Interview mit rheinland-pfälzischem Innenminister Das sagt Roger Lewentz über "Reichsbürger"

BONN · Die Gruppe ist sehr heterogen, teilweise gibt es einen Bezug zum Rechtsextremismus. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz über die Entwicklung der Szene, ihre Gewaltbereitschaft und das Gefahrenpotenzial.

 Hoher Grad der Bewaffnung und selbst gefertigte Ausweispapiere: Die Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ bereitet dem Verfassungsschutz Sorgen. Collage: Stamp

Hoher Grad der Bewaffnung und selbst gefertigte Ausweispapiere: Die Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ bereitet dem Verfassungsschutz Sorgen. Collage: Stamp

Im Oktober 2016 erschoss ein „Reichsbürger“ im mittelfränkischen Georgensgmünd einen Polizisten und die Szene gelangte ins öffentliche Bewusstsein. Wie ist der aktuelle Stand? Daniela Greulich sprach mit dem rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz (SPD) über Strukturen der „Reichsbürger“ und Gegenstrategien der Behörden.

Herr Lewentz, seit Herbst 2016 beobachtet der Verfassungsschutz bundesweit die sogenannten "Reichsbürger". Welche Entwicklung stellen Sie fest?

Roger Lewentz: Wir haben uns die Bewegung sehr genau angeschaut und auch Kommunalverwaltungen nach ihren Erkenntnissen abgefragt. Die Zahl der uns bekannten "Reichsbürger" ist daher in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, weil wir dieses Dunkelfeld sehr stark aufgehellt haben. Die Szene hat Zulauf, aber nicht in dem Maße, wie es die Zahlen auf den ersten Blick vermitteln. Bundesweit können wir laut der neuesten Zahlen des Verfassungsschutzes rund 16.500 Personen dem Reichsbürgerspektrum zuordnen. In Rheinland-Pfalz sind es 495. Wir sind weniger stark betroffen als andere Bundesländer, aber natürlich ist das für uns eine genauso große Herausforderung wie für die Sicherheitsbehörden der anderen Länder.

Wer fällt unter den Begriff des "Reichsbürgers"?

Lewentz: Das Spektrum ist breit. In Rheinland-Pfalz gibt es teilweise einen Bezug zum Rechtsextremismus, teilweise auch zur Rockerszene. Ganz überwiegend sind es aber Einzelpersonen, die dadurch auffallen, dass sie eine starke Verweigerungshaltung gegenüber dem Staat und seinen Organen zeigen. Viele leben in einem geistigen Erbe, das man mit den Stichworten „Bundesstaat Bayern“ oder „Freistaat Preußen“ umschreiben kann. Sie denken in gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Regularien der Kaiserzeit oder des „Dritten Reiches“.

Wie äußert sich diese Haltung gegenüber dem Staat?

Lewentz: Wir haben es erlebt, dass sich Menschen nach dem Motto „Ihr seid keine Polizei, Ihr seid nicht legalisiert, mich zu kontrollieren“ Überprüfungen entziehen wollten. Andere zeigen eine Verweigerungshaltung in Sachen Steuern oder Abgaben. "Reichsbürger" versuchen, mit vielen Schreiben und Mails Verwaltungen lahmzulegen, demonstrieren also eine Art Widerstandshandlung gegenüber der Bundesrepublik und ihren Rechtssystemen. In Einzelfällen geht das bis hin zu Bedrohung, Beleidigung und Nötigung von Verwaltungsmitarbeitern oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Gerichtsvollzieher. Amtsträger werden als „Privatangestellte“ angesehen und nicht anerkannt. Viele haben sich eigene, amtlich aussehende Ausweispapiere und Urkunden gefertigt. Im Netz gibt es dazu viel Propaganda und Argumentationsmuster.

Wie schätzen Sie die Gewaltbereitschaft der "Reichsbürger "ein?

Lewentz: Es gibt in der Szene einzelne Gewaltbereite wie nicht zuletzt der Fall in Bayern gezeigt hat. Deshalb haben wir auf der Innenministerkonferenz auch vereinbart, dass wir die Waffenscheine aller Reichsbürger genau prüfen werden. Von den 495 bekannten Anhängern in Rheinland-Pfalz verfügen 45 über eine waffenrechtliche Erlaubnis. Die Hälfte der Fälle haben wir schon überprüft und einigen sind auch die Waffen entzogen worden.

Sie sehen also ein Gefahrenpotenzial?

Lewentz: Wo es rechtlich geboten ist, gehen wir gegen die Szene vor. Deswegen beobachten wir sie ja auch seit zwei, drei Jahren so intensiv. Es gibt erste Hinweise darauf, dass in ostdeutschen Bundesländern der Verdacht besteht, dass sich Reichsbürger zu einer Art „Wehrsportgruppe“ zusammentun wollen. Mir kommt da sofort die Wehrsportgruppe Hoffmann in den Sinn, eine rechtsextreme Gruppierung, die 1980 verboten wurde. Vor wenigen Jahren mussten wir auch die rechtsextreme, terroristische „Oldschool Society“ erleben. Wir werden dem sehr genau nachgehen. Der Staat wird es niemals akzeptieren, dass es illegale, bewaffnete Organisationen gibt, die sich gegen das Staatswesen richten.

Seit wann gibt es die "Reichsbürger "eigentlich? Einer breiten Öffentlichkeit sind sie wohl erst durch den Polizistenmord von Georgensgmünd im Oktober 2016 bekannt geworden.

Lewentz: Ich war in den 1990er und Anfang der 2000er Jahre Ortsbürgermeister in meiner Heimatgemeinde Kamp-Bornhofen und bin seit 1994 Mitglied des rheinland-pfälzischen Landtags. Schon in den 1990er Jahren habe ich immer mal wieder zusammengeklebte, kopierte Briefköpfe bekommen und Schreiben, in denen Menschen die Handlungen der Gemeinde nicht akzeptiert haben. Das waren Einzelfälle, die wir damals noch als Spinner abgetan haben. Sich damals zu Preußen oder zum Bundesstaat Bayern zu bekennen, schien mir doch sehr abwegig und inhaltlich nicht ernst zu nehmen. Das hat sich leider entwickelt. Wir nehmen diese "Reichsbürgerbewegung" sehr ernst und das nicht erst seit diesem schrecklichen Ereignis in Bayern.

Sehen Sie eine Organisationsstruktur?

Lewentz: Eine breit angelegte Organisationsstruktur können wir nicht nachweisen. Es handelt sich um eine geistige Bewegung. Aber wir müssen aufpassen, dass daraus nicht eine gefestigte, teilweise mit Waffen ausgestattete Struktur gegen diesen Staat entsteht.

Gibt es so etwas wie den typischen "Reichsbürger"?

Lewentz: Für Rheinland-Pfalz können wir sagen, dass etwa 60 Prozent dieser Personen über 50 Jahre alt sind und 70 Prozent Männer. Es gibt eine geringe Schnittmenge mit dem rechtsextremistischen Spektrum. Regionale Schwerpunkte liegen im nördlichen Rheinland-Pfalz in Richtung der Landesgrenze von Nordrhein-Westfalen, gefolgt von der Region Rheinhessen sowie der Vorder- und Südpfalz.

In den vergangenen Monaten war von Streitigkeiten in einem „Freistaat Preußen“ mit Sitz in Bonn und Königsfeld im Kreis Ahrweiler zu lesen...

Lewentz: Diese Begrifflichkeiten sind uns bekannt und wir schauen uns das sehr genau an. Wenn es überhaupt Organisationsstrukturen gibt, dann verlaufen sie nicht entlang irgendwelcher Landesgrenzen. Das hat immer mit einzelnen Aktiven zu tun, die versuchen, Netzwerke aufzubauen und eine kleine Sammlungsbewegung zu organisieren.

Immer wieder ist auch von "Reichsbürgern" im Öffentlichen Dienst die Rede. Haben Sie darüber Erkenntnisse?

Lewentz: Auch das untersuchen wir. In Rheinland-Pfalz gibt es davon eine kleine Anzahl, weniger als zwei Hände voll.

Widerspricht sich das nicht? "Reichsbürger" arbeiten für den Staat, den sie ablehnen?

Lewentz: Mir fehlt jede Fantasie, um irgendein Verständnis für die Ideologie der "Reichsbürger" zu entwickeln. Von Beamten oder Beschäftigten im Öffentlichen Dienst gibt es immer wieder Verfehlungen in genau dem Arbeitsbereich, wo man es nicht erwarten würde. So ist das auch bei Reichsbürgern.

Wie wird man "Reichsbürger"?

Lewentz: Da gibt es wahrscheinlich vielfältige Muster. Das ist auch noch nicht ausreichend untersucht. Da gibt es garantiert die Underdogs, die einfach sagen, „die Bundesrepublik Deutschland ist nicht mein Land“, da gibt es die ewig Gestrigen, die in den Grenzen von 1870/71, 1914 oder 1937 denken, und da gibt es die, die folkloristisch das Gefühl haben, es wäre doch etwas ganz Besonderes, mit einem Pass des „Bundesstaates Bayern“ oder des „Freistaates Preußen“ rumzulaufen. Wir müssen uns aber auch darüber klar sein, dass möglicherweise Rechtsextreme versuchen, Teile dieser Bewegung auf ihre Seite zu ziehen. Dafür gibt es in Rheinland-Pfalz erste Anzeichen.

Würde ein Verbot etwas bringen?

Lewentz: Wenn man das Verbotsverfahren der NPD zu Grunde legt, gibt es dort eine Partei mit einer geschlossenen Mitgliederschaft, mit klaren Führungsstrukturen und einer niedergelegten Ideologie. Das ist bei der "Reichsbürgerbewegung" nicht der Fall. Die Gruppe ist sehr heterogen, hat aber einen gefährlichen, gemeinsamen ideologischer Überbau. Bei einer Verbotsverfügung, also einem Vereinsverbot, muss es um eine gefasste Organisation gehen. Die haben wir hier nicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort