Vorsorge in Deutschland Diskussion um Impfpflicht und Masernpartys

In Frankreich müssen Eltern ihre Kinder jetzt gegen elf Krankheiten impfen lassen. In Deutschland scheuen sich die Politiker noch vor staatlichem Druck. Dabei zeigt der jüngste Masern-Ausbruch in NRW, wie nötig Impfungen sind.

 Schutz auch für andere: Im Impfpass ist eine Kombiimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln eingetragen.

Schutz auch für andere: Im Impfpass ist eine Kombiimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln eingetragen.

Foto: dpa

Manche halten Masern noch immer für eine lästige Kinderkrankheit, für andere enden sie tödlich. Und wer gehofft hatte, die moderne Medizin werde den Virus schon besiegen, sieht sich enttäuscht. Jüngst erlebt Nordrhein-Westfalen einen neuen Ausbruch der Krankheit. Seit Jahresanfang meldeten die Ärzte dem Landeszentrum Gesundheit (LZG) 483 Masernfälle. Zum Vergleich: 2016 gab es nur 28 Fälle – und zwar im gesamten Jahr. „2017 wurde uns ein Todesfall gemeldet“, so die LZG-Sprecherin.

Besonders hat es Duisburg erwischt. Hier sind seit Jahresanfang 321 Menschen erkrankt, im Vorjahr kein einziger. Der Schwerpunkt liegt in Wohngebieten, in denen vor allem Bulgaren und Rumänen leben. Aber auch in Köln, Düsseldorf und Wesel wurden Masernfälle gemeldet.

Masern werden durch das Einatmen infektiöser Tröpfchen (Sprechen, Husten, Niesen) sowie durch Kontakt mit Sekreten aus Nase oder Rachen übertragen. Sie sind weltweit verbreitet und gehören zu den häufigsten Infektionskrankheiten in Entwicklungsländern. In Deutschland sind Masern seit 2001 meldepflichtig. Eine Impfpflicht gibt es jedoch nicht.

Anders in Frankreich. Dort will die neue Regierung nun härter gegen Infektionskrankheiten vorgehen. Danach müssen Eltern ihre Kinder ab 2018 gegen Masern und zehn weitere Krankheiten impfen lassen. Das kündigte Premierminister Edouard Philippe in einer Rede vor der Nationalversammlung an. „Noch immer sterben Kinder an Masern, das ist in der Heimat von Pasteur nicht annehmbar“, zitiert die „Welt“ den französischen Regierungschef.

Der französische Mikrobiologe Louis Pasteur gehörte zu den Pionieren bei der Entwicklung von Impfstoffen. Bislang waren in Frankreich nur Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Kinderlähmung Pflicht. Nun kommen Masern, Mumps, Röteln, Meningokokken, Pneumokokken, Keuchhusten, Hepatitis B und Haemophilus Influenza B hinzu. Andernfalls können die Kinder vom Besuch von Kitas und Schulen ausgeschlossen werden. Auch drohen den Eltern Bußgelder.

Reaktionen in Deutschland

Der Vorstoß in Frankreich heizt auch die Debatte in Deutschland an. Die FDP beschloss auf ihrem Bundesparteitag im April die Forderung, dass Kinder bis 14 Jahre zu impfen sind. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) setzt dagegen ebenso wie NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (siehe Kasten) auf Aufklärung.

Auch Frank Bergmann, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein plädiert für Freiwilligkeit. „Über die Einführung einer ‚Impfpflicht‘ – insbesondere für Kleinkinder in Betreuungseinrichtungen – kann man sicher streiten. Aus meiner Sicht sollte es – nach Möglichkeit – keine Zwänge geben“, sagte Bergmann unserer Redaktion. „Die Stärke unseres Gesundheitssystems liegt in der offenen Aufklärung sowie dem engen Arzt-Patienten-Verhältnis. Wir erreichen langfristig mehr, wenn wir diese Form der Qualität erhalten und ausbauen – ohne staatliche Eingriffe.“

Impfmuffel in Deutschland lassen sich in drei Gruppen einteilen. Auf der einen Seite gibt es Zuwanderer, in deren Heimat das Impfen nicht verbreitet ist wie in Bulgarien und Rumänien. Dann gibt es jene, die in der Kindheit nur einmal geimpft wurden. Für Masern etwa empfiehlt die Ständige Impfkommission aber zwei Impfungen. Und dann gibt es die hartnäckigen Gegner, die die Impfungen für schädlicher halten als die Krankheiten selbst. In den Kreisen solch militanter Impfgegner werden schon mal Masernpartys zur sicheren Infektion der Kinder veranstaltet und viele Vorurteile gepflegt.

Die gängigsten Vorurteile gegen Impfungen

Masern-Impfungen helfen nicht

  • Richtig ist: Keine Impfung garantiert eine 100-prozentige Wirksamkeit, wie auch das Robert-Koch-Institut (RKI) einräumt. So gebe es einzelne Fälle, in denen die Geimpften keine Immunität entwickeln oder die Immunität im Laufe der Zeit nachlasse. Auch Fehler bei der Impfstoff-Lagerung könnten zum Impfversagen führen. Wichtiger als die Ausnahmen ist aber die Regel: „Die zweifache Impfung verhindert jedoch bei 93 bis 99 Prozent der Geimpften den Ausbruch einer Erkrankung und führt bei diesen erfolgreich Geimpften in der Regel zu lebenslanger Immunität“, betonen die Forscher des RKI.

Impfungen verursachen Autismus

  • Diese These geht auf den britischen Arzt Andrew Wakefield zurück, der 1998 in einem medizinischen Artikel einen möglichen Zusammenhang behauptet hat. Später wurde sein Artikel widerrufen: So waren insgesamt nur zwölf Kinder untersucht worden, deren Auswahl nicht zufällig erfolgte. Später gingen andere Forscher dem Verdacht nach, unter anderem in einer Studie aus Dänemark, in der mehr als 530 000 Kinder über einen längeren Zeitraum beobachtet wurden. Klarer Befund: „Zahlreiche wissenschaftliche Studien konnten belegen, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Impfung und autistischen Störungen gibt“, so die RKI-Experten.

Bei Allergien kann man nicht impfen

  • Auch das ist eine Fabel. Nur wenige Impfstoffe werden in Hühnerembryos produziert, und wenn doch, enthalten sie nur Spuren von Eiweiß, die selbst bei Menschen mit Hühnereiweiß-Allergie kein Problem sind. „Internationale Studien belegen, dass auch Kinder mit Hühnereiweiß-Allergie problemlos und gefahrlos mit MMR-Impfstoff geimpft werden können“, so das RKI. Mit dieser Standard-Impfung wird gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) geimpft.

Impfpflicht wäre grundgesetzwidrig

  • Die Frage, ob der Staat so tief in die Freiheit seiner Bürger eingreifen kann, ist berechtigt und hat auch den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages beschäftigt. Und der kam 2016 zu einem differenzierten Schluss. Eine generelle Impfpflicht könne helfen, eine Krankheit auszurotten, doch es sei zu fragen, ob dieses Ziel nicht auch durch freiwillige Maßnahmen erreicht werden könne und die Impfung verhältnismäßig sei. Das heißt auch: Je mehr Impfmuffel es gibt, desto größer werden die Chancen für eine Pflicht. Im Fall einer epidemischen Ausbreitung („Seuchenfall“) sieht der wissenschaftliche Dienst ohnehin kein Problem, eine Impfpflicht zu verhängen.

Ärzte-Chef Bergmann setzt vor allem darauf, dass die Eltern selbst einsehen, dass der Pieks lebensrettend sein kann. „Impfungen bieten nach wie vor den besten Schutz vor gefährlichen Erkrankungen. Wer sich selbst oder seine Kinder impfen lässt, schützt nicht nur seine Familie, sondern auch seine Mitmenschen.“

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