was also hat sie bislang erreicht?
Im Wahlkampf versprach Armin Laschet weniger Kriminalität, weniger Staus und einen Masterplan, mit dem NRW beim Wirtschaftswachstum wieder auf die vorderen Plätze im bundesweiten Ländervergleich kommen soll.
Polizei: Die im Koalitionsvertrag versprochene, sofortige Neueinstellung von 2300 neuen Polizeianwärtern zur Stärkung der inneren Sicherheit erfolgt zum 1. September. Die Vorgängerregierung hatte nur 2000 neue Anwärter eingeplant. Die zusätzlich nötigen 1,5 Millionen Euro finanziert Laschet über einen Nachtragshaushalt. In ihrem Wahlprogramm hatte die CDU noch versprochen, „Mehrausgaben (...) durch Einsparungen an anderer Stelle“ zu sichern. Im Koalitionsvertrag taucht diese Formulierung nicht mehr auf. Zumindest vorerst werden die zusätzlichen Polizisten also auf Pump finanziert.
Innenminister Herbert Reul deutete kürzlich aber an, die Polizei einer Aufgabenkritik zu unterziehen. Möglicherweise gibt sie Bagatellaufgaben wie die Aufnahme von kleinen Unfällen oder die Begleitung von Schwertransporten künftig an die Ordnungsämter ab. Entsprechende Überlegungen gibt es in NRW seit Jahren. Aber bislang hat sich noch keine Landesregierung an diese unpopulären Maßnahmen herangewagt.
Bosbach-Kommission: Unter der Führung des populären CDU-Innenpolitikers soll die im Wahlkampf groß angekündigte Kommission eine neue Sicherheitsarchitektur für NRW entwickeln. Die Kommission steht und soll ihre Arbeit in wenigen Wochen aufnehmen. Die FDP setzte in letzter Sekunde den linksliberalen Bürgerrechtspolitiker Gerhart Baum neben Bosbach in der Kommission durch.
Bosbach steht für harte Maßnahmen wie die Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen und eine Beschränkung von Handlungsspielräumen für Verdächtige. Genau das ist mit Baum nicht zu machen. Baum ist ein Überwachungsskeptiker, er legt großen Wert darauf, dass ein bloßer Verdacht keine ausreichende Grundlage ist. Die unterschiedlichen Auffassungen könnten die Kommission blockieren.
Kommunen: Bereits eingeleitet hat NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) die im Koalitionsvertrag versprochene Abschaffung des umstrittenen Kommunal-Soli. Zuletzt mussten die vergleichsweise finanzstarken Kommunen ihren schwächeren Nachbarn rund 90 Millionen Euro abgeben. Die bisherigen Empfängerkommunen sollen aber nicht schlechter gestellt werden. Sprudelnde Steuerquellen ermöglichen es der NRW-Landesregierung, die Ausschüttungen aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz an die 396 Kommunen des Landes um fast 830 Millionen Euro (oder um 7,8 Prozent) auf 11,5 Milliarden Euro zu erhöhen.
Krankenhäuser: Die 352 Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen bekommen eine Finanzspritze von 250 Millionen Euro. Noch ist unklar, ob das Geld einmalig fließen soll oder jährlich. Aus Sicht der Krankenhäuser ist das ohnehin nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie rechnen einen Investitionsstau von aktuell 12,8 Milliarden Euro vor.
Frauenförderung: Das von der Vorgängerregierung auf den Weg gebrachte neue NRW-Dienstrecht wickelt die neue Regierung gerade ab. Kern war eine Vorgabe, nach der Frauen auch bei schlechterer Qualifikation innerhalb einer bestimmten Bandbreite dennoch bevorzugt befördert werden müssen. Stattdessen sieht ein neuer Gesetzentwurf nun vor, die Beurteilungskriterien von Landesbediensteten zu überprüfen. Die Gewerkschaften sehen in den aktuellen Bewertungsverfahren eine Ursache dafür, dass Frauen in Führungsebenen der Verwaltung unterrepräsentiert sind.
Personalien: Die bisher auffälligste Schlappe der neuen Landesregierung: Wegen offensichtlicher Interessenkonflikte musste der Minister für Europa und Medien, Stephan Holthoff-Pförtner, die Zuständigkeit für Medien nach wenigen Wochen schon wieder abgeben. Holthoff-Pförtner ist Miteigentümer der Funke-Mediengruppe. Die neue Landwirtschaftsministerin Christina Schulze Föcking steht mit dem Rücken zur Wand: Tierschützer sind auf dem Mastbetrieb ihrer Familie eingebrochen und haben Bilder von offensichtlich notleidenden Schweinen gefilmt. Die Opposition wirft ihr vor, als zuständige Ministerin nicht für die Aufklärung geeignet zu sein, weil sie in einem Interessenkonflikt stehe.
Symbole: Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat Laschet den Umzug der Staatskanzlei aus dem gläsern-abstrakten Düsseldorfer Stadttor ins historische Landeshaus am Rheinufer beschlossen. Der Umzug ist so gut wie abgeschlossen. Weil durch den Neuzuschnitt der Ministerien ohnehin umfangreiche Rochaden unter den Häusern nötig waren, fielen kaum zusätzliche Kosten an. Die Etagen im Stadttor, wo die Landesregierung nur Mieter ist, werden jetzt vom Verkehrsministerium genutzt. Laschet hält die Architektur des Landeshauses für bürgernäher als das Stadttor. Außerdem fand er es stillos, dass die Regierungsspitze des wichtigsten Bundeslandes in ihrem Dienstsitz als Mieter auftritt.
Schule: Mit drei großen Versprechen waren CDU und FDP in den Wahlkampf gegangen: Abschaffung des Turbo-Abis, langsameres Tempo bei der Inklusion und die Erfassung des Unterrichtsausfalls. Doch bevor die neue Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) bei diesen Themen konkret werden kann, muss sie erst einmal den Mangel verwalten: Von den offenen Lehrerstellen im Land konnte zum Schuljahresbeginn nur etwa jede zweite besetzt werden. Besonders großer Mangel herrscht an den Grundschulen. Hier überraschte Gebauer mit einer pragmatischen Lösung: Arbeitslose Lehrer mit wenig gefragten Fächerkombinationen, die eigentlich für den Unterricht an weiterführenden Schulen ausgebildet sind, sollen für zwei Jahre an Grundschulen unterrichten. Anschließend bekommen Sekundarstufe-II-Lehrer einen Job an einer weiterführenden Schule garantiert.
Bei der Inklusion stoppte Gebauer die Schließung der Förderschulen und konnte tatsächlich noch einige retten. Die Rückkehr zu G9 hingegen wird noch bis zum Schuljahr 2019/20 auf sich warten lassen und auch der Unterrichtsausfall wird erst von 2018/19 schulscharf erfasst werden können. Für viele Eltern hatte Gebauer eine unerwartete Neuigkeit: Sie will das „Schreiben nach Hören“ für i-Dötzchen abschaffen.
Kitas: Familienminister Joachim Stamp (FDP) hatte keine große Wahl. Zu schlecht ging es vielen Kita-Trägern, als dass er finanzielle Hilfen auf die lange Bank hätte schieben können. So schnürte er ein Rettungsprogramm für die Kita-Träger von 500 Millionen Euro, um die Zukunft der Kitas zu sichern. Ein neues Kita-Gesetz wird aber wohl auf sich warten lassen. Einen kleinen Schwenk machte Stamp bereits: Die Projekte von Hannelore Krafts „Kein Kind zurücklassen“ sollen für zunächst ein Jahr fortgeführt werden.
Wirtschaft und Energie: „Entfesselung“ lautete das Schlüsselwort für die Wirtschaft in NRW. In seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause verabschiedete das Kabinett ein Maßnahmenpaket zum Bürokratieabbau. Beschlossen wurde unter anderem, die Hygieneampel wieder abzuschaffen, die Anmeldung eines Gewerbes zu erleichtern und mehr verkaufsoffene Sonntage zu ermöglichen. In der Energiepolitik brachte Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) viel Kritik ein, dass er die Bedeutung der Windkraft schmälern will. Durch die Pläne von CDU und FDP würden über 90 Prozent der bisher für die Windenergie vorgesehenen Flächen wegfallen.
Um Diesel-Fahrverbote zu verhindern und die Klimaziele zu erreichen, legt Pinkwart ein 100-Millionen-Euro-Programm für Elektromobilität auf. Doch gleichzeitig machte sich Laschet dafür stark, schon vereinbarte, schärfere EU-Grenzwerte beim Braunkohle-Abbau rückgängig zu machen. Dabei berief er sich zusammen mit drei anderen Ministerpräsidenten auf ein Gutachten der Braunkohle-Industrie.
Haushalt: Als Oppositionsparteien wurden CDU und FDP nicht müde, die Schuldenpolitik der rot-grünen Vorgängerregierung anzuprangern. Doch 60 Tage nach Antritt der neuen Regierung ist klar: Auch Schwarz-Gelb kommt nicht ohne neue Schulden aus. Ein Nachtragshaushalt über 1,55 Milliarden Euro muss her, um Kitas, Krankenhäuser, Kommunen und Polizei auszustatten. Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) macht dafür die rot-grüne Vorgängerregierung verantwortlich. Wie teuer die weiteren Wahlversprechen sind, ist noch nicht klar – spätestens Ende Januar soll der erste turnusmäßige Haushalt stehen.