Kommentar über Martin Schulz vor dem TV-Duell Die große Chance
Meinung | Bonn · Das Duell ist vielleicht letzte Chance für SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. Sein Image könnte sich vom Mr. Aussichtslos wieder in Richtung Mr. Hoffnung wandeln, kommentiert GA-Redakteur Nils Rüdel.
Vom Fußballer Jürgen Wegmann ist der Satz überliefert: „Zuerst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu“. Für SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz gilt: Zuerst hatte er kein Glück, dann kam auch noch Sigmar Gabriel dazu.
Der SPD-Außenminister hat in einem „Spiegel“-Interview Zweifel erkennen lassen, dass seine Partei bei der Wahl noch stärkste Kraft werden kann. Zwar beteuerte Gabriel, er habe das so nicht gemeint. Doch wenn der Ex-SPD-Chef nachträglich betonen muss, er glaube – wirklich, echt jetzt – an Schulz‘ Sieg, dann macht das den Kandidaten lächerlich und untergräbt die Moral der SPD.
Das ist die Lage kurz vor dem TV-Duell zwischen Schulz und Kanzlerin Angela Merkel (CDU): Die SPD schwankt zwischen – nun frisch angefachten – Selbstzweifeln und Zweckoptimismus. Die Union wärmt sich derweil an der Umfragen-Sonne und hofft, es möge alles noch lange so bleiben.
Dass es nicht so bleibt, dafür muss Schulz am Sonntagabend kämpfen. Das Duell ist seine vielleicht letzte Chance. Und tatsächlich: Eine gute, überraschende Performance und in der Folge ein paar Prozentpünktchen mehr in den Umfragen könnten zumindest reichen, um ein neues Momentum für die SPD zu entfesseln – ähnlich wie nach Schulz‘ Nominierung. Sein Image könnte sich dann vom Mr. Aussichtslos wieder in Richtung Mr. Hoffnung wandeln. Wenn sich das Umfrageplus denn länger als eine Woche hält.
Ein solcher Stimmungsumschwung wäre für Merkel gefährlich. Ihre Botschaft – Sie kennen mich, läuft doch alles gut – liefe ins Leere, wenn plötzlich doch eine Alternative möglich erscheint. Noch immer ist fast die Hälfte der Wähler unentschlossen.
Bislang hat sich die Kanzlerin im Wahlkampf erfolgreich als eine Art freundliche Bauchladen-Verkäuferin gegeben, die für jeden etwas im Körbchen hat. Sie hat ein Herz für Flüchtlinge gezeigt, verfolgt aber längst eine knallharte Asylpolitik. Sie kann sich Zulassungsverbote für Verbrennungsmotoren vorstellen, will aber noch „Jahrzehnte“ am Diesel festhalten.
Sie ist gegen die Ehe für alle, hat aber deren Einführung möglich gemacht. Kritiker bezeichnen sie deshalb wahlweise als wegflutschende Seife oder als Pudding, der nicht an die Wand genagelt werden kann. Doch Merkel hat bisher ja keinen Grund, etwas zu ändern: Die Wähler honorieren das als Pragmatismus. Schulz, der sich mit einem Konzept nach dem anderen abrackert, würde Merkel wohl am liebsten den Bauchladen wegreißen und laut rufen: Wofür stehst Du eigentlich?
Am Sonntag hat er die Gelegenheit. Es steht viel für ihn auf dem Spiel. Die Wahrscheinlichkeit, dass er Kanzler wird, ist zwar gering – selbst wenn er am Ende gut abschneiden sollte, fehlen der SPD weiterhin realistische Machtoptionen. Aber längst geht es auch um Schulz‘ eigene Zukunft in der Partei. Der angeblich missverstandene Gabriel lauert schon.