Kommentar zum NRW-Jubiläum Der Aufbruch fehlt

Meinung | Bonn · Das Landesjubiläum ist durchaus ambivalent zu betrachten. Denn NRW war schon einmal auf einem besseren Weg.

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen, lautet ein bekanntes Sprichwort. Und wenn wenige Monate später eine wichtige Landtagswahl ansteht, feiert es sich nochmal so gut, könnte man angesichts der großen Festlichkeiten hinzufügen, mit denen in diesen Tagen an die Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen vor 70 Jahren erinnert wird. Kaum ein Bundesland feiert den runden Geburtstag so ausgiebig und intensiv wie das bevölkerungsreichste. Für die Landesregierung und die Ministerpräsidentin dürfte das fast schon eine kleine Imagekampagne sein.

Dabei ist das Landesjubiläum durchaus ambivalent zu betrachten. Ja, es ist richtig, die 70 Jahre angesichts der enormen Leistungen in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, auch dem Sport, zu feiern. Bemerkenswert ist zudem, was die Menschen in NRW an Integrationsleistungen geschafft haben. Die Bundeskanzlerin hat recht, wenn sie daran erinnert, dass zum Beispiel Zuwanderer aus Polen, Vertriebene und Gastarbeiter zu Millionen integriert wurden. Wenn nicht hier, wo sonst wird es gelingen, auch die Flüchtlinge der jüngsten Zeit einzugliedern?

Festzustellen ist aber auch, dass Nordrhein-Westfalen – gerade wirtschaftlich – schon einmal auf einem besseren Weg war. Hier im Westen hat mit der Kohle und dem Stahl aus dem Ruhrgebiet der Wiederaufbau für die ganze damalige Bundesrepublik begonnen. Doch hier machten sich mit dem Niedergang der alten Großindustrien die wirtschaftlichen Probleme auch stärker bemerkbar als in anderen Regionen. Der Strukturwandel begann in den 60er Jahren – abgeschlossen ist er aber längst noch nicht.

Wären das Rheinland, der Niederrhein, das Münsterland, Ostwestfalen-Lippe, das Sauerland oder das Bergische Land wirtschaftlich nicht so erfolgreich, würden dort nicht so viele Weltmarktführer innovativ arbeiten, die Perspektiven des Landes wären düsterer. Manchmal mag man sich fragen, wo denn gerade im und für das Ruhrgebiet die Aufbruchstimmung bleibt.

In den 60er und 70er Jahren ist eine Hochschule nach der anderen im Land gegründet worden. Es waren Zeichen des Aufschwungs. Heute wurschteln viele Kommunen vor sich hin, es werden Konzepte entwickelt, doch es geschieht viel zu wenig. Im vergangenen Jahr gab es in Nordrhein-Westfalen kein Wirtschaftswachstum, in allen möglichen Statistiken liegt das Land im Bundesländervergleich am unteren Ende der Tabellen. Große Aufgaben für die in Politik und Wirtschaft handelnden Personen.

Dass trotz aller Bemühungen in den sieben Jahrzehnten noch immer kein echtes Landesbewusstsein entstanden ist, mag manchen betrüben. Doch Rheinländer und Westfalen arbeiten schon lange in vielen Bereichen pragmatisch zusammen. Vielleicht braucht es ja gar kein besonderes Wir-in-NRW-Gefühl, um sich an Rhein, Ruhr und Weser wohlzufühlen.

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