Parteitag im Januar Die Grünen können alte Gräben überwinden

BERLIN · Cem Özdemir will schon bald nicht mehr Vorsitzender der Grünen sein. Ende Januar wählt seine Partei nun ein neue Parteispitze. Ein Analyse.

Ach, die Flügel. Irgendwie von gestern. Grünen-Chef Cem Özdemir, der bald nicht mehr Vorsitzender sein will, findet jedenfalls, „dass ein Parteichef für die ganze Partei steht und nicht nur für einen Flügel“. Das ist schön gesprochen, schließlich haben Realo Özdemir und die Parteilinke Simone Peter als Grünen-Doppelspitze gerade wegen ihrer unterschiedlichen Positionen in den vergangenen vier Jahren manche Fehde ausgetragen. Realos gegen Linke – diesen Streit pflegen die Grünen mit Überzeugung und einiger erneuerbarer Energie im Prinzip seit ihrer Gründung 1980.

Ende Januar nun wählen die Grünen, die sich fünf Wochen Hoffnung auf eine Jamaika-Koalition mit Regierungsbeteiligung machen durften, eine neue Parteispitze. Özdemir, seit mittlerweile neun Jahren Vorsitzender einer Partei, die ihre Vorsitzenden in wilderen Zeiten im Zwei-Jahres-Rhythmus verbrauchte, tritt nach Wahlkampf und gescheiterten Jamaika-Sondierungen ab. Was er künftig machen wird, formuliert Özdemir bewusst offen. „Dort, wo Partei und Fraktion glauben, dass ich meine Fähigkeiten am besten einbringen kann, werde ich das tun.“ Allerdings baut Özdemir schon für den Fall von Neuwahlen im kommenden Jahr vor. Für einen solchen Fall gehe er davon aus, dass die alten Spitzenkandidaten der Grünen auch die neuen wären: Bundestagsfraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und er.

Aber dann muss ihre Partei auch geführt werden. Wenn sich die Delegierten des Grünen-Parteitages Ende Januar vermutlich in Hannover versammeln, liegen ihnen bereits jetzt drei Bewerbungen für die Parteispitze vor. Der Grünen-Umweltminister in Schleswig-Holstein, Robert Habeck, könnte Nachfolger von Özdemir werden.

Läuft es auf eine Kampfabstimmung hinaus?

Zudem hat die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock aus Brandenburg, die auch Teil des Grünen-Jamaika-Sondierungsteams war, ihre Kandidatur angekündigt. Baerbock versteht sich wie Habeck als flügelübergreifend, wird intern aber ebenso wie Habeck zu den Realos gezählt. Es könnte auf eine Kampfabstimmung gegen Parteichefin Simone Peter hinauslaufen, die ihr Amt behalten will. Reala Baerbock gegen Linke Peter – ein bei den Grünen allzu bekanntes Muster. Ob die Grünen, die ihre widerstreitenden Flügel seit nahezu 38 Jahren bei der Besetzung ihrer Parteispitze repräsentieren, inzwischen zwei Realos an der Spitze akzeptieren?

Özdemir sieht seinen potenziellen Nachfolger Habeck als „flügelübergreifenden Kandidaten“. Er appelliert an die Grünen, für die harte Auseinandersetzung der kommenden vier Jahre „die bestmögliche Aufstellung“ zu wählen und pragmatisch zu entscheiden. Damit spricht sich Özdemir indirekt gegen die Flügelzange Realo/Linke aus. Simone Peter wird es interessiert zur Kenntnis nehmen.

Für die Wahl von Habeck zum neuen Vorsitzenden müsste der Parteitag noch eine Hürde beiseite räumen. Habeck, zentrale Figur der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein, will für eine Übergangszeit sowohl seinen Ministerposten in Kiel wie auch dann das Amt des Parteichefs bekleiden. Dies ist nach Grünen-Statuten nicht gestattet und würde eine Satzungsänderung nötig machen. Nach der Dynamik von Grünen-Parteitagen könnte sich hier der Unmut des linken Parteiflügels entladen, wenn mit Habeck und Baerbock zwei Quasi-Realpolitiker an die Parteispitze streben. Habeck: „Ich sehe mich nicht in erster Linie als Minister, sondern als politischen Menschen.“

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