Interview mit Luisa Neubauer von Fridays for Future „Die Klimakrise macht Menschen krank“

Bonn · Die Menschen hingen jetzt an den Lippen der Virologen, hingegen würden Klimaexperten seit Jahrzehnten nicht gehört, sagt die Aktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future. Die Enttäuschung über die Klimapolitik sei höher denn je.

 „Die Klimakrise ist die Fundamentalkrise schlechthin“, sagt Luisa Neubauer.

„Die Klimakrise ist die Fundamentalkrise schlechthin“, sagt Luisa Neubauer.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Frau Neubauer, freitags kommen immer weniger Schüler zu den Demonstrationen. Hat Fridays for Future den Zenit schon überschritten?

Luisa Neubauer: Das werde ich seit einem Jahr gefragt. Das ist nichts, warum wir nachts nicht gut schlafen. Wir mobilisieren zu den großen Streiks immer wieder viele Leute. Es gibt keine ausreichende Klimapolitik in Deutschland und wir werden sie weiter einfordern. Ob freitags auf der Straße oder in einer anderen Form. Die Entrüstung und Enttäuschung über das Fehlen einer richtigen Klimapolitik ist bei Fridays For Future höher denn je.

Fridays for Future ist monothematisch. Wenn Sie sich zu Gesundheit oder Rechtsterrorismus äußern, hat das wenig Durchschlagskraft. Sollte sich diese Bewegung breiter aufstellen?

Neubauer: Man könnte auch sagen, dass sich Fridays for Future um die existenzielle Krise unserer Zeit kümmert, deren erfolgreiche Bewältigung Grundlage für jedes andere Politikfeld ist.

Für das Coronavirus?

Neubauer: Zum Beispiel für intakte Gesundheitssysteme. Die Klimakrise macht Menschen krank und überlastet die Gesundheitssysteme. Sie ist die Fundamentalkrise schlechthin. Sie rüttelt an all unseren Strukturen. Und mit der Globalisierung jetten auch Krankheiten – wie wir selbst – um die Welt. Früher haben wir eine Krise im fernen Asien nicht mitbekommen, heute ist sie in null Komma nichts bei uns.

Sahra Wagenknecht sieht sich durch Corona in der Forderung nach „einem vernünftigen Maß an Deglobalisierung“ bestätigt.

Neubauer: Historisch gesehen gibt es keinen Anlass, davon auszugehen, dass ein Schritt zurück mehr bringt. Das hat schnell etwas Reaktionäres und Nationalistisches. Man kann Zeit und Entwicklung nicht zurückdrehen. Man kann aber die  Globalisierung kritisieren.

Tun Sie es.

Neubauer: Wie menschenrechtskonform sind unsere Handelsverträge, wie schützen wir Biodiversität in einer Zeit, wo Artensterben provoziert wird, wie gehen wir mit Tieren, die wir wie Produkte behandeln, verpacken, verschlingen und wegschmeißen. Wir werden eines Tages auf unsere Gesellschaft gucken und uns fragen, was zum Henker wir uns dabei gedacht haben. Wer sind wir, dass wir mit Lebewesen so umgehen, die unseresgleichen sind.

Woran liegt es, dass die Ziele, die sich die Bundesregierung setzt, unzureichend sind?

Neubauer: Vor Fridays for Future gab es zu wenig Gründe für eine Regierung, eine stringente Klimapolitik umzusetzen, weil die kurzfristigen Kosten so hoch sind. Es gab keine starke Lobby und damit gar keine Zielgruppe, für die man diese Politik machen sollte. Es wurde auch einfach nicht belohnt. Zusätzlich haben wir ein gigantisches Aufklärungsdefizit in Politik und Medien.

Und zwar?

Neubauer: Die Corona-Krise beweist doch, dass es anders gehen kann. Wir hängen an den Lippen der Virologen. Hier erklären uns Experten, was zu tun ist, und dann setzen wir das um. Scientist for Future hat 30 000 Leute, die seit Jahrzehnten forschen, aber nicht gehört werden. Wir rechnen immer noch nicht um, was die Klimakrise kostet. Es steht nirgends, was es gekostet hat, dass es im Sommer nicht regnete.

Hätten wir eine bessere Klimapolitik, wenn der Klimawandel so schnell so gefährlich würde wie das Coronavirus?

Neubauer: Würden wir die Klimakrise halb so ernst nehmen wie die Coronakrise, wäre uns geholfen.

Befürchten Sie eine Radikalisierung von Fridays von Future, wenn sich die Politik nicht schneller bewegt.

Neubauer: Wir bleiben friedlich, natürlich. Falls das die Frage war. Die Verweigerungshaltung von politischen Instanzen hingegen wird immer radikaler.

Was ist das Problem der jungen Generation, die in einem nie dagewesenen Reichtum dieses Landes aufgewachsen ist?

Neubauer: Wir sind super privilegiert. Wir haben es wahnsinnig gut. Für uns wurde alles gemacht, wir können alles und überall studieren und reisen, wohin wir wollen …

… ist es ein Problem, wenn alles schon da ist?

Neubauer: Uns haftet das Vorurteil an, wir seien undankbar. Wir mussten nicht für die Wiedervereinigung kämpfen. Es gab keinen Grund, nach etwas Besseren zu streben. Ich hatte kein politisches Erschütterungsmoment in meiner Kindheit, und ich kenne keine andere Kanzlerin als Merkel. Beständigkeit, Ruhe bewahren, Wohlstand sichern. Ganz gemütlich. Merkelisiert. Wir sind eine Generation, bei der alles immer okay war, plus minus. Und so entstand der Mythos von der unpolitischen Jugend. Und zu einem Teil stimmte das ja auch.

Was macht der andere Teil?

Neubauer: Weil uns auch immer beigebracht wurde, dass alles möglich ist, haben wir begonnen die Klimakrise zu bekämpfen und die Regierung aufzuwecken. Und dann kamen Leute und haben uns gesagt, sie hätten gegen die Atomkraftwerke protestiert und für die Frauenemanzipation und wir sollten jetzt mal ein bisschen chillen. Wir haben uns aber entrüstet.

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