Interview mit Marlene Mortler Drogenbeauftragte befürwortet Cannabis als Medizin

Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung, äußert sich im Interview zu Cannabis als Medizin, der Debatte um eine völlige Legalisierung des Rauschmittels und der gesellschaftlichen Bedeutung der Alkoholsucht.

Die Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler, hat die Freigabe von Cannabis als Medizin unterstützt, lehnt eine allgemeine Legalisierung aber vehement ab. Mit ihr sprach Gregor Mayntz.

Frau Mortler, wie sind die ersten Erfahrungen mit der Freigabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken?

Marlene Mortler: Seit Beginn meiner ersten Amtszeit habe ich mich dafür eingesetzt, dass der Gesetzentwurf Cannabis als Medizin Realität wird. Und es hat geklappt! Am Ende und nach einer Unmenge von Gesprächen haben alle Kolleginnen und Kollegen im Bundestag zugestimmt. Alles in allem ein großer, wichtiger Schritt! Cannabispräparate können einigen schwerkranken Patienten wirklich helfen, etwa dann, wenn sie unter chronischen Schmerzen leiden und kein anderes Medikament mehr wirkt.

Was folgt daraus für die allgemeine Freigabedebatte?

Mortler: Gar nichts. Das sind vollkommen unterschiedliche Paar Schuhe: Beim Medizinalcannabis handelt es sich um ein verschreibungspflichtiges Medikament. Die Verabreichung geschieht zur Behandlung von medizinischen Leiden und unter ärztlicher Aufsicht. Im anderen Fall geht es um den Bezug von Cannabis zu Rauschzwecken. Wir sind sehr gut beraten, diese Dinge strikt auseinanderzuhalten, so wie wir es ganz selbstverständlich ja auch bei vielen anderen Substanzen machen, denken Sie etwa an Morphium.

Das Legalisierungslager wird immer größer: Kriminalbeamte, Grüne, Linke, FDP. Haben Sie noch gute Argumente dagegen?

Mortler: Wichtig ist erst einmal, dass das Legalisierungslager vor allem eines wird: lauter und zum Teil auch schriller. Fakt ist doch, dass eine deutliche Mehrheit der Deutschen es ablehnt, Cannabis pauschal zu legalisieren. Und dafür gibt es ja auch sehr gute Gründe. Erstens: Wir haben mit Tabak und Alkohol bereits zwei legale Drogen, die extrem weit verbreitet sind und enorme Schäden verursachen.

Können Sie das beziffern?

Mortler: Allein an den Folgen des Rauchens sterben im Jahr über 120 000 Menschen. Selbst wenn Cannabis nicht direkt tödlich ist, verursacht es doch oft gravierende gesundheitliche Schäden. Wäre es also sinnvoll, eine weitere schädliche Substanz frei zu geben? Ich meine nein!

Welche anderen Argumente halten Sie dem Legalisierungslager entgegen?

Mortler: Zweitens ginge von einer Legalisierung für viele ein klares Unbedenklichkeitssignal aus, das durch nichts begründet ist. Was legal ist, ist ungefährlich – so lautet doch der Rückschluss. Gerade wenn Menschen schon in jungen Jahren regelmäßig kiffen, kann die Droge das Gehirn schädigen, und auch die Gefahr von Psychosen und Angststörungen steigt erheblich. Und drittens glaube ich kaum, dass eine Legalisierung die gewünschten Effekte brächte. Insbesondere würde sie wohl kaum den Schwarzmarkt austrocknen, wie es immer wieder behauptet wird. Schon allein, weil sich Jugendliche auch weiterhin nur auf dem Schwarzmarkt mit Cannabis versorgen könnten und die Preise illegalen Stoffes deutlich niedriger wären. Auch wäre Schwarzmarktcannabis vermutlich deutlich härter und damit für viele Konsumenten viel attraktiver.

Ab wann wird Alkoholgenuss im Alltag bedenklich, ab wann gefährlich?

Mortler: In Deutschland wird definitiv mehr Alkohol getrunken als uns guttut: Fast zwei Millionen Menschen sind alkoholkrank, mehr als neun Millionen konsumieren Alkohol in einer gesundheitlich problematischen Menge. Das alles hat Folgen, für die Gesundheit der Betroffenen, aber natürlich auch für die Familien, die Arbeitgeber und auch das Gesundheitssystem.

Worauf muss jeder Einzelne achten?

Mortler: Ärzte raten dazu, als Mann nicht mehr als 0,6 Liter Bier am Tag zu trinken und als Frau nicht mehr als die Hälfte davon. Außerdem sollte man zumindest alle paar Tage gar keinen Alkohol trinken. Wichtig ist mir: Alkohol ist kein Lebensmittel, welches wie die Butter zum Brot gehört, sondern etwas, was bestenfalls ein Genussmittel sein darf!

Wie viele Familien sind nach Ihren Schätzungen von Alkoholsucht betroffen?

Mortler: Etwa zehn Millionen Menschen haben hierzulande einen suchtkranken Angehörigen. Der Hauptgrund ist Alkohol. Sucht in der Familie ist alles andere als ein Randproblem. Es ist eine Herausforderung, die leider für sehr viele von uns zum Alltag gehört. Deshalb plädiere ich immer dafür, mit dieser Thematik so offen wie möglich umzugehen. Sucht darf einfach nicht das am besten gehütete Familiengeheimnis sein! Denn natürlich ist Hilfe möglich, für den Suchtkranken genauso wie für die Angehörigen.

Um wie viele minderjährige Kinder geht es?

Mortler: Wir gehen davon aus, dass in Deutschland etwa drei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren leben, bei denen mindestens ein Elternteil suchtkrank ist. Es geht um jedes fünfte oder sechste Kind. Viele dieser Kinder und Jugendlichen müssen zu Hause viel zu früh Verantwortung übernehmen, sich etwa um jüngere Geschwister kümmern. Andere leben in beständiger Unsicherheit: Kommt Papa heute wieder betrunken nach Hause? Steht Mama morgen früh überhaupt mit auf?

Muss sich der Staat um sie besonders kümmern?

Mortler: Ja, selbstverständlich! Einfach, weil sie die gleichen Chancen auf ein unbeschwertes Aufwachsen haben müssen wie andere Kinder. Und weil wir ihnen helfen müssen, nicht selbst in einen Kreislauf von Verzweiflung und Sucht zu geraten. In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Hilfsangebote entstanden, die die Kinder in den Blick nehmen, aber auch die Familien als Ganzes stärken. Hier müssen wir weiter dranbleiben! Die Kooperation zwischen den verschiedenen Hilfesystemen ist entscheidend für eine gelungene Unterstützung der ganzen Familie.

Haben Sie ein Beispiel?

Mortler: Mit Kidkit fördert das Bundesgesundheitsministerium auf meine Initiative hin eine Einrichtung, die allen Jugendlichen in Deutschland erste Hilfe anbietet und sie dabei unterstützt, auch vor Ort Ansprechpartner zu finden. Ganz ehrlich: Die Situation dieser Kinder zu verbessern ist unter all den wichtigen Aufgaben in der Drogenpolitik vielleicht die, die mir am meisten am Herzen liegt!

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