Transplantationen Das sagen Betroffene zur Neuregelung der Organspende

Köln/Bonn · Der Bundestag stimmt am Donnerstag über eine Neuregelung der Organspende ab – die Zahl der Spender soll steigen. Dabei zeichnet sich eine knappe Entscheidung ab. Betroffene verfolgen die Debatte mit Spannung.

 Die Zahl der Organspenden in Deutschland stagniert.

Die Zahl der Organspenden in Deutschland stagniert.

Foto: picture alliance/dpa

Marcel Biels zweites Leben begann vor knapp drei Wochen mit einem schrillen Klingeln morgens um fünf Uhr. Als der Kölner schlaftrunken ans Telefon ging, sagte eine Stimme am anderen Ende der Leitung nur: „Herr Biel, wir haben eine Niere für Sie.“ Er sei ganz ruhig geblieben und habe angefangen, seine Sachen zu packen, erzählt der 33-Jährige. „Meine Frau hat vor Freude angefangen zu weinen.“ Die beiden setzten sich an diesem ersten Weihnachtstag also in die Straßenbahn, fuhren zur Kölner Uniklinik und wenig später bekam Biel eine neue Niere transplantiert.

Im Durchschnitt mehr als acht Jahre lang müssen Patienten in Deutschland laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), die hierzulande für die Koordination zuständig ist, auf eine neue Niere warten. Die Berechnung der Wartezeit beginnt dabei mit dem ersten Tag der Dialyse. Biel hoffte seit sieben Jahren auf ein neues Organ. Bereits als Kind war bei ihm ein genetisches Syndrom diagnostiziert worden und er war deswegen Dauergast im Krankenhaus gewesen. „Daran leiden vielleicht 20 bis 40 Menschen in Deutschland“, sagt Professor Dirk Stippel, Leiter der Transplantationschirurgie an der Uniklinik.

Kurz nachdem Biel seine Ausbildung als Lagerist beendet hatte und um einen Anschlussvertrag kämpfte, versagten dann seine Nieren. Dreimal die Woche musste er nun mehr als vier Stunden lang im Dialysezentrum Köln-Mülheim sein Blut waschen lassen und zudem täglich etwa 20 Tabletten schlucken. „Die Dialyse hat mein Leben bestimmt“, sagt er. Trotzdem arbeitete er weiter in Vollzeit. Und stellte seine Ernährung um. So waren kaliumreiche Lebensmittel wie Bananen, Chips oder Kartoffeln im Alltag tabu, da sie die Gefahr eines Herzstillstandes erhöht hätten. Und er bekam schmerzhafte Wassereinlagerungen im Körper.

Das ist für ihn nun Vergangenheit. Ein paar Tage muss Biel noch in der Klinik bleiben, dann darf er nach Hause. „Ich fühle mich super. Die Pillen sind nicht weniger geworden, aber meine Lebensqualität ist viel höher“, sagt er. „Und ich kann wieder pinkeln.“

Bundestag stimmt am Donnerstag über Neuregelung ab

Die Roisdorferin Doris Schäfer ist schon neun Monate weiter. Auch sie litt jahrelang an einer Nierenerkrankung, der Glomerulonephritis. Früher hatte sie im Bundeskanzleramt und in der SPD-Parteizentrale gearbeitet, später beim General-Anzeiger, wo sie auch den Posten der Betriebsratsvorsitzenden inne hatte. Neun Jahre Dialyse hatte die heute 64-Jährige hinter sich, als sie schließlich im April vorigen Jahres in der Uniklinik Bonn ein neues Organ transplantiert bekam.

Mit großem Interesse verfolgt Schäfer derzeit die Diskussion um die Neuregelung der Organspende, über die der Bundestag an diesem Donnerstag abstimmen wird. Wie es ausgeht, scheint derzeit völlig offen, wie bei anderen ethischen Fragen ist der Fraktionszwang aufgehoben. Eine Abgeordnetengruppe um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach setzt sich dabei für eine Widerspruchslösung ein – jeder soll automatisch Spender sein, es sei denn, er hat ausdrück­lich widersprochen. Eine andere Abgeordnetengruppe um die Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Linken-Chefin Katja Kipping wirbt dagegen für eine Fortentwicklung der geltenden Zustimmungsregelung.

„Natürlich ist es immer eine Gewissensentscheidung“, sagt Schäfer, „aber viele Menschen sind einfach zu bequem.“ Wenn man gesund sei, denke man über so etwas wie eine Organspende nicht nach – dabei könne jeder einmal Hilfe benötigen. Deswegen befürwortet sie auch den weitergehenden Gesetzesvorschlag der Widerspruchslösung.

40-jähriger Bonner: Es gibt viel Unkenntnis

Ein 40-jähriger Bonner, der seit zwei Jahren mit einer Spender­niere lebt, geht noch weiter und sagt: „Ich halte die Widerspruchslösung für einen notwendigen Paradigmenwechsel.“ Viele Menschen seien prinzipiell bereit, ein Organ zu spenden, allerdings beschäftigten sie sich dann nicht weiter mit dem Thema. In seinem Umfeld hätten sich viele Freunde und Bekannte einen Organspendeausweis besorgt, nachdem sie mitbekommen hätten, was sie dadurch bewirken können und wie positiv sich sein Leben entwickelt habe.

„Die Wirkung einer Organspende ist aber noch stärker“, sagt der Familienvater, der zwei Kinder hat. „Jemand, der bereit ist zu spenden, der tut nicht nur dem Patienten einen Riesengefallen, sondern auch vielen anderen Menschen.“ Drei Familienmitglieder wollten ihm eine Niere überlassen, doch keine passte. „Beim Thema Organspende gibt es einfach viel Unkenntnis und auch Angst“, ist er überzeugt. Dabei sei der Hirntod, nach dem Organe erst entnommen werden dürfen, klar definiert.

Beide Gesetzentwürfe haben das Ziel, die Zahl der Organspender zu erhöhen, denn die ist im internationalen Vergleich niedrig. Vergangenes Jahr haben laut DSO in Deutschland 932 Menschen nach ihrem Tod eines oder mehrere Organe für eine Transplantation gespendet. Das entspricht in etwa dem Niveau des Vorjahres, wo es 955 Organspender waren. Im Durchschnitt sind das 11,2 Spender pro eine Million Einwohner – in Spanien etwa liegt die Zahl mit 48,9 Spendern mehr als viermal so hoch. Der europäische Durchschnitt lag 2018 bei 22,2.

Eurotransplant in den Niederlanden verteilt die Organe

Für Deutschland und sieben weitere Länder verteilt die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant im niederländischen Leiden die Organe. Dabei hat Deutschland im vergangenen Jahr laut DSO mehr Organe aus diesem Verbund erhalten, als es in diesen eingebracht hat. So kann es sein, dass ein Organ aus den Niederlanden, das die Widerspruchslösung anwendet, in Deutschland transplantiert wird. „Wir haben also irgendwie schon die Widerspruchslösung“, sagt der Bonner Professor Christian Strassburg, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I, und zugleich Präsident der Deutschen Transplantationsgemeinschaft (DTG).

Die DTG hat wie auch das Netzwerk Organspende Nordrhein-Westfalen, ein Zusammenschluss von Selbsthilfeorganisationen, oder die Deutsche Herzstiftung bei den Bundestagsabgeordneten für die Widerspruchslösung geworben. Kritiker dagegen halten sie für verfassungswidrig und kontraproduktiv, weil sie das Misstrauen in die Transplantationsmedizin erhöhen könnte. Auch die Kirchen lehnen die Widerspruchslösung ab – aus grundsätzlichen „rechtlichen, ethischen und seelsorgerischen Bedenken“. Denn der Staat würde tief in den Kernbereich der menschlichen Existenz und Würde eingreifen, sagen sie.

9000 Menschen warten auf ein Organ

„Es ist gut, wenn das Thema Transplantation in die Mitte der Gesellschaft gerückt wird, dass es den Aspekt von etwas Normalem bekommt“, sagt Strassburg. Für die Mediziner seien die Operationen inzwischen Standard. Laut DSO wurden hierzulande voriges Jahr insgesamt 3192 Organübertragungen durchgeführt. Dennoch warten noch 9000 Menschen auf ein Organ. Dabei gebe es bei den Patienten große Unterschiede. So könne man die Nierenfunktion eine Zeitlang durch Dialyse ersetzen. Bei der Leber ginge das nicht, betont Strassburg.

Er hofft auf eine strukturelle Veränderung durch die Widerspruchslösung. „Bei der Informationslösung ist es ein bisschen wie mit den Neujahrsvorsätzen“, sagt er. Die vergesse man schnell wieder. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sehen 84 Prozent Organspenden positiv. Doch im Portemonnaie haben den entsprechenden Ausweis nur 39 Prozent.

Im Kinderdialysezentrum des Kuratoriums für Dialyse und Nierentransplantation (KfH), das an die Uniklinik Köln angedockt ist, werden derzeit 13 dialysebedürftige Kinder versorgt. Nach dem ersten Geburtstag ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ein passendes Spenderorgan erhalten, hoch. Meist beträgt die Wartezeit zwei bis drei Jahre, häufig gibt es Lebendspenden von Verwandten, sagt Dr. Christina Taylan, die Leiterin des Zentrums.

Ein Kind, dessen Blut hier viermal die Woche über Stunden gereinigt wird, ist Joana Holtermüller. Die Dreijährige sitzt auf einer rosafarbenen Decke und malt, während ihr Blut durch einen Schlauch aus ihrem Körper in eine Maschine geleitet, gereinigt, und dann wieder zurückgeschickt wird. 13 Liter Blut laufen während einer Sitzung durch das System. Oben auf der Maschine leuchtet eine grüne Lampe, wenn alles in Ordnung ist, wenn sich Joana zu viel bewegt, gibt es ein rotes Alarmsignal. Doch das ist nur selten der Fall. „Für uns ist das schon Routine“, sagt Joanas Mutter Sandra Holtermüller.

Für jugendliche Dialysepatienten ist es schwierig

Die Kinder sollen so normal wie möglich aufwachsen. Joana ist auch gar nicht bewusst, dass sie krank ist. „Brauchst du einen Arzt?“, fragt Ärztin Taylan sie. „Nein, eine Meerjungfrau!“, sagt das Kind fröhlich und greift wieder zu Stift und Papier.

Clowns sowie Musiktherapeuten und Kunsttherapeuten kommen regelmäßig ins KfH, um die Kinder und Jugendlichen zu fördern und auch zu unterhalten. Gerade für die Älteren ist es nicht leicht. „Die Pubertät ist eine schwierige Zeit“, sagt Taylan. Wenn sich jemand überschätze oder bei den Medikamenten schlampe, werde es schnell lebensbedrohlich.

An der Wand hängt auch noch ein selbstgemaltes Bild von Kathy Gürdebil. Die 16-Jährige aus Remagen lebt seit acht Jahren mit einer Spenderniere, ihre Werte werden im KfH regelmäßig kontrolliert. „Als ich die neue  Niere hatte, habe ich mich endlich wieder frei gefühlt“, sagt sie.

Bei jungen Menschen verdoppelt eine Transplantation die Lebenserwartung, erläutert der Kölner Transplantationsprofessor Dirk Stippel. Für einen mit dreißig Jahren Transplantierten sind es dann 70 Jahre statt der 50 Jahre eines gleichaltrigen Dialysepatienten. Die Kölner Uniklinik betreut auch einen Mann, der schon seit 42 Jahren mit einem Spenderorgan lebt. „Es ist gut, dass der Diskurs um die Organspende jetzt stattfindet“, sagt Stippel.

Kölner Professor für pragmatischeren Ansatz

Ihm ist die Diskussion trotzdem oft zu theoretisch und abgehoben. Er findet, es müsse ein pragmatischerer Ansatz gewählt werden – auch zum Schutz der Angehörigen, die letztlich oft die Entscheidung über Ja oder Nein zur Organspende treffen müssten, wenn kein schriftliches Dokument vorliege. „Da sind wir in Deutschland Nachzügler“, sagt er. Und der Widerspruchsansatz sei nicht unerprobt.

Letztlich geht es aus seiner Sicht aber um zunächst um eines: die gesellschaftliche Aussage, ob man Transplantationen will oder nicht. Und dann müsse man sich fragen: Wie will ich das? Stippel denkt nicht, dass die Widerspruchslösung da alleine reicht, es brauche weitere strukturelle und finanzielle Verbesserungen. „Das ist nur ein Baustein“, sagt auch der Bonner Professor Strassburg.

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