25 Jahre Mauerfall Den Geruch von Freiheit in der Nase

BONN · Der Anruf, der Klaus Peter Rauens Leben entscheidend verändern sollte, kam kurz nach Silvester 1991. Bonns ehemaliger Stadtdirektor war gerade von einem Kurzurlaub auf Sylt zurückgekehrt und saß an seinem Schreibtisch im zwölften Stockwerk des Stadthauses, als das Telefon klingelte.

Am anderen Ende der Leitung: der CDU-Fraktionsvorsitzende von Halle. "Wir sind hinter Ihnen her", sagte er, "wollen Sie unser Oberbürgermeister-Kandidat werden?" Hintergrund: Der damalige OB in Halle war wegen Vorwürfen, inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen zu sein, zurückgetreten. So wurde Rauen zu einem derjenigen aus Ost und West, die ihre ganz eigene Sicht auf den Mauerfall haben.

Rauen erinnert sich noch wie heute, wie überrascht er war. Nach einigem Hin und Her und nachdem auch seine Frau zugestimmt hatte, machte er sich auf den Weg an die Saale. 26 Jahre hatte der gebürtige Düsseldorfer bis dahin bei der Stadt Bonn gearbeitet und sich zuletzt noch mit großem Engagement für den Erhalt seiner Wahlheimat als Bundeshauptstadt eingesetzt.

Er erinnert sich noch gut an den 9. November 1989. Damals ahnte er noch nicht, wie dieser Tag sein Leben verändern sollte. "Ich war spät nach Hause gekommen und guckte mit meiner Frau die Tagesschau. Wir haben uns durch alle Kanäle gezappt und bis tief in die Nacht diese unglaublichen Berichte über den Mauerfall verfolgt", erzählt er.

Den Kontakt zu Halle bekam Rauen, als er auf einer Werbetour für Bonn als Bundeshauptstadt mit dem Beethovenorchester durch die neuen Bundesländer tourte und in der Händelstadt Heribert Beissel als Generalmusikdirektor einführte. Ende Januar 1991 kehrte er zum eigenen Bewerbungsgespräch dorthin zurück. "Es war ein regnerischer Morgen. Und weil ich noch Zeit hatte bis zur Vorstellungsrunde bei den Fraktionen, sah ich mir die Stadt an." Was der heute 79-Jährige dann sah, stimmte ihn traurig, anderseits weckte es seinen Pioniergeist. "Da standen die einst schönsten Denkmäler verfallen als Ruinen."

Die Wahl Rauens zum OB - damals noch durch den Stadtrat - ging glatt über die Bühne. "Ich hatte weitaus mehr als die erforderliche Zweidrittelmehrheit", erinnert sich der Jurist. Drei Jahre später wurde er bei einer Urwahl wiedergewählt. 2000 musste er mit 65 Jahren aus dem Amt ausscheiden. Es galt noch die Altersgrenze. Der Abschied als OB fiel ihm schwer. Mittlerweile waren er und seine Frau, eine Kölnerin, an der Saale heimisch geworden.

Während seine Frau wegen ihrer kranken Mutter wieder nach Bonn zog, arbeitete er in Halle noch viele Jahre in einer Kanzlei als Anwalt und pendelte zwischen Saale und Rhein. Der Pensionär, dessen Frau vor elf Jahren plötzlich mit erst 37 Jahren starb, lebt inzwischen wieder in Bad Godesberg. Würde er die Entscheidung für den OB-Posten in Halle noch einmal treffen? "Ja. Auf jeden Fall!"

Den umgekehrten Weg hat Tobias Erler eingeschlagen. Im Oktober 1989 hatte er mit seiner Familie auf den Straßen von Chemnitz, damals noch Karl-Marx-Stadt, demonstriert. "Wir waren regelmäßig nahe dem 'Nischel', der Büste des Namenspatrons. Das war eine wilde Zeit, wir waren aufgeputscht", erzählt der 47-Jährige Finanzberater. Überrascht war er von der historischen Nachricht, die er am 9. November 1989 im DDR-Fernsehen verfolgte. "Die Situation war für alle neu, auch für die Politik." Und für ihn und seine Schwester stand fest: Ab in den Westen. Wenige Tage später reisten sie mit dem Nötigsten im Gepäck im Güterzug von Plauen zu Verwandten nach Bayreuth. "Alles war völlig überfüllt", erinnert Erler sich.

Als die Geschwister ausstiegen, flog Tobias Erler sofort der "Westgeruch" in die Nase. Wie er den beschreiben soll, weiß er bis heute nicht so recht. Freiheit würde es wohl am besten treffen. "Jedenfalls war es derselbe Duft, den es in den Intershop-Läden bei uns im Osten gab." Als Erler dann im Westen war, ging er als erstes einkaufen, bestaunte die Autos, sah sich "Batman" im Kino an. Und holte sich das Begrüßungsgeld in Höhe von 100 D-Mark ab.

"Wäre ich damals nicht in den Westen gefahren, hätte ich niemals meine Finanzkarriere eingeschlagen", sagt Erler. Denn sein Onkel, der bei der Schwäbisch Hall arbeitete, brachte ihn von seinem Maschinenbaustudium ab und besorgte ihm eine Beraterstelle der Bausparkasse. Erler fuhr zu Seminaren und gehörte zu den ersten Beratern, die einen nagelneuen Ford Fiesta geschenkt bekamen. "Trotzdem blieb ich in Sachsen, ich bin heimatverbunden."

Vor zwei Jahren zog er wegen eines Projekts nach Bonn. "Ich fühle mich hier so wohl, dass ich nicht mehr zurück möchte", sagt Erler. Was ihm nun mehr denn je auffällt, sind die immer noch bestehenden Unterschiede zwischen Ost und West. Da gehe es nicht nur um ein Preisgefälle, sondern um Motivation und Lebensgefühl. "Die Menschen hier am Rhein haben ein ganz anderes, ein fröhlicheres, progressiveres Wesen."

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