Kommentar zum Tod Richard von Weizsäckers Der Souverän

BONN · Die Bundesrepublik, das ist wahr, hat Glück gehabt mit ihren jeweiligen Bundespräsidenten. Aber mit dem einen oder anderen hat sie eben doch mehr Glück gehabt.

Mit Richard von Weizsäcker ganz gewiss. Er hat in einer Weise ausgleichend gewirkt in diesem und für dieses Land, die erst jetzt, zwanzig Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit, in vollem Umfang sichtbar wird. Und das gilt beileibe nicht nur für die große Rede, die er zum 40. Jahrestag des Kriegsendes gehalten hat und die in der Erinnerung als seine einzige große Rede bleibt - so wie von Johannes Rau das Motto "Versöhnen statt spalten" oder von Roman Herzog der "Ruck" seiner Ruckreden.

Versöhnung - das war auch das unausgesprochene Lebensmotto des christdemokratischen Freiherrn. Versöhnung auf lange Sicht. Und gerade deshalb musste er wohl bereit sein, kurzfristig auch zu spalten. Zum Beispiel seine Partei, der er nun wirklich nicht annähernd so eng verbunden war wie Helmut Kohl.

Richard von Weizsäcker war in vielem ein Vorreiter, oft ausgelöst durch seine familiären Erfahrungen. Vorreiter bei der Aussöhnung und Entspannung mit den einstigen Kriegsgegnern, Vorreiter in der Skepsis einer zu intensiven Nutzung der Kernenergie - nach Tschernobyl, nicht erst nach Fukushima. Vorreiter bei der inneren Versöhnung der deutschen Gesellschaft, erst nach den Gewalttaten der RAF, dann bei der Integration des Umweltgedankens und der Grünen-Bewegung. Bis hin zu Sätzen der Toleranz, die so klingen, als seien sie eine Mahnung angesichts heutiger Zustände in der Gesellschaft.

Zeit seines Politikerlebens, also nicht nur in der Phase der zehnjährigen Präsidentschaft, hat von Weizsäcker die Deutschen eine Sicherheit des Urteils spüren lassen, die manche ihm als Arroganz ausgelegt haben, die in Wirklichkeit aber nur eine Folge seines scharfen Verstandes, seiner intellektuellen Brillanz war.

Das machte ihn zuweilen nicht frei von Zügen der Überheblichkeit oder der intoleranten Ungeduld. Das brachte auch seine Parteienkritik ins Zwielicht. Denn von Weizsäcker war ein Politiker, der aus diesem Parteiensystem hervorgegangen ist und der später ausgerechnet in seinem Förderer Helmut Kohl den größten parteiinternen Widersacher fand. Weil der Kanzler, bevor er der Kanzler der Einheit wurde, sich durch sein Hinwegsetzen über Grundsätze des Rechtsstaats auch in Weizsäckers Augen desavouiert hatte.

Der politischste Bundespräsident, den die Bundesrepublik je hatte, war nie nur der Moralist, als den ihn seine Gegner gern verspotteten. Er sah die deutsche Interessenlage, er suchte sie mit moralischen Grundsätzen in Einklang zu bringen. Und er war - das alles zusammengenommen - so authentisch, dass die Bürger ihn schätzten wie keinen Präsidenten zuvor und danach. Das will etwas heißen in dieser saturierten Republik.

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