Bundeswehr will attraktiver werden Ein Jahr der ungeschminkten Wahrheit

BERLIN · Hellmut Königshaus will jetzt keine Noten vergeben auf einer fiktiven Skala von null ("überhaupt nicht attraktiv") bis zehn ("überaus attraktiv"). Dazu ist ihm der Arbeitgeber Bundeswehr schlicht zu groß, zu vielfältig und an seinen Standorten auch zu unterschiedlich.

 Königshaus sorgt sich um psychische Gesundheit der Soldaten.

Königshaus sorgt sich um psychische Gesundheit der Soldaten.

Foto: dpa

Doch wenn Königshaus, der letzte FDP-Politiker mit Bundestagsnähe und bis Mai noch Wehrbeauftragter, seinen letzten Jahresbericht vor der Amtsübergabe an den SPD-Politiker Hans-Peter Bartels vorlegt, kommt er nicht daran vorbei, auch die "Attraktivitätsagenda" von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu bilanzieren. Die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt hatte bald nach ihrer Amtsübernahme das Ziel ausgegeben, sie wolle die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland machen und dafür in den nächsten fünf Jahren 100 Millionen Euro in die Hand nehmen. Mehr Teilzeit, Kitas wie auch Flachbildschirme und Minikühlschränke auf den Stuben sollen dazugehören. "Die Bundeswehr hat viel zu bieten, und wir wollen die Besten, die auch anderswo auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen haben", warb von der Leyen. Der frühere Bundeswehr-Generalinspekteur Harald Kujat hatte dazu in einem Interview ironisch angemerkt: "Die Ministerin sollte noch Wecker anschaffen, bei denen statt eines Klingeln nur Meeresrauschen und Vogelgezwitscher ertönen."

Doch Wehrbeauftragter Königshaus stuft die Bundeswehr nur bedingt und in Teilen als attraktiv ein. Dies hänge davon ab, wie heimatnah jemand eingesetzt oder wie marode die Kaserne sei, in denen Soldaten untergebracht seien. Nach Einschätzung des FDP-Politikers zeigt die Truppe wegen materieller und personeller Mängel "bereits jetzt sichtbare Tendenzen einer Abwärtsspirale". Vor allem bei Kasernen reichten die Haushaltsmittel bestenfalls aus, "die Dynamik des Verfalls aufzuhalten". Nach einem auch von Königshaus in Auftrag gegebenen Gutachten durch das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr weisen 38 Prozent der Unterkünfte noch immer größere Mängel auf, bei denen der Schwerpunkt der Investitionen zwischen 2014 bis 2017 liege.

Neun Prozent und somit 269 von gesamt 3000 Gebäuden sind demnach "derzeit eigentlich nicht nutzbar, aber dennoch teilweise bewohnt". Rost, Schimmel, Kloakengeruch und im Winter defekte Heizkörper weist der Jahresbericht des Wehrbeauftragten für die Bundeswehr im Jahr eins ihrer Attraktivitätsoffensive aus. Der Wehrbeauftragte betont aber, von der Leyen habe die im Grundsatz "richtigen Maßnahmen" ergriffen. Die Ministerin hatte in dieser Woche angekündigt, den Etat für die Sanierung von Kasernen in den kommenden drei Jahren von 500 Millionen Euro auf 750 Millionen Euro aufzustocken.

Königshaus verwies auf unverständliche Standortentscheidungen, wenn beispielsweise eine sanierte Kaserne in Rotenburg an der Fulda in diesem Jahr ganz aufgegeben und stattdessen eine neue Bundeswehr-Einheit dann in einer nicht sanierten Kaserne im relativ nahen hessischen Frankenberg stationiert werde.

Auch bei der Ausrüstung legte der FDP-Politiker Königshaus eine lange Liste von Mängeln vor, die die Bundeswehr teilweise an den Rand der Einsatzbereitschaft brächten. Der größtmögliche Schutz der Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen bleibe eine "Herausforderung". Gegen Ende des ISAF-Einsatzes in Afghanistan habe das deutsche Kontingent "ausreichende Ausstattung" im Lager wie im Feld gehabt. Allerdings fehle der Truppe im Einsatz Unterstützung aus der Luft, wenn beispielsweise Boardingteams beim Anti-Piraten-Einsatz "Atalanta" verdächtige Schiffe inspizieren wollten, dabei aber keine Hubschrauber zur Absicherung anfordern könnten.

Bei Königshaus, als Wehrbeauftragter eine Art Anwalt der Soldaten, gingen vergangenes Jahr 4645 Beschwerden ein. Er bezeichnete 2014 als "ein Jahr der Wahrheit" für die Bundeswehr. "Mit wachsender Sorge" registrierte der Wehrbeauftragte 24 Selbstmorde in der Truppe im vergangenen Jahr sowie 43 Suizidversuche. Zudem hätten auch "einsatzbedingte psychische Erkrankungen" bei Soldatinnen und Soldaten zugenommen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Ende der Naivität
Kommentar zu russischer Spionage in Deutschland Ende der Naivität
Lauterbachs Gesetz führt zu Chaos
Kommentar zu den Folgen der Cannabis-Legalisierung Lauterbachs Gesetz führt zu Chaos
Zum Thema
Aus dem Ressort