Kommentar zur Abstimmung im Bundestag Die Ehe für alle versöhnt Recht und Wirklichkeit

Meinung | Bonn · Der Bundestag hat für die Ehe für alle abgestimmt. Das Ergebnis der Abstimmung wird kontrovers aufgenommen. Doch die Entscheidung ist richtig, meint unser Chefredakteur.

Die Kanzlerin ist also nicht dafür. Dennoch hat sie den Weg freigemacht für die Entscheidung zugunsten einer Ehe für alle. Die Richtung hatte schon vor geraumer Zeit das Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Der Spielraum der Regierung war also geringer als er schien. Merkel machte es so wie sie es gerne tut, wenn es um schwierige Entscheidungen geht, die innerhalb der CDU zu längeren und komplizierten Debatten führen könnten und den konservativen Flügel mindestens irritieren: Sie überrumpelt alle. Ob ihr Abstimmungsverhalten taktisch war, um die Konservativen zu besänftigen, oder ob es ihrer echten Meinung entspricht? Man sollte ihr Ehrlichkeit unterstellen.

Debatten sind inhaltlich immer besser, wenn die Fraktionen auf eine Vorfestlegung verzichten. Die Beiträge aus den verschiedenen Parteien machen deutlich, dass man keineswegs ein konservativer Katholik oder fundamentalistischer Protestant sein muss, um an der Ehe für alle Kritik zu üben. Man kann sie aus religiösen Gründen falsch finden. Natürlich ist es eine Entscheidung, deren gesellschaftliche Auswirkungen erst in 15 bis 20 Jahren deutlich werden, wenn es Kinder gibt, die in solchen Konstellationen groß werden. Die Autoren des Grundgesetzes hatten ganz sicher die Ehe von Mann und Frau vor Augen, als es die Familie unter den Schutz des Staates stellte. Sie allein war 1949 die Grundlage des Gemeinwesens und der Gesellschaft.

Dennoch ist die Entscheidung des Bundestages richtig, weil sie die rechtliche Situation mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit versöhnt. Die Formen des Familienlebens sind vielfältig. Kinder gehen nicht mehr notwendigerweise aus Beziehungen hervor. Dafür sorgt die moderne Medizin. Schon heute wachsen viele Kinder in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften auf, oft liebevoller betreut und erzogen als in manch herkömmlicher Ehe.

Schon heute können Homosexuelle Kinder adoptieren. Die Wege dahin sind verschlungen - gleichwohl werden sie beschritten. Eine Ehe bringt nicht nur Rechte, sondern schafft auch Pflichten. Sie sorgt für Verbindlichkeit, sie regelt Fragen der Erbschaft, der Hilfe für Alte und Kranke, des familiären Zusammenhalts. Es ist überhaupt nicht zu erkennen, warum homosexuellen Menschen unterstellt werden muss, sich in Familiendingen nicht wie verantwortungsvolle erwachsene Menschen verhalten zu können. Ihnen gelingt das so gut oder so schlecht wie allen anderen auch. Verbindlichkeit, die Sicherheit in der Familie, das private Glück stehen homosexuellen Menschen genauso zu wie allen anderen auch, weil es eben Menschenrechte sind. Allein daran hat sich das Grundgesetz zu orientieren.

Es wird ein wenig dauern, bis die Skeptiker und Zweifler Merkels Überrumpelung verschmerzt haben. Ob es der der CDU bei der Bundestagswahl schadet? Die Kanzlerin wird es bedacht haben.

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