Interview mit Gerd Landsberg "Die Städte haben sich längst verändert"

Bonn · Die Terrorgefahr ist in Europa inzwischen allgegenwärtig. Doch man sollte nicht nur über Schutzmaßnahmen diskutieren, sondern vor allem über Prävention reden, sagt Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.

 Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.

Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.

Foto: dpa

Herr Landsberg, das NRW-Innenministerium hat nach den Terroranschlägen von Barcelona und Cambrils alle Polizeibehörden des Landes angewiesen, gemeinsam mit den Kommunen Sicherheitsmaßnahmen für die Innenstädte zu entwickeln. Was wäre aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Gerd Landsberg: Die Zufahrten in die Innenstädte oder die Fußgängerzonen müssen durch Poller, Wassertanks oder bauliche Maßnahmen so gesichert werden, dass man mit einem Lkw nicht mehr ohne Weiteres hereinfahren kann. Gleichzeitig muss aber sichergestellt werden, dass Feuerwehr oder Rettungswagen dies sehr wohl können. Außerdem ist es wichtig, die Zufahrtsstraßen so zu gestalten, dass dort die Geschwindigkeiten reduziert werden. Es ist ein Unterschied, ob Lkw-Attentäter mit 70 oder 20 Stundenkilometern versuchen, eine Barriere zu überwinden. Wir können die Städte aber nicht zu Festungen ausbauen. Zu einer freien Gesellschaft gehören auch freie und zugängliche Städte. Den hundertprozentigen Schutz wird es nicht geben.

Aber die Städte werden sich verändern...
Landsberg: Die Städte haben sich längst verändert. Wir haben mehr Polizeipräsenz auf den Straßen und andere Sicherheitskonzepte. Bei Veranstaltungen gibt es inzwischen in der Regel Abzäunungen mit Personenkontrollen, und die Taschen der Besucher werden durchsucht. Und dieser Trend wird sich eher verstärken als abnehmen. Aus meiner Sicht konzentriert sich die Diskussion aber zu stark auf die Frage: Was kann ich an Schutzmaßnahmen ergreifen, wenn sich jemand zu einem Anschlag entschlossen hat? Man müsste noch viel mehr darüber nachdenken, was man vorher machen kann, um zu erkennen, dass sich jemand radikalisiert.

An was denken Sie da?
Landsberg: Man sollte bei den Polizeipräsidien beziehungsweise Kreispolizeibehörden Präventionszentren mit drei oder vier Mitarbeitern einrichten, die gemeinsam mit den Kommunen die Lage vor Ort analysieren. An diese können sich dann alle Bürger wenden, die verdächtige Beobachtungen machen. Man spricht inzwischen von der sogenannten "Express-Radikalisierung", aber von heute auf morgen geht das auch nicht. Die Menschen verändern sich. Es erschiene mir sinnvoll, gemeinsam mit zum Beispiel Jugendamt und Schulen ein Präventionsnetzwerk zu schaffen. Das wäre vielleicht genauso wichtig wie die Barrieren.

Brauchen wir auch mehr Polizisten?
Landsberg: Die Sichtbarkeit von Polizei ist wichtig, und ich denke, dass wir auch da die Diskussion falsch führen. Alle sagen, wir brauchen mehr Polizisten. Jeder weiß aber, dass sie sich die nicht herbeizaubern können. Der richtige Weg wäre doch zu überlegen, wie die Polizei entlastet werden kann, um sich sichtbar vor Ort um die Kriminalitätsbekämpfung zu kümmern. Ein Beispiel: Muss die Polizei bei nicht punkterelevanten Geschwindigkeitsüberschreitungen ermitteln, wer gefahren ist? Warum muss dann nicht einfach der Halter bezahlen? So handhabt es zum Beispiel Frankreich. Zweites Beispiel: Ist bei jedem noch so bedeutungslosen Bagatellschaden eine polizeiliche Unfallaufnahme sinnvoll? Warum machen das nicht beispielsweise die Versicherungen? Und warum muss ein ausgebildeter Polizist Verkehrskontrollen durchführen? Kann das nicht der Tüv übernehmen? Da ist noch eine Menge Spielraum.

Neben der Inneren Sicherheit ist die Flüchtlingspolitik ein weiteres großes Wahlkampfthema. Wie sehen Sie die Städte und Gemeinden da aufgestellt?
Landsberg: Verglichen mit den Jahren 2015 und 2016 gibt es einen deutlichen Rückgang der Flüchtlingszahlen. Einen solchen Ansturm, wie wir ihn in diesen etwa 17 Monaten hatten, in denen fast eine Million Menschen nach Deutschland gekommen sind, würden wir nicht ohne Weiteres noch einmal verkraften. Doch es bleibt eine gewaltige Aufgabe.

Wie viele Flüchtlinge erwarten Sie denn 2017?
Landsberg: Nach unseren Schätzungen werden auch in diesem Jahr noch 200 000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Die müssen untergebracht, versorgt und integriert werden, wenn sie hierbleiben dürfen. Das ist eine Herkulesaufgabe. Der Bund hat bis 2018 pro Jahr jeweils zwei Milliarden Euro dafür bereitgestellt, insgesamt sechs Milliarden. Aber wie es nach 2018 weitergeht, wissen wir nicht. Das wird das erste Thema sein, über das wir mit der neuen Bundesregierung sprechen werden. Die Integration als solche ist eine kommunale Aufgabe, aber die Finanzierung der Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, hier sind Bund und Länder gefordert. Mir fehlt in der Diskussion aber auch die Fantasie der Wirtschaft.

Was meinen Sie damit?
Landsberg: In der Öffentlichkeit wird immer so getan, als würden alle Flüchtlinge unheimlich gerne ewig hierbleiben. Das stimmt nicht. Ein Großteil der Menschen ist vor Krieg, Verbrechen, Hunger und Not geflohen. Wenn in ihren Heimatländern der Krieg zu Ende ist, wird es eine Geberkonferenz geben, um den Wiederaufbau zu unterstützen. Wenn sie schlau sind, werden deutsche Firmen bis dahin Flüchtlinge ausgebildet haben, die dann für sie in ihr Land zurückgehen und es wieder aufbauen. Das ist eine Lebensperspektive für die Flüchtlinge, eine Wirtschaftsperspektive für deutsche Firmen und zutiefst menschlich.

Befürworten Sie eine Obergrenze, wie sie die CSU fordert?
Landsberg: Diese Obergrenzendiskussion führe ich nicht. Aber die Kommunen haben nur eine begrenzte Integrationskapazität. So sollten Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder bleiben, bis ihre Identität geklärt ist und feststeht, dass sie eine Bleibeperspektive haben. Dort stehen zurzeit 17.000 Plätze leer.

Die Städte und Gemeinden plagen grundsätzlich Finanzsorgen. Alleine die NRW-Kommunen sind mit 63 Milliarden Euro verschuldet. Etwa 40 Prozent davon entfallen auf Kassenkredite, also den Dispo der Kommunen. Wie wollen Sie dieses Problem lösen?
Landsberg: Wir haben rund 50 Milliarden Kassenkredite deutschlandweit, 26 Milliarden davon entfallen auf die nordrhein-westfälischen Kommunen. Alleine die Stadt Essen hat mehr Kassenkredite als Bayern, Thüringen und Sachsen zusammen. Die deutschen Kommunen insgesamt haben voriges Jahr ein Plus von 5,4 Milliarden Euro gemacht. Die Steuerquellen sprudeln, die Arbeitslosigkeit ist gering. Aber wir haben eine starke Spreizung zwischen armen und reichen Kommunen, und diese Schere wird nicht kleiner, sondern größer.

Damit sind die Kassenkredite der Krisenindikator?
Landsberg: Im Schnitt liegt der Kassenkredit pro Einwohner in NRW bei knapp 1500 Euro, in Bayern und Baden-Württemberg sind es 16 Euro. Dass eine Stadt wie Bonn, mit drei Dax-Unternehmen, nicht in der Lage ist, mit ihren Einnahmen die Ausgaben zu finanzieren, das hat doch nichts mit Kommunalpolitik zu tun. Das ist ein Systemfehler.

Und wie wollen Sie diesen beheben?
Landsberg: Bund und Länder sollten diese 50 Milliarden Euro Kassenkredite nehmen und in einen Altschuldenfonds übertragen. Das haben wir bei den Banken ja auch gemacht. Im Moment ginge das ja sehr kostengünstig, weil der Bund aufgrund der Zinsentwicklung zurzeit sogar noch Geld bekommt, wenn er Schulden macht. Aber das hat natürlich eine politische Dimension. Da sagen die Berliner: Und wer profitiert davon? Wieder die in Nordrhein-Westfalen und die Großstädte im Ruhrgebiet. Und die Bayern sagen: Wer gut wirtschaftet, wird bestraft. Ich finde, das ist eine Frage der Solidarität. Aber das Zeitfenster für diese Option ist klein, weil wir nicht wissen, wie sich die Zinsen entwickeln.

Nehmen wir das Beispiel Bonn...
Landsberg: ...das würde für Bonn bedeuten, dass die 880 Millionen Euro Kassenkredite in einen solchen Fonds überführt werden. Diese Schulden wäre die Stadt los. Gleichzeitig müsste natürlich sichergestellt werden, und das gilt für alle Städte, dass die Lage in zehn Jahren nicht wieder genauso ist.

Haben Sie da ein Patentrezept?
Landsberg: Wir haben hier in Bonn einen jährlichen Haushalt von 1,269 Milliarden Euro, davon entfallen 36,2 Prozent auf das Soziale, also 459 Millionen. Für die Sportförderung gibt die Stadt ein Prozent aus, fürs Wohnen 1,43 Prozent. Da stimmt doch etwas nicht, denn wir haben hier ja nicht einmal eine besonders hohe Arbeitslosigkeit. Wir müssen also überlegen, welche sozialen Leistungen die Kommunen erbringen, die sie eigentlich nicht erbringen sollen.

Welche sehen Sie da?
Landsberg: Bei Hartz-IV-Empfängern finanzieren die Kommunen die Unterkunftskosten zu etwa 70 Prozent, 30 Prozent steuert der Bund bei. Es ist eine kommunale Aufgabe, Wohnraum zu schaffen, aber die Finanzierung ist es aus meiner Sicht nicht. Gleiches gilt für die Pflegekosten. Das sind Milliardenbeträge, Tendenz steigend. Warum lösen wir das nicht über eine Versicherung oder Bundesmittel? Auch von der Finanzierung der Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung müssen wir die Kommunen entlasten. Wenn wir nur diese drei Elemente nehmen, hätte die Stadt Bonn schon nächstes Jahr einen ausgeglichenen Haushalt.

Auch der Investitionsstau bei Schulen und Straßen ist enorm...
Landsberg: Wir haben laut Kreditanstalt für Wiederaufbau einen Investitionsstau von 126 Milliarden Euro bundesweit, der größte Anteil davon entfällt mit 32 Milliarden Euro auf die Bildung. Zwar gibt es so etwas wie das Bundesprogramm für finanzschwache Kommunen. Doch das Geld fließt nicht so schnell ab, wie man sich das wünscht. Dafür gibt es mehrere Ursachen: Die Bauindustrie ist weitgehend ausgelastet, die Planungskapazitäten in den Städten sind zurückgefahren worden, und wir haben sehr komplizierte Genehmigungsverfahren. Wir müssen das gesamte Baurecht vereinfachen.

Wie bewerten Sie eigentlich den Diesel-Skandal?
Landsberg: Dieses Diesel-Bashing entspricht der üblichen Suche nach einem Schuldigen. Jetzt ist der Schuldige für die schlechte Luftqualität erkannt, es ist der Diesel. Vor acht Jahren war die Lösung, jedenfalls wenn man den Umweltverbänden glaubte, die Umweltzone mit gelber und grüner Plakette. Was hat's gebracht? Nichts. Der Lieferverkehr, die Polizei, die Krankenwagen, das THW fahren alle Diesel. Wollen sie die alle aus der Stadt verbannen? Soll die Polizei auch nicht mehr fahren? Ein Großteil der Emissionen in Bonn zum Beispiel rührt auch vom Schiffsverkehr her.

Was halten Sie von Fahrverboten?
Landsberg: Es gibt gar keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für ein Fahrverbot. Insofern ist die Umsetzung aktuell ohnehin fraglich. Eins steht fest: Mit einer Welle von Klagen vor den Gerichten, wie sie derzeit zu beobachten ist, kommen wir keinen Schritt weiter. Es gibt über 15 Millionen Menschen, die solche Autos fahren, das wäre letztlich eine Enteignung. Fahrverbote sind nicht die Lösung, sie können Städte nicht lahmlegen in der Mobilität. Das Thema wird hochgehypt. In Stuttgart ist fast die ganze Innenstadt stark von Emissionen belastet, aber in vielen anderen Städten sind es einzelne Straßen.

Was schlagen Sie denn vor?
Landsberg: Wir brauchen einen Masterplan Verkehrswende mit einer klaren Förderung der Elektromobilität in den Städten, und zwar nicht nur der Fahrzeuge, sondern auch der Infrastruktur. Wir benötigen technische Innovationen bei der Umrüstung von Dieselfahrzeugen, und wir müssen den Individualverkehr verringern. Prognos hat ein Gutachten vorgelegt, demzufolge jedes dritte Auto, das in einer deutschen Großstadt unterwegs ist, nicht von A nach B fährt, sondern einen Parkplatz sucht. In dem Moment, wo sie Verkehr flüssiger machen, zum Beispiel durch digitale Verkehrsführung, produzieren sie auch weniger Stickoxide und haben einen Effekt. Außerdem brauchen wir bessere Radwege und sichere Abstellplätze für Fahrräder.

Und der ÖPNV?
Landsberg: Da müsste man aus meiner Sicht vielleicht auch mal experimentieren, damit noch mehr Menschen auf Bus und Bahn umsteigen. Der ÖPNV sollte besser, schneller, preiswerter und noch zuverlässiger werden. Das geht nicht ohne die nachhaltige Unterstützung von Bund und Ländern. Ein erster Schritt wäre es, die Systeme der unterschiedlichen Städte zu vereinheitlichen. Es gibt keine Einzelmaßnahme, sondern nur ein Maßnahmenbündel zur Verbesserung der Luftqualität.

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