Interview: Rheinland-Pfalz CDU-Landeschefin Julia Klöckner "Die Union ist weiter als das Bild von ihr"

Bonn · Sie sprüht vor Optimismus, ihre Partei liegt in Umfragen vorn und im März wird in Rheinland-Pfalz gewählt. Julia Klöckner will Ministerpräsidentin werden. Mit der CDU-Landesvorsitzenden sprachen Bernd Eyermann, Ulrich Lüke, Helge Matthiesen und Raimund Neuss.

 Haltung und Herangehensweise entscheiden, meint Julia Klöckner (CDU). Sie will im März Malu Dreyer als Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz ablösen.

Haltung und Herangehensweise entscheiden, meint Julia Klöckner (CDU). Sie will im März Malu Dreyer als Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz ablösen.

Foto: Roland Kohls

Die CDU feiert ihren 70. Geburtstag. Was muss sie in den nächsten zehn Jahren besser machen?

Julia Klöckner: Eine Partei, die als einzige beständig bei 40 Prozent liegt, hat gewiss vieles richtig gemacht. Was wir aber ausbauen sollten, ist die Akzeptanz in den Großstädten. Wir müssen das Lebensgefühl der Menschen in den Großstädten besser aufnehmen und mit den entsprechenden Kandidaten abholen.

Wie meinen Sie das?

Klöckner: Ganz am Anfang war die CDU eine Honoratiorenpartei. Seit zehn Jahren stellen wir als erste Partei erfolgreich mit Angela Merkel eine Frau als Kanzlerin. Aber an der Basis brauchen wir zum Beispiel noch mehr Frauen, auch Migranten und Nachwuchs. Und nicht zu vergessen: Es gibt die reale Theke, aber es gibt heute auch die digitale Theke, den Treffpunkt im Internet. Vor allem für junge Leute brauchen wir noch mehr passende Angebote.

Heißt, Ihnen ist die Partei bisher noch zu konservativ?

Klöckner: Das würde ich nicht gleichsetzen. Das eine oder das andere Geschlecht ist ja nicht per se konservativ, und was verstehen wir denn genau unter konservativ? Es geht sicherlich auch ein Stück weit um das Image von Parteien. Ich habe den Eindruck, dass wir in der Union viel weiter sind als das Bild, das manche von uns noch haben.

Die Hälfte der Gesellschaft besteht aus Frauen....

Klöckner: Eben - und das ist weder gut noch schlecht. Aber wenn Politik zu drei Vierteln oder vier Fünfteln von Männern gemacht wird, muss man schauen, ob die weibliche Hälfte auch genügend Eingang in diese Politik findet.

Beispiel?

Klöckner: Wenn man Männer nach dem Thema Sicherheit befragt, geht es ihnen tendenziell meist um Polizei und Anti-Terror-Einsatz. Junge Mütter denken da eher an Lebensmittelsicherheit. Und die Senioren, egal ob Männer oder Frauen, meinen Einbruchssicherheit. Alles wichtige Facetten, zusammen ergeben sie ein Ganzes.

Hat die SPD Ihnen das Thema Familienpolitik ein bisschen "geklaut"?

Klöckner: Das ist eine steile These angesichts von SPD-Wahl- und Umfrageergebnissen von 25 Prozent.

Die SPD hat doch beim Thema Betreuung die Führung...

Klöckner: Nein, das Thema ist von Ursula von der Leyen und der Union vorangebracht worden. Das zeigt übrigens: Wenn Gesellschaft sich ändert, müssen auch Parteien sich ändern, sonst sind sie nur noch Selbstzweck. Unser Erfolgsrezept ist allerdings, dass wir bei Neuerungen nicht den Ehrgeiz haben, an der Spitze eines Hauruck-Verfahrens zu stehen, sondern Veränderungen, Modernisierungen angehen, ohne die Menschen zu überfahren. Augenmaß ist wichtig.

Helmut Kohl war Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz, dann CDU-Vorsitzender, dann Kanzler. Ein Weg, der auch Ihnen gefallen könnte...

Klöckner: Der Weg in die Staatskanzlei in Mainz, ja in der Tat, das ist ein Weg auch für mich. Im März wird gewählt ...

Was machen Sie als erstes, wenn Sie in der Staatskanzlei sind?

Klöckner: Wenn die Bürger uns in Regierungsverantwortung wählen, werden wir ein 100-Tage-Programm auflegen und einen Kassensturz, eine Bestandsaufnahme machen. Denn im Moment ist es ja so, dass die Regierung bildlich vor der Brandschutztür steht und sagt, alles sei ok, aber dahinter brennt der Laden.

Zum ersten Mal tritt eine Frau gegen eine Frau an, Sie gegen Malu Dreyer, die Amtsinhaberin. Macht das die Auseinandersetzung schwieriger?

Klöckner: Anders vielleicht. Die Tatsache des ersten Mals ist es sicher, genauso wie es bei der Kanzlerin war. Das wird auch so sein, wenn eine Frau mal Bundespräsidentin ist, aber dann ist das auch gegessen. Dann ist es nichts Neues und Ungewohntes mehr. Wir werden beide sicher nicht so unklug sein, uns auf die typische Frauenkarte reduzieren lassen zu wollen. Es wird also viel unspektakulärer werden, als man glaubt.

Unspektakulär ist auch die Koalitionsspekulation. Die Grünen machen weiter mit der SPD, Sie mit der FDP...

Klöckner: Das hab ich jetzt nicht zu entscheiden. Erst ist der Wähler dran. Dann hängt es von dem Ergebnis und den Inhalten ab. Ich kämpfe dafür, dass an der CDU vorbei keine Regierungsbildung möglich ist. Klar ist, dass wir mit der AfD nicht koalieren...

...und dass Sie die FDP ganz gerne haben...

Klöckner: Richtig.

Meinen Sie, dass sich die Menschen im Wahlkampf noch für die vergangenen Pleiten etwa am Nürburgring interessieren? Wird der Wahlkampf rückwärtsgewandt?

Klöckner: Die Vergangenheit hat doch unglaubliche Auswirkungen auf die Gegenwart und die Zukunft. Denken Sie nur an die finanziellen Belastungen aus diesen Pleiten - allein aus der Nürburgring-Insolvenz fehlen uns weit über 600 Millionen Euro für Schulen, Kindergärten und Straßen. Unser Wahlprogramm wird den Anspruch eines Regierungsprogramms haben und zeigen, was wir anders machen werden.

Aber viel Handlungsspielraum haben Sie nicht...

Klöckner: Handlungsspielraum hat nicht nur etwas mit Geld, sondern mit einer Haltung und Herangehensweise bei Entscheidungen zu tun. Die Regierung denkt darüber nach, die öffentliche Auftragsvergabe davon abhängig zu machen, wie der Frauenanteil beim Auftragnehmer ist. Oder sie wollte auf dem Stimmzettel die Frauenquote ausweisen, was verfassungswidrig ist. Das zeigt: Wer politische Anliegen mit der Brechstange durchsetzen will, geht baden. Mit der CDU wird es in den Schulen auch kein Abschaffen der Noten oder der Schreibschrift geben, kein Schreibenlernen nach Gehör. Und für uns ist die berufliche Bildung genauso viel wert wie die akademische, und Langzeitstudenten sollten sich ab einer hohen Semesterzahl wieder mit einem Beitrag beteiligen.

Viel Geld werden Sie trotzdem nicht zur Verfügung haben.

Klöckner: Es gibt überall Töpfe, die besser genutzt werden sollten. Nur ein paar Beispiele: Für das neue Transparenzgesetz gab es eine Veranstaltungsreihe, die 250 000 Euro gekostet hat. Für merkwürdige Plakate im Rahmen der Fachkräftediskussion wurden zwei Millionen ausgegeben. Man wundert sich, woher das Geld kommt. Es ist eine neue Energieagentur für sieben Millionen Euro geschaffen worden mit 60 Mitarbeitern - für eine Arbeit, die andere längst machen. Und der neu geschaffene Nationalpark kostet pro Jahr rund 15 Millionen Euro. So lange die primären Aufgaben, z. B. beim Unterrichtsausfall, nicht erledigt sind, habe ich keinen Spielraum für Dekorationsfragen.

Schaffen Sie nach einem Wahlsieg ein Ministerium ab?

Klöckner: Das kann ich mir vorstellen. Rot-Grün hat nach der Wahl ein zusätzliches geschaffen.

Die Landesregierung hat die Kindergartenbeiträge abgeschafft. Wird es mit Ihnen welche geben?

Klöckner: Die Eltern werden mit den Kita-Trägern entscheiden können, ob sie sozial gestaffelte Gebühren einführen. Dieses Geld soll für eine qualitativ hochwertige Betreuung in der Kita bleiben. Bei der Sprachförderung stehen wir laut einer Studie im Ländervergleich am unteren Ende. Hier müssen wir etwas tun. Mir sagen viele Gutverdiener, es sei für sie sozial gerecht, wenn sie als Besserverdiener sich moderat finanziell beteiligen würden.

Gibt es finanzielle Risiken für das Land, die von außen kommen. Stichwort: Flüchtlingshilfe?

Klöckner: Dass Flüchtlinge kommen, ist auch eine Chance. Für die Kommunen ist hingegen die Landesregierung in der Tat ein Risiko. Baden-Württemberg gibt gut 13 000 Euro pro Flüchtling an die Kommunen. Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz geben nicht mal die Hälfte und lassen die Kommunen auf den Kosten sitzen. Die beiden Damen an der Spitze der Landesregierungen rufen am lautesten nach immer neuem Bundesgeld, machen aber ihre Hausaufgaben nicht. Unter den zehn höchstverschuldeten Städten in Deutschland sind vier aus Rheinland-Pfalz. Die Kommunen bei uns können nicht mehr.

Es gibt Bestrebungen, die Abiturprüfungen nach acht oder neun Jahren bundesweit einheitlicher zu gestalten. Das wird schwierig mit einem Abitur nach achteinhalb Jahren.

Klöckner: Mit dem Unterrichtsausfall haben wir faktisch ein G8.

Kann sich Rheinland-Pfalz diese Sonderregelung zwischen G8 und G9 noch leisten?

Klöckner: Wir haben ein anderes Problem. Bei uns gibt es immer noch keine zentralen, vergleichbaren Abschlussprüfungen.

Also Zentralabitur?

Klöckner: Mit mir wird es zentrale vergleichbare Abschlüsse geben - und eine Qualitätssicherung auf hohem Niveau. Wir wollen den Schulen auch mehr Eigenverantwortung geben, also Personal- und Budgethoheit zugestehen.

Zur Person

Julia Klöckner, 1972 in Bad Kreuznach geboren, ist seit 2010 CDU-Vorsitzende in Rheinland-Pfalz. 2011 übernahm sie auch den Fraktionsvorsitz im Landtag in Mainz. Im Dezember 2012 wurde sie zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU gewählt.

Von 2002 bis 2011 gehörte sie dem Bundestag an, von 2009 bis Februar 2011 war Julia Klöckner Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

Als jüngstes Kind einer Winzerfamilie wuchs Klöckner in Guldental auf. Sie studierte Politikwissenschaft, katholische Theologie und Pädagogik. Nach ihrer Zwischenprüfung arbeitete sie als Lehrerin und begann danach ein journalistisches Volontariat. 1994 wurde sie zur Naheweinkönigin und 1995 zur Deutschen Weinkönigin gewählt.

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