Interview mit Katharina Schwabedissen Die Linken-Spitzenkandidatin über die Chancen ihrer Partei, die Piraten und Hannelore Kraft

BONN · In den Umfragen liegt die Linke bei drei Prozent. Trotzdem zeigt sich die Spitzenkandidatin Katharina Schwabedissen im Interview optimistisch, dass die Partei wieder in den Landtag kommt. Bernd Eyermann und Ulrich Lüke sprachen mit Katharina Schwabedissen über die Chancen ihrer Partei, die Piraten, die Minderheitsregierung und Hannelore Kraft.

 "Die soziale Ungerechtigkeit ist mit Händen zu greifen", sagt Katharina Schwabedissen.

"Die soziale Ungerechtigkeit ist mit Händen zu greifen", sagt Katharina Schwabedissen.

Foto: dpa

Angesichts sinkender Umfragedaten: Warum tun Sie sich diese Spitzenkandidatur an?
Katharina Schwabedissen: Weil ich überzeugt bin von dem, was ich da tue. Und: Wir wollen keine Umfragen, wir wollen Wahlen gewinnen.

Warum sind Sie eine Linke?
Schwabedissen: Ich bin das gefühlt schon immer. Ich komme aus einem linken Elternhaus und habe schon früh soziale Ungerechtigkeit erlebt. Dieses Auseinanderklaffen von Arm und Reich in dieser Gesellschaft - das darf einfach nicht sein.

Nun soll es ja auch den einen oder anderen Sozialdemokraten geben, der so denkt...
Schwabedissen: Die SPD ist nicht mehr sozialdemokratisch, das ist das Problem. Meine Eltern waren beide in der SPD, sind beide ausgetreten. Die Agenda-Politik der SPD hat gezeigt, dass sie nicht mehr auf der Seite der Mehrheit der Bevölkerung steht, sondern Politik für die Reichen macht. Das ist weder sozial noch demokratisch und deshalb keine Alternative für mich.

Haben Sie Frau Kraft in die Neuwahlen getrieben mit Ihren Forderungen nach Wohltaten?
Schwabedissen: Ich fänd' das spektakulär, wenn eine Partei mit 5,6 Prozent Stimmen es schafft, eine Regierung dazu zu bringen, aufzugeben. Nein, so war es nicht: Die Regierung wollte Neuwahlen, sie hat auch nichts versucht, sie abzuwenden. Sie ist uns ja auch keinen Zentimeter entgegengekommen. Das Sozialticket für Bus und Bahn, das wir fordern, hätte im zweiten Halbjahr 35 Millionen Euro gekostet, die Neuwahlen kosten 45 Millionen. SPD und Grüne haben diese Regierung an die Wand fahren lassen.

Keine Mitschuld?
Schwabedissen: Unsere Inhalte, das war klar, würden in dem neuen Haushalt nicht vorkommen. Deshalb konnten wir nicht zustimmen.

Glauben Sie noch an den Stimmungsumschwung?
Schwabedissen: Das wird nicht leicht, das wird kein Spaziergang. Wir kämpfen, wir wollen den Menschen in NRW nahebringen: Ohne uns wird die soziale Spaltung in diesem Land schlimmer werden, egal wer regiert. Und dafür, dass wir dagegen angehen, bekommen wir sehr viel Zuspruch aus der Bevölkerung, aus den Gewerkschaften. Sollten wir nicht wieder in den Landtag kommen - ich bin überzeugt: wir schaffen es -, wird die Linke aber nicht zusammenbrechen. Wir haben ja auch bis vor zwei Jahren hier außerparlamentarisch Politik gemacht.

Es geht also bei den Wahlen hier und in Schleswig-Holstein nicht um die Existenz der Linken?
Schwabedissen: Nein. Gerade hier in NRW kann man das soziale Auseinanderklaffen ja angucken. Hier leben 2,4 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Und hier leben mehr als 4000 Einkommensmillionäre. Die soziale Ungerechtigkeit ist hier mit Händen zu greifen.

Wenn das so ist, müssten sie doch bei 7 oder 8 Prozent stehen?
Schwabedissen: Kann ja noch kommen.

Erschwerend kommt hinzu, dass Ihnen im Wahlkampf die Führung abhanden gekommen ist...
Schwabedissen: Uns ist doch nicht die Führung abhanden gekommen. Gesine Lötzsch ist zurückgetreten, weil sie sich um ihren kranken Mann kümmert. Die Menschen haben davor Respekt. Und Klaus Ernst ist ja nach wie vor Bundesvorsitzender.

Auch ihre Nummer zwei auf der Liste im Land ist ausgefallen.
Schwabedissen: Leider, das ist sehr traurig. Wolfgang Zimmermann hat, wie Sie wissen, Lungenkrebs. Aber er wird wiederkommen.

Vor zwei Jahren waren die Linken der Shooting-Star am Parteienhimmel, jetzt sind das die Piraten. Sind Sie auf sie sauer?
Schwabedissen: Sauer? Nein. Die Piraten sind ein Phänomen, das man ernst nehmen muss. Aber sie sind sehr indifferent in ihren Inhalten. Das Bedürfnis der Wählerinnen und Wähler nach Protest finden wir berechtigt. Aber die Piraten sind eben keine Protestpartei, sie sind in den Protestbewegungen überhaupt nicht verankert. Wir schon.

Wenn Sie die Minderheitsregierung bilanzieren: Wie haben Sie sich gefühlt? Als Anhängsel, Juniorpartner, notwendiges Übel?
Schwabedissen: Ich würde notwendig unterstreichen, das Übel wegstreichen. Wir waren die Vertretung für die Interessen der Menschen und haben nach Inhalten entschieden.

Beispiel?
Schwabedissen: Dichtheitsprüfung. Da haben wir mit CDU und FDP gestimmt. Bei der Abschaffung der Studiengebühren, der Stärkung der Mitbestimmung oder der Abwahlmöglichkeit der Bürgermeister waren wir an der Seite von SPD und Grünen. Wir hätten uns gewünscht, dass das Projekt der Minderheitsregierung weitergegangen wäre, weil es das Parlament und damit die Demokratie gestärkt hat.

Ihre Projekte konnten Sie vor allem im ersten Jahr durchbringen. Haben Sie sich im zweiten Jahr als Verstoßene gefühlt?Schwabedissen: Nein. SPD und Grüne haben mit dem Schulfrieden ja beschlossen, dass ihnen das Thema Soziale Gerechtigkeit zu anstrengend ist.

Wie meinen Sie das?
Schwabedissen: Es ist doch absurd, dass SPD und Grüne 2010 im Wahlprogramm eine Schule für alle versprachen und nun genau das Gegenteil, nämlich das mehrgliedrige Schulsystem, in der Landesverfassung verankert haben. Außerdem haben sie Milliardengelder für die WestLB ausgegeben, und in den Kommunen wird gekürzt, geschlossen und privatisiert. SPD und Grüne haben die Idee der vorsorgenden Sozialpolitik verraten. Damit war auch klar, dass wir ihnen keine Mehrheiten für den Haushalt bringen würden.

Sie üben viel Kritik an der Ministerpräsidentin.
Schwabedissen: Das Programm "Jedem Kind eine warme Mahlzeit" soll im Haushalt 2012 um 70 Prozent gekürzt werden. Wenn Frau Kraft nun im Wahlkampf sagt, es soll kein Kind zurückgelassen werden, dann meint sie diese armen Kinder nicht. Im Ruhrgebiet gibt es Kinder, die in der Schule umfallen, weil sie Hunger haben. Lehrerinnen bringen Kekse und Butterbrote mit in die Schule, damit die Kinder etwas zu essen bekommen.

Kitas für alle, Sozialticket für ganz NRW, weitere soziale Wohltaten - wo soll das Geld herkommen?
Schwabedissen: Das Geld ist ja da, es ist nur umverteilt worden - von unten nach oben. Wenn wir die rot-grüne Steuerreform von 2000 nicht gehabt hätten, wären die öffentlichen Kassen voll. Die muss rückgängig gemacht werden. Wir fordern einen höheren Spitzensteuersatz und eine Millionärssteuer.

Darüber wird aber doch auf Bundesebene entschieden.
Schwabedissen: Nordrhein-Westfalen ist ein großes Land und kann über den Bundesrat initiativ werden. Und wir brauchen natürlich mehr soziale Proteste.

Zur Person: Die 39-jährige Katharina Schwabedissen ist seit vier Jahren Linken-Landeschefin. Sie kommt aus der Vorläuferpartei WASG. Die gebürtige Bielefelderin ist gelernte Krankenschwester, hat später Geschichte und Philosophie studiert. Sie hat zwei Söhne von neun und 14 Jahren und wohnt in Witten. (ye)

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