Blick auf Geschichte der Partei Die Grünen feiern 40. Geburtstag

Berlin · Die westdeutschen Grünen gründeten ihre Partei Anfang 1980, zehn Jahre später vereinigten sie sich mit der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung Bündnis 90. Der Marsch durch die Institutionen könnte im Kanzleramt enden

 Runder Geburtstag: Die Grünen sind vor 40 Jahren gestartet.

Runder Geburtstag: Die Grünen sind vor 40 Jahren gestartet.

Foto: dpa/Stefan Sauer

Mit Sonnenblumen in den Haaren, selbstgestrickten Pullovern, zotteligen Bärten und einer fundamentalistischen Opposition zum bestehenden Parteiensystem sind die Grünen vor 40 Jahren gestartet. Auf ihrem runden Geburtstag am Freitag saßen nun viele politische Pragmatiker, die von ihren Parteifreunden damals verachtet worden wären.

„Die damaligen Grünen wollten im Parlament Stimme der außerparlamentarischen Bewegung sein“, erinnert sich Jürgen Trittin, der selbst einen langen Weg von der Mitgliedschaft in K-Gruppen zum Umweltminister in der ersten rot-grünen Bundesregierung bis hin zum abwägenden Außenpolitiker gegangen ist. „Die heutigen Grünen sind eine Partei, die diese Gesellschaft durch Regierungsbeteiligungen verändert“, sagt Trittin. Welche Grundsätze von einst mussten über Bord geworfen werden, welche gelten heute noch, welche werden den Grünen die Zukunft sichern?

Basisdemokratie: Während Parteien in der alten Bundesrepublik von oben geführt wurden, hatten die Grünen die Basisdemokratie zum Prinzip erhoben. Um den Willen der widerstreitenden Kräfte zu kanalisieren, schuf sich die Partei ein umfangreiches Regelsystem. Die Trennung von Amt und Mandat, die Frauenquoten, die Verlosung von Rederechten oder Doppelspitzen haben sich bewährt. Im Jahr 2020, in dem die Digitalisierung eine Mitsprache von allen über alles möglich macht, gilt die Basisdemokratie der Grünen sogar als zukunftsweisendes Modell. Die noch älteren Parteien schielen inzwischen neidisch auf das Modell, das geschickt organisiert parteiinterne Konflikte auch befrieden kann. Mühsam bleibt sie dennoch: Auf ihrem Bielefelder Parteitag beschäftigten sich die Grünen mit mehr als 1000 Anträgen. Manches Mitglied würde deshalb gerne die Regel abschaffen, dass schon Gruppen ab 20 Delegierten Änderungsanträge stellen dürfen. Fazit: Basisdemokratie hat Zukunft.

Ökologie: Der Umweltschutz ist die wichtigste Wurzel der Partei. Ende der 70er Jahre gefährdete der „saure Regen“ nicht nur die Wälder und in Brokdorf und Wackersdorf formierte sich die Anti-Atomkraft-Bewegung, deren Haltung 1986 durch Tschernobyl noch mehr Anhänger fand. Ohne die Grünen wäre der Atomausstieg undenkbar gewesen. Der Gestaltungsanspruch geht heute aber deutlich darüber hinaus: Sie wollen bei allen relevanten Themen mitreden und ab 2021 regieren. Energiewende, Agrarwende, Verkehrswende und der sozial-ökologische Umbau der Wirtschaft überschreiben die umfangreiche programmatische Arbeit an den neuen Identitätsthemen.

Nach einer Delle in der Popularität der Öko-Themen und dem Vorwurf, die Grünen seien eine Verbotspartei, hat ihnen die Fridays-for-Future-Bewegung neuen Auftrieb verliehen. „Die Grünen lägen in Umfragen nicht über 20 Prozent, wenn es Fridays for Future nicht gäbe“, sagt Christa Nickels, Gründungs-Grüne und Mitglied der ersten Bundestagsfraktion. „Diese Jugendbewegung erinnert mich sehr an uns früher. Wir waren aber wilder.“ Die Aktivisten heute agierten sehr überlegt und träten wohlerzogen auf. „Die Impulse aber sind die gleichen.“ Greta Thunberg sei für sie die Enkelin von Petra Kelly. Der neue Auftrieb spiegelt sich in der Mitgliederzahl wider. Sie stieg von 65 000 seit Ende 2017 um mehr als ein Drittel auf heute fast 100.000. Fazit: Das Öko-Thema ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und sichert den Grünen weiter Zulauf.

Pazifismus: Die Grünen definierten sich einst als pazifistische Partei. Auf Kriegsfuß standen sie nur mit Polizei und Bundeswehr. Die Entscheidung, die Bundeswehr 1999 am Kosovokrieg zu beteiligen, brachte die Wende hin zur Realpolitik. Unter Außenminister Joschka Fischer siegten damals die rechten „Realos“ über die linken „Fundis“ in der Bundestagsfraktion.

Innerparteilich beherrschten  die intensiven Flügelkämpfe das Erscheinungsbild noch über viele Jahre. Persönliche Anfeindungen waren an der Tagesordnung. Es gibt Verletzungen, die bis heute nicht verziehen sind. So wollten etwa einige der älteren Grünen, die Bundesgeschäftsführer Michael Kellner 2015 zur Feier des 35-jährigen Bestehens in die Parteizentrale eingeladen hatte, nicht nebeneinander sitzen. Kellner musste die Platzkarten kurzerhand verlosen. Erst den neuen Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock gelang es ab 2018, die Flügelkämpfe zu beenden und die gesamte Partei hinter sich zu einen.

Was die heutige Friedenspolitik betrifft, wünscht sich Gründungsmitglied Nickels mehr Durchschlagskraft: „Bezogen auf die große internationale Kriegsgefahr wünsche ich mir eine lautere Stimme der Grünen.“ Fazit: In der Außen- und Sicherheitspolitik haben sich die Grünen dem Mainstream angepasst.

Anti-Parteien-Partei: Während die Grünen in ihren Gründungsjahren Regierungsbeteiligungen ablehnten, haben sie heute die meisten Machtoptionen, was sich in Bündnissen mit Union, SPD, Linken und FDP zeigt. Das Prinzip der Anti-Parteien-Partei haben sie ins Gegenteil gekehrt. Fazit: Nun besteht für die Grünen die Herausforderung darin, in den Landesregierungen und in einer möglichen schwarz-grünen Bundesregierung erkennbar zu bleiben – eine der schwierigsten Übungen.

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