Kommentar zu Martin Schulz und der SPD Die NRW-Wahl wird zur Schicksalswahl
Meinung | Bonn · Das politische Kräfteverhältnis in der SPD hat sich bereits umgekehrt: Schulz ist jetzt auf Kraft angewiesen, und nicht mehr Kraft auf Schulz, sagt GA-Korrespondentin Birgit Marschall.
Am Tag nach der Schleswig-Holstein-Wahlschlappe hält der SPD-Vorsitzende eine beachtliche, grundsolide wirtschaftspolitische Grundsatzrede. Eine Rede, die auch Gerhard Schröder hätte halten können, und womöglich sogar Angela Merkel.
Es war eine Rede, die einem gemäßigten SPD-Kanzlerkandidaten der Mitte gut zu Gesicht stand. Die bei den Zuhörern in der Berliner Industrie- und Handelskammer den Eindruck hinterlassen haben dürfte, dass Deutschland und seine Wirtschaft unter einem Kanzler Schulz nicht gegen die Wand gefahren würden. Man fragte sich nur: Warum erst jetzt diese Rede, Herr Schulz?
Was nur haben sich der SPD-Chef und seine Strategen im Willy-Brandt-Haus dabei gedacht, diesen wichtigen Termin erst einen Tag nach der Schleswig-Holstein-Wahl zu setzen? Nach dieser Wahl war das Kind für die SPD längst in den Brunnen gefallen.
Hätte sich Schulz rechtzeitig vor der Landtagswahl zu Wort gemeldet, hätte er seiner Partei wahrscheinlich mehr Rückenwind gegeben. Zumal viele Wähler im hohen Norden in Umfragen angegeben hatten, dass sie vom SPD-Hoffnungsträger Schulz seit Wochen gar nichts mehr gehört hätten. Am Tag nach der Landtags- und der noch viel wichtigeren Frankreich-Wahl konnte Schulz' Rede zudem kaum Breitenwirkung entfalten, weil andere Dinge wichtiger waren.
Schulz setzte immerhin wichtige Akzente. Er versprach kein soziales Füllhorn. Mit ihm werde es keine deutliche Ausweitung von Sozialleistungen geben. Das ist angesichts der Steuerschätzung, von der in dieser Woche wieder die Botschaft ausgehen wird, dass der Staat in den kommenden Jahren noch mehr Geld einnehmen wird, eine bemerkenswerte Aussage von einem SPD-Kanzlerkandidaten. Auch versprach Schulz keine hohen Steuersenkungen, kleine und mittlere Einkommen könnten allerdings mit Entlastungen rechnen.
Neue Töne also von Schulz, der die SPD mit dieser Grundsatzrede stärker als bisher in die Mitte rückte. Zugleich ging Schulz deutlicher als bisher auf Distanz zur Linkspartei. Auch das war wichtig, denn die beiden Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein haben eines verdeutlicht: Die Mehrheit der Bürger möchte die Linken in keiner rot-rot-grünen Regierung sehen.
Die NRW-Wahl in weniger als einer Woche wird für Schulz zur Schicksalswahl. Verliert die SPD auch hier, ist Schulz für die Bundestagswahl bereits erledigt. In NRW allerdings ist die SPD mit Hannelore Kraft deutlich stärker als in Schleswig-Holstein mit Torsten Albig, der in den letzten Wahlkampfwochen persönliche Fehler machte. Der Schwenk von Schulz stärker in die Mitte mag Hannelore Kraft auf den letzten Metern ihres Wahlkampfs helfen. Doch in Wahrheit hat sich das politische Kräfteverhältnis bereits umgekehrt: Schulz ist jetzt auf Kraft angewiesen, und nicht mehr Kraft auf Schulz.