Schanna Nemzowa geht zur Deutschen Welle Die Tochter des "Volksverräters"

BONN · Boris Nemzow nannte sich einen Rebellen, seine Tochter Schanna war viel gemäßigter. Zwar kandidierte sie noch 2005 als Studentin für die "Partei der Rechten Kräfte", die ihr Vater anführte, zum Moskauer Stadtrat.

 Schanna Nemzowa. FOTO: DPA

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Aber statt als liberales Fräuleinwunder an einer neuen oppositionellen Dynastie in der russischen Politik zu arbeiten, absolvierte Schanna ein Managerstudium am elitären Staatsinstitut für Internationale Beziehungen, heiratete 2007 einen 15 Jahre älteren Bankier, eröffnete gemeinsam mit ihm einen Investmentfonds. Zugleich trat sie im Wirtschaftskanal RBK-TV auf, erst als Expertin, nach ihrer Scheidung 2011 moderierte sie eigene Finanz- und Börsensendungen.

Eine telegene, kluge, junge Fernsehfrau mit einem berühmten Vater - und nicht rebellisch. Dem Frauenmagazin "Elle" sagte sie 2009, Wladimir Putin sei ihr sympathisch, "modern, gebildet und ungeheuer arbeitsfähig". Und wenn Schanna mit ihren tatarischen, russischen und jüdischen Großeltern sich verständnisvoll über muslimische Mehrfachehen äußerte, wirkte das wie der Spleen einer jungen Dame von Welt.

Aber Ende Februar wurde Boris Nemzow am Roten Platz in Moskau erschossen. Schon Anfang März fünf Tschetschenen als Tatverdächtige verhaftet worden, darunter mehrere Berufspolizisten. Aber der angebliche Todesschütze Saur Dadajew hat sein Geständnis inzwischen widerrufen, auch andere Angeklagte beschwerten sich über Folterungen. Ein weiterer Verdächtiger, Ruslan Geremejew, ebenfalls Polizeioffizier und mutmaßlicher Kontaktmann zu den Auftraggebern, lebt weiter unbehelligt in Tschetschenien. Die Ermittler sind dazu übergangen, Oppositionspolitiker, die mit Boris Nemzow kooperierten, zu verhören.

Auch für Schanna Nemzowa war danach nichts mehr so wie früher. "Dieser Mord hat mein Leben auf den Kopf gestellt." Putin trage die politische Schuld am Tod ihres Vaters, Putins anfangs milder Autoritarismus habe sich in lupenreinen Autoritarismus verwandelt. Putin arbeite nur für den "Machterhalt um jeden Preis".

Erst schmiss Schanna ihren Job beim wirtschaftsliberalen, aber doch linientreuen RBK-Fernsehen. Und Anfang Juli verließ sie Russland, siedelte nach Deutschland über. Sie antwortet jetzt oft bei Interviews, statt wie früher zu fragen. Und zeigt dabei, dass sie von ihrem Vater durchaus rhetorischen Biss geerbt hat. "Es gibt in Russland keine Gerichtsbarkeit, keine unabhängigen Richter und keine unabhängigen Ermittlungen."

Schanna Nemzowa schreibt jetzt bitterböse Kolumnen. Sie fordert, die russischen Staatsfernsehbosse, die ihren Vater als "Volksverräter" verunglimpften, auf die Boykottlisten des Westens zu setzen. Nachdem es auf Twitter und Facebook Drohungen gegen sie hagelte, beschloss sie zu emigrieren. "Ich habe ernsthaften Grund zu der Annahme, dass es für mich gefährlich ist, in Russland zu leben", erklärte sie. Andere Mitstreiter des toten Nemzows sehen das genauso. "Schanna ist nach seinem Tot mutiger aufgetreten als viele Politiker, die sich die Zunge in den Hintern gesteckt haben", schimpft der Oppositionelle Ilja Jaschin.

In Warschau gründete die Tochter eine Boris-Nemzow-Stiftung, in Deutschland wird sie als Moderatorin bei der Deutschen Welle arbeiten. Für den Sender ein Gewinn. Aber nach Schachweltmeister Garri Kasparow und Altoligarch Michail Chodorkowski ist mit ihr noch eine oppositionelle Persönlichkeit mit Führungsqualitäten ins Exil gegangen.

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