Bilanz ohne Glanz Das ist die Halbzeitbilanz der Bundesregierung
Berlin · Die Große Koalition hat am Mittwoch ihre Halbzeitbilanz vorgelegt. Nüchtern stellt sich die Bundesregierung ein Zwischenzeugnis aus. Es zeigt auch, was Union und SPD noch wollen.
Das Gefühl hatten konservative Unionsabgeordneten schon oft, wenn sie Angela Merkel zuhörten. Auch jetzt können Sie sich ohne Mühe vorstellen, sie säßen auf der dritten Ebene im Bundestag nicht im Saal ihrer CDU/CSU-Fraktion, sondern nebenan bei den Sozis. Die Kanzlerin sagt, sie könne die Union in der Auseinandersetzung um die Bedürftigkeitsprüfung für die geplante Grundrente nur bitten – wenn sie denn Volkspartei bleiben wolle – dass sie nicht dauernd Beispiele von Villenbesitzern bringe, sondern auf die Bäcker, Lieferanten, Reinigungskräfte schaue. Auch diese sollten Wähler von CDU und CSU sein, genauso wie Mittelständler und Unternehmer.
Der Applaus für Merkel fällt „ordentlich“ aus, berichtet ein Teilnehmer. Mag sie sich zum Ende ihrer Kanzlerschaft Stück für Stück mit öffentlichen Auftritten zurückziehen – hinter verschlossenen Türen bleibt sie deutlich. Der Jubel ist da nicht grenzenlos.
Merkel will nicht das Koalition zerbricht
Merkel hat kein Interesse daran, dass ihre dritte und letzte große Koalition an der Grundrente zerbricht. Wenn schon, dann soll die Verantwortung dafür bei der SPD liegen. „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg zum Kompromiss“, sagt sie noch. Auch das kennen die Abgeordneten von ihr nur zu gut. Merkel hat den eigenen Leuten schon immer viel abverlangt. Einer von ihnen beklagt sich am Mittwoch, die Union müsse immer Rücksicht auf die SPD nehmen. Aber nicht umgekehrt. Außerdem bestehe gar keine Eile, sich auf die Grundrente zu einigen, da sie nicht 2020, sondern erst 2021 eingeführt werden solle. Und nur, weil die SPD Anfang Dezember auf ihrem Bundesparteitag den Delegierten etwas liefern müsse, brauche die Union ihr dabei noch nicht zu helfen. So könne der Koalitionsausschuss an diesem Sonntag auch ohne Kompromiss zu Ende gehen. Deswegen müsse die Koalition nicht scheitern. Jedenfalls nicht an der Union.
Die Halbzeitbilanz, die die Bundesregierung zeitgleich und ohne jegliche öffentliche Begleitmusik vorlegt, hätte so viel schöner ausfallen können, wäre die Grundrente schon unter die Habenseite gefallen. So aber ist die geplante Verbesserung für Menschen, die mehr als 35 Jahre erwerbstätig waren und Beiträge gezahlt haben, die Unbekannte für den Fortgang oder Ausgang der Groko.
In der Union wird durchaus befürchtet, dass die SPD das als Ventil nutzen könnte, die Koalition platzen zu lassen, um sie aus einem Sachgrund zu beenden und dann einen besseren Wahlkampf machen zu können. Merkel sagt, von 300 geplanten großen Maßnahmen seien zwei Drittel vollendet oder auf den Weg gebracht worden. „Das zeigt, dass wir arbeitsfähig und arbeitswillig sind.“ Angesichts dieser Zahl hätte man sich auch ein bisschen mehr Werbung für die eigene Koalition vorstellen können.
Halbzeitbilanz der Koalition ist ohne Glanz
Aber die Halbzeitbilanz wird präsentiert wie die Koalition selbst: ohne Glanz. Reichlich umständlich wird das Papier als „Entwurf einer Bestandsaufnahme über die Umsetzung des Koalitionsvertrags durch die Bundesregierung“ bezeichnet, den das Kabinett am Mittwoch schlicht zur Kenntnis nimmt. Dabei wurden 83 Seiten vollgeschrieben, Verbesserungen wie bei der Pflege, der Kinderbetreuung, der Digitalisierung und beim Klimaschutz aufgelistet, und es wurde ordentlich gekennzeichnet, was noch fehlt: etwa mehr Ausgaben für die Forschung, der weitere Ausbau der digitalen Infrastruktur, die weitere Erhöhung des Kindergeldes, ein Nährwertkennzeichnungssystem und noch etliches mehr. Union und SPD hätten „viel erreicht“, aber „auch noch viel zu tun“, steht darin.
Besonders interessant ist ein Vergleich des Koalitionsvertrages von März 2018 mit der Halbzeitbilanz gerade bei der Grundrente: Im Koalitionsvertrag steht: „Voraussetzung für den Bezug der Grundrente ist eine Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung.“ In der Halbzeitbilanz heißt es: „Die Grundrente soll zielgenau sein und denen zugutekommen, die sie brauchen.“ Das dürfte ein Hinweis sein, dass die Bundesregierung die Gefahr, die die Grundrente birgt, schon in dieser Bilanz abzumildern versucht. Die Koalitionsparteien müssen sich ja mit dieser Bilanz erst noch befassen.
CDU, CSU und SPD bemühen sich um Zuversicht
Am Abend stellen sich die Fraktionsvorsitzenden von CDU, CSU und SPD schon einmal vor die Mikrofone und bemühen sich um Zuversicht beim Streitpunkt Grundrente. Rolf Mützenich (SPD) sagt: „Ich bin da sehr zuversichtlich, weil wir arbeiten wollen.“
Ralph Brinkhaus (CDU) erklärt etwas zurückhaltender: „Hier haben wir sachliche Fragen, die müssen wir am Ende des Tages klären.“ CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verspricht: „Wir arbeiten konstruktiv an diesem Thema.“ Der Westfale Brinkhaus versichert noch: „Egal ob‘s stürmt oder schneit, egal ob‘s raucht oder kracht – hier im Maschinenraum der Fraktionen wird weitergearbeitet.“ Nur wie lange noch, das kann auch Ralph Brinkhaus nicht verlässlich sagen.