Europawahl Der Poker ist eröffnet

BERLIN · Die Chance ist da. Martin Schulz sieht glücklich aus, ja, sogar ergriffen. SPD-Chef Sigmar Gabriel, der neben Schulz auf dem Podium steht, wirkt zumindest sehr zufrieden. Im voll besetzten Foyer des Willy-Brandt-Hauses haben 300 Parteifreunde Schulz soeben mit "Martin, Martin"-Rufen empfangen.

 Hand in Hand: CDU-Spitzenkandidat David McAllister (rechts) und CDU-Generalsekretär Peter Tauber beglückwünschen sich.

Hand in Hand: CDU-Spitzenkandidat David McAllister (rechts) und CDU-Generalsekretär Peter Tauber beglückwünschen sich.

Foto: dpa

Sie halten Schilder in Blau und in Rot hoch, auf denen steht: "Jetzt ist Schulz". Ein Genosse vollendet den Satz noch ins erhoffte Ergebnis: "...Präsident."

Jawohl, Schulz, der Spitzenkandidat der deutschen und der europäischen Sozialdemokraten, will der nächste Präsident der Europäischen Kommission werden - als Nachfolger des Portugiesen José Manuel Barroso. Der Aachener sieht ein "Kopf-an-Kopf-Rennen" mit dem Kandidaten der Europäischen Volksparteien, dem Luxemburger Jean-Claude Juncker.

Schulz lächelt. Die Hatz der vergangenen Monate mit 200 Wahlkampfauftritten in 28 EU-Staaten hat sich gelohnt. SPD-Chef Gabriel sagt, nur Kandidaten im US-Präsidentschaftswahlkampf hätten ähnliche Strapazen hinter sich.

Noch nie habe die SPD bei einer deutschlandweiten Wahl ihr Ergebnis derart steigern können wie bei dieser Europawahl. Jubel in der Parteizentrale. Rund 6,5 Prozentpunkte plus sind eine Hausnummer, allerdings von niedrigem Niveau der letzten Europawahl (20,8 Prozent) kommend.

CDU verliert an Stimmen

Gleich bricht Schulz nach Brüssel auf. Abflug 20.30 Uhr. Dort wird er sondieren, wie er eine Mehrheit für sich als Kommissionspräsident "zimmern" könnte. Das könnte auch Folgen für das Kräfteverhältnis innerhalb der Koalition haben.

Die CDU verliert leicht, die CSU in Bayern kassiert eine Klatsche, die SPD legt deutlich zu. Heute Abend treffen sich die Parteichefs von CDU, CSU und SPD in Berlin, um gleichfalls über die Folgen dieser Europawahl zu beraten. Schulz oder Juncker - das ist weiter die Frage.

Erfolg ist meist ein Mannschaftsergebnis. Schulz dankt Gabriel, er dankt der Wahlkampfzentrale "Kampa" und deren Chef, Matthias Machnig, vor allem aber dankt er seiner Familie. Zu Hause in Aachen hänge seit Monaten ein "Bild" von ihm, auf dem wegen Abwesenheit der Name "Martin Schulz" stehe und der Zusatz: "Vorübergehende Erscheinung".

Wird Schulz Kommissionspräsident?

So ist es eben, wenn jemand sich zum Ziel gesetzt hat, einen der wichtigsten Posten der europäischen Politik zu erklimmen. Schulz will den ersten politischen Job in EU-Europa und dabei klassische sozialdemokratische Werte wie Gerechtigkeit, Solidarität und Respekt, aber auch die EU als Friedensprojekt ins Zentrum seiner Arbeit stellen.

Drei Kilometer Luftlinie vom Willy-Brandt-Haus entfernt ist die Stimmung in der CDU-Zentrale nur bedingt fröhlich. Der deutsche Spitzenkandidat David McAllister kann immerhin betonen, dass die Unionsparteien ihr Wahlziel "klar erreicht" hätten. McAllister deutet das Ergebnis ins Positive: "Wir sind die Nummer eins. Wir haben diese Wahl gewonnen."

Die Union in Deutschland habe mit ihrem Resultat "einen Baustein geliefert", dass Juncker Kommissionspräsident werden könne. Auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber betont, die Union sei bei dieser Europawahl weiter "stärkste Kraft". Doch CDU-Chefin Angela Merkel muss damit leben, dass dieses Ergebnis mit leichten Verlusten für ihre Partei auch ein Dämpfer sein könnte. Tauber wehrt ab: "Es ist zu früh, einzelne Details anzuschauen."

Freude über das Wahlergebnis gedämpft

Auch die Freude von Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) über das Wahlergebnis ist deutlich gedämpft. Er sei "insgesamt ganz zufrieden", vor allem dort, wo wie in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen die Menschen neben dem Europäischen Parlament auch ihre Vertreter für die kommunalen Parlamente gewählt hätten.

Dort sei das Ergebnis für die CDU "deutlich besser" gewesen, tröstet Kauder. "Wir haben die Wahl gewonnen und können mit dem Ergebnis gut leben." Kauder will aus dem Ausgang der Europawahl auch gleich noch die von ihm erhoffte Wahl von EVP-Spitzenkandidat Juncker zum Kommissionspräsidenten ableiten.

Doch da hält SPD-Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann dagegen. "Jetzt ist nicht die Stunde der Partei. Jetzt ist die Stunde des Parlaments." Die Abgeordneten in Straßburg müssten nun eine Mehrheit schaffen, um Schulz oder Juncker zum Kommissionspräsidenten zu wählen.

Das Rennen sei offen. "Kopf an Kopf" hatte Schulz gesagt. Er will es gewinnen. Unbedingt. Zumindest dies hat er mit Juncker gemein. Der Poker hat begonnen. Heute folgt in Berlin (unter sechs Augen) und in Brüssel die nächste Runde.

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