Kommentar zum Katholikentag Die neue Offenheit

Meinung · Der Katholikentag in Leipzig fällt in eine Zeit, die nicht günstiger sein könnte. Für die katholische Kirche selbst, für ihre Laien und für die Positionsbestimmung der Kirche in dieser Gesellschaft.

Bundespräsident Joachim Gauck hat das gestern Abend zur Eröffnung sehr schön deutlich gemacht, als er Johannes Rau zitierte: „Die Welt liegt im Argen. Aber da muss sie nicht liegenbleiben.“ Katholikentage sind schon seit Jahrzehnten – darin den evangelischen Kirchentagen gleich – Signale des Aufbruchs, des Handelns, der Zuversicht.

Der wesentliche Unterschied zu früheren Jahren liegt darin, dass sich dieses größte Treffen katholischer Laien in Deutschland damit wieder im Einklang mit der katholischen Amtskirche, vor allem im Einklang mit Papst Franziskus befindet. Früher wurde zwar auch der Aufbruch oder der Mut zu neuen Anfängen gepredigt, aber im selben Moment war man sich ziemlich sicher, dass daraus nichts werden würde. Weder im Erzbistum Köln noch in Rom. Anders gesagt: Die Kirche lebt wieder. Oder mit den Worten des Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg: „Es ist Bewegung in der Kirche“. Es ist – bis auf Ausnahmen – Schluss mit Selbstbeweihräucherung, Schluss mit Stillstand, Schluss mit Reformunwillen.

Dies allein ist Grund zur Freude. Nicht, dass die katholische Kirche in den vergangenen Jahren – abseits der Aufarbeitung der Missbrauchs- und Finanzskandale – nichts zur gesellschaftlichen Entwicklung beigetragen hätte. Der Bundespräsident hat auch darauf gestern Abend nicht nur im Zusammenhang mit der Flüchtlingshilfe hingewiesen. Aber dieses Engagement hat durch die Entwicklung in der Bischofskonferenz und in der Weltkirche neuen Schwung gewonnen. Der verhilft auch zu mehr Klarheit.

Exemplarisch macht das der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki vor. Die katholische Amtskirche stand jahrelang an der Seite von CDU und CSU, manche erinnern sich noch an entsprechende Sonntagspredigten. Heute stellt sich ein Kardinal hin und nennt den europäischen Flüchtlingsdeal mit der Türkei – zu einem guten Teil das Werk Angela Merkels – „infam“ und Horst Seehofers Abschottungspolitik und die damit verbundene Wortwahl „zynisch“, bezeichnet sie als „zivilisatorischen Bruch mit den Werten Europas und unserer deutschen Verfassung“. Das sagt er jenem Seehofer, der Merkel wiederum Verfassungsbruch vorgehalten hat. Das ist starker Tobak, vor allem aber ist das eine klare Ausrichtung an dem, was Christentum ausmacht, mag man es nun Barmherzigkeit, Solidarität oder Mitmenschlichkeit nennen.

Woelki zelebriert am heutigen Fronleichnamstag den Festgottesdienst auf dem Roncalliplatz an einem Flüchtlingsboot aus Malta. Sternberg assistiert ihm, indem er seine tiefen Sorgen über das Zerbröseln der europäischen Idee, deutlich macht, die ja auch eine Solidaritätsidee ist. Man mag diesen Katholiken Weltfremdheit oder Naivität vorhalten. Christlicher als das, was Europa in diesen Tagen macht, ist es allemal. Und fern von jener Ängstlichkeit und Abgrenzung, die die AfD hier in Deutschland, die Front National in Frankreich und all die anderen rechten Bewegungen predigen. Gauck hat auch hier Recht. Zu Christen passt es nicht, Jammerlieder anzustimmen.

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