Die Lage bei der AfD Die Rechtspopulisten aus NRW

Düsseldorf · Sechs Monate vor der Landtagswahl will die AfD den Ruf der Ein-Thema-Partei loswerden. In NRW befindet sich die Partei schon wieder im Sinkflug, die Umfragewerte sinken.

 Will den Rückgang der AfD in NRW stoppen: Landeschef Marcus Pretzell.

Will den Rückgang der AfD in NRW stoppen: Landeschef Marcus Pretzell.

Foto: picture alliance / dpa

Marcus Pretzell ruft wie vereinbart zurück und nimmt sich fast eine Stunde Zeit. Um freundlich und verbindlich über sich und die AfD zu reden. Über Inhalte und Ziele seiner Partei. Und über Donald Trump.

Pretzell ist Landeschef der AfD in NRW und Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2017. Der 43-jährige Rechtsanwalt war mal in der FDP, kann besonnen auftreten und sitzt seit 2014 im Europaparlament. Dort schloss er sich im Frühjahr der ENF-Fraktion von Marine Le Pen an, der Chefin der rechtsextremen Front National aus Frankreich. Der europaskeptischen EKR-Fraktion in Straßburg war der bürgerlich daherkommende Herr Pretzell zu rechts geworden.

Nach den US-Wahlen wähnen sich Populisten in der ganzen Welt im Aufwind. In NRW befindet sich die AfD dagegen sechs Monate vor der Landtagswahl schon wieder im Sinkflug. Zuletzt fiel sie in Umfragen erstmals deutlich auf neun Prozent. Die Meinungsforscher sehen das Protestpotenzial vorerst ausgeschöpft. Pretzell ficht das nicht an. „Ein zweistelliges Ergebnis ist das Ziel, und das halte ich nach wie vor für realistisch“, sagt er.

Behält er recht, könnten der AfD im Landtag bis zu 30 Sitze zufallen. Schon heute verfügt die AfD in NRW über 51 Mitglieder in Stadträten, 27 Kreistagsmandate und 17 Bezirksvertreter. Doch wer verbirgt sich eigentlich hinter einer Partei, die vorgibt, eine „Alternative“ zu den Etablierten zu sein? 22 Listenplätze für den Landtag wurden auf zwei Wahlversammlungen bereits vergeben, weitere Kandidaten sollen noch benannt werden. Anwälte, Ärzte, Heilpraktiker, Kaufleute, Oberstudienräte, Angestellte – die Kandidatenliste ist ein Querschnitt der Gesellschaft. Ihre Inhalte auch?

Die Nummer eins, Marcus Pretzell, ist alles andere als unumstritten. Mit nur 54 Prozent der 400 Delegiertenstimmen setzte er sich knapp in einer Kampfabstimmung gegen Thomas Röckemann durch, einen Rechtsanwalt aus Minden. Röckemann galt als Favorit einer besonders rechten Strömung innerhalb der AfD, der einer wie Pretzell zu geschmeidig auftritt. In seiner Bewerbungsrede für die Spitzenkandidatur zog Röckemann etwa über die Emanzipation und Geschlechterforschung (Gender Studies) her: „Wenn ich nicht mehr weiß, welches Geschlecht ich habe, schaue ich kurz nach oder frage meine Frau.“

Ein an der Vergangenheit orientiertes Rollen- und Familienbild spielt bei der AfD eine große Rolle. Listenkandidatin Iris Dworeck-Danielowski aus Köln, eine von bislang nur drei Frauen, spricht sich gegen die Gleichstellung von Mann und Frau aus. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sei es wichtig, Kinder in die Welt zu setzen. „Statt diese Aufgabe aufzuwerten, sollen sich Frauen für Elektrotechnik und Informatik begeistern – völliger Irrsinn“, kritisiert Dworeck-Danielowski.

Pretzell rechtfertigt die AfD-Rhetorik

Fragt man Pretzell, ob die AfD eine gestrige Partei sei, versucht er, die AfD-Rhetorik zu rechtfertigen. „Manchmal müssen wir Dinge überspitzt ansprechen, um gehört zu werden“, sagt er. Pretzell will seine AfD nicht zur Ein-Thema-Partei machen lassen. Kein Sammelbecken für Flüchtlingsfrust sein. Schon jetzt zeichnet sich ab: Sinken die Asylbewerberzahlen, sinken die Umfragewerte. Es geht der AfD offenbar darum, die Zurückgelassenen des Zeitgeistes auch in anderen Politikbereichen abzuholen.

Stichwort Familie. „Momentan fördert der Staat einseitig die Fremdbetreuung gegenüber der Erziehung in der Familie“, kritisiert Pretzell. Er ist selbst vierfacher Vater, lebt jedoch schon länger mit Parteichefin Frauke Petry zusammen. Stichwort Energiewende: „Wir werden gegen jedes Windrad kämpfen“, kündigt Pretzell an. Die AfD will außerdem die Rundfunkgebühren abschaffen und den starken Staat neu entdecken. Schusswaffengebrauch zur Verteidigung der deutschen Grenzen als letztes Mittel ist laut Pretzell selbstverständlich. Gegen Kriminelle fordert er Kompromisslosigkeit. „Man muss manchmal entscheiden, ob man hässliche Bilder von Opfern oder eher von Tätern sehen möchte“, kraftmeiert der NRW-AfD-Chef

Die etablierten Parteien beobachten genau, wie sich der neue Mitbewerber aufstellt. Spricht man mit den Generalsekretären von SPD, CDU und FDP, klingen sie einig wie selten. Die AfD sei rückwärtsgewandt, ihr Frauenbild von gestern. Die Populisten seien an keinen Lösungen interessiert. Setzten nur auf Polarisierung. Johannes Vogel (FDP) zieht Parallelen zu Donald Trump. „Die Denkmuster ähneln sich frappierend“, sagt er. Es soll eine Warnung sein.

Pretzell stößt sich nicht an dem Vergleich mit dem Rechtspopulisten aus den USA: Trump sei zwar „speziell“. Clinton hingegen „brandgefährlich“.

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