Nach Tumulten bei Einsätzen Kriminelle Clans bedrohen die Polizei in Duisburg-Marxloh

Die Sicherheitsbehörden gehen in Duisburg-Marxloh nach Tumulten wieder verstärkt gegen arabische Großfamilien vor. Die wehren sich und schicken Drohmails. Ein interner Polizeibericht gewährt einen Einblick in diese Parallelwelt.

 Ein Blick nach Marxloh: Einheimische und Besuche auf der Weseler Straße in dem Stadtteil im Duisburger Norden.

Ein Blick nach Marxloh: Einheimische und Besuche auf der Weseler Straße in dem Stadtteil im Duisburger Norden.

Foto: picture alliance / Oliver Berg/d/Oliver Berg

Die Kaiser-Friedrich-Straße im Duisburger Stadtteil Marxloh gehört zu den Straßenzügen, die sich fest in der Hand arabischer Clans befinden sollen. Die Polizei fährt in der Fußgängerzone häufig Streife, meist ist es friedlich, und die Beamten winken manchmal den vielen spielenden Kindern zu. Ähnlich verhält es sich auch am Abend des 17. Mai: Einer uniformierten Streifenwagenbesatzung, bestehend aus zwei Beamten und einem Kommissaranwärter im dritten Jahr, fällt um 18.07 Uhr der polizeibekannte Deutsch-Libanese S. auf, ein 18-jähriger Intensivtäter und Angehöriger einer libanesischen Großfamilie. Eine folgenschwere Begegnung, die dazu führen wird, dass die Konflikte im Duisburger Norden wieder öffentlich aufbrechen und in den Tagen darauf bundesweit für Schlagzeilen sorgen werden.

Gegen S., im Juli 2001 in Duisburg geboren, wurden seit 2014 bereits 75 Ermittlungsverfahren geführt, vor allem wegen Eigentums- und Gewaltkriminalität, wie es in einem Ermittlungsbericht des Polizeipräsidiums Duisburg über die jüngsten Gewaltausbrüche in Marxloh heißt. Die 13 Seiten liegen unserer Redaktion vor. Deklariert ist der Bericht mit VS (Verschlusssache) – nur für den Dienstgebrauch.

Gegen S. besteht ein Untersuchungshaftbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung. Deshalb flüchtet er an jenem Maiabend in Begleitung von zwei Personen, die laut Polizei dem Unterstützerkreis der libanesisch-stämmigen Großfamilie angehören sollen, als er die Beamten sieht. Er läuft in ein Wohnhaus – gefährliches Terrain für die Polizei. Die Häuserblöcke, so heißt es im Einsatzbericht, verfügen über ein frei zugängliches System von Kellerräumen und Hinterhöfen und werden von libanesisch-stämmigen Großfamilien bewohnt. Dennoch entschließen sich die Polizisten, S. zu verfolgen; sie fordern aber per Funk Verstärkung an.

In dem Häuserblock will S. in eine Wohnung flüchten; doch als er an der Wohnungstür klingelt, wird ihm nicht sofort geöffnet. Die Polizisten nutzen das aus und können ihn einholen. Sie überwältigen ihn mit einem „Reizstoffsprühgerät“ und „mittels einfacher körperlicher Gewalt“.

Währenddessen versperrt der Kommissaranwärter die Eingangstür des Wohnhauses, damit S. keine Unterstützer zu Hilfe kommen können. Draußen protestieren bereits 25 Personen lautstark gegen den Polizeieinsatz. Die eingetroffene Verstärkung räumt den Platz, wird dabei aber attackiert, einige Beamte erleiden leichte Verletzungen. S. bedroht die Polizisten mit dem Tod: Er werde sie irgendwann alle umbringen. Jeder wisse, wie groß seine Familie sei und mit wem sich die Polizei gerade angelegt habe.

Seit der Festnahme von S. „scheint es in Marxloh und Umgebung wieder zu brodeln“, heißt es aus Ermittlerkreisen. Dabei geht die Polizeitaktik der Nulltoleranz eigentlich auf, die seit einigen Jahren in dem Bereich angewendet wird. Seit 2017 mit 24 „Tumultlagen“ reduzierte sich die Anzahl im Jahr 2018 auf elf und im vergangenen Jahr auf vier, wie es in der vorliegenden Ermittlungsakte heißt. Aber allein in den Tagen nach der Festnahme im Treppenhaus hat es zwei weitere Tumultlagen im Duisburger Norden gegeben, am 19. Mai und am 28. Mai.

Am 22. Mai, so steht es in der Akte, erhält das Polizeipräsidium Duisburg eine E-Mail mit einer Anschlagsdrohung und Warnung, sich aus Marxloh zurückzuziehen. „Betreff Allahu Akbar, Duisburg-Marxloh ist unser Stadtteil. (…) Wir verbieten allen Ungläubigen, unseren Stadtteil zu betreten. Alle Polizisten, Journalisten und auch andere Ungläubige werden wir mit Waffengewalt vertreiben oder töten. Bei uns gilt nur die radikale Scharia“, heißt es in dem Schreiben. „Wir haben uns 2000 Stück AK-47 Sturmgewehre mit genügend Munition aus der Türkei und Russland beschafft. Allahu Akbar, tötet alle Ungläubigen.“

Die Ermittler finden heraus, dass die E-Mail-Adresse des Absenders zu einer Plattform gehört, die Mail-Adressen und Identitäten verschleiert. Die Ermittlungsbehörden nehmen die Drohungen offenbar ernst. In der Polizeiakte steht, die Staatsanwaltschaft sehe darin einen Anfangsverdacht wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten.

Drei Tage vor Eingang der Anschlagsdrohung im Polizeipräsidium meldet die Polizeiwache Hamborn, dass Videokameras, die einschlägige Orte im Duisburger Norden überwachen, den polizeibekannten H. gefilmt hätten. H. ist ein deutscher Staatsangehöriger mit marokkanischen Wurzeln. Gegen den 18-Jährigen besteht zu dem Zeitpunkt ein Strafbefehl wegen Nötigung. Er muss für 220 Tage ins Gefängnis, weil er mittels Gewaltandrohung mit zwei Intensivtätern aus Großfamilien eine Person vier Tage lang festgehalten hat, damit diese sie mit dem Auto umherfährt – unter anderem zu einer Beerdigung nach Hannover. H. selbst zählt laut Polizeiakte zu Unterstützern der libanesisch-stämmigen Großfamilie. Seit 2015 wurden gegen ihn 42 Ermittlungsverfahren geführt; drei Jahre lang durchlief er ein Präventionsprojekt für Intensivtäter.

Vor dem Haus stehen plötzlich 200 Menschen

Auch er flüchtet in ein Wohnhaus, als er die Polizisten sieht. Schnell finden sich 50 Sympathisanten der Großfamilie, die den Polizisten sagen, dass der Gesuchte nicht in dem Haus sei. Die Polizisten stellen den 18-Jährigen schließlich auf dem Treppenabsatz im Hausflur. Während der Festnahme nähern sich von draußen und von den Obergeschossen her mehrere polizeibekannte Personen. Sie wollen H. offenbar befreien. Die Polizisten setzen Reizgas ein. Vor dem Haus stehen plötzlich 200 Menschen. Es gelingt der Polizei, einen Korridor zum Einsatzwagen zu bilden und dann mit dem Festgenommen zur Wache zu fahren.

Zwischen den Tumultlagen am 17. und 19. Mai besteht möglicherweise ein direkter Zusammenhang. Beide Orte liegen 200 Meter auseinander und befinden sich in der Nähe des „Pollmannkreuzes“, einem Gebiet, das von Clans dominiert sein soll. Beide 18-Jährige kennen sich von klein auf und verüben seitdem immer wieder gemeinsam Straftaten. Laut Polizei sind an beiden Tumultlagen teils dieselben Mitglieder eines Familienclans beteiligt gewesen.

Die Polizei verschärft nun wieder ihre Vorgehensweise im Duisburger Norden. Es wird angewiesen, dass die Kräfte der Bereitschaftspolizei des sogenannten Einsatzabschnittes Nord im Dienst wieder ihren Einsatzanzug tragen und geschlossen auftreten müssen. Damit will die Polizei der Klientel wieder Stärke demonstrieren. Sonst patrouillieren Bereitschaftspolizisten (BP) in Marxloh auch in der Streifenuniform ihrer Kollegen.

„Die Dienstverrichtung als normale Streifenbesatzung bringt für die vielfach noch jungen Einsatzkräfte auch eine Abwechslung und andere Herausforderungen als bei der Bewältigung sonstiger Lagen, bei denen BP-Kräfte eingesetzt werden“, heißt es in einer älteren Lagebeurteilung der Polizei. Aber offenbar fürchten die Kriminellen die Bereitschaftspolizisten in ihren Einsatzanzügen mehr als die normalen Streifenbeamten. Der Respekt ihnen gegenüber sei größer – obwohl diese in der Regel jünger und unerfahrener seien. Darüber hinaus sollen weitere Kräfte zusammengezogen werden, um den Kontrolldruck zu erhöhen. Geplant sind Schwerpunktkontrollen und Razzien. Zudem wird geprüft, eine strategische Fahndung in Marxloh anzuordnen, um intensiver gegen Drogenkriminalität vorgehen zu können.

Die Polizeimaßnahmen würden zeigen, dass es in Marxloh keine rechtsfreien Räume gebe, heißt es in der aktuellen Lagebeurteilung der Polizei Duisburg. Demnach wird konsequent eingeschritten, wenn es nötig ist. Haftbefehle würden vollstreckt werden – auch wenn Tumultlagen zu erwarten seien.

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