Kommentar zur Wahl von Steinmeier Ein neuer Ton

Meinung | Berlin · Frank-Walter Steinmeier ist von der Bundesversammlung als neuer Bundespräsident gewählt worden. Glanz ist nicht zu erwarten, dafür aber Solidität im höchsten Amt des Staates. Ein Kommentar von GA-Chefredakteur Helge Matthiesen.

Frank-Walter Steinmeier nimmt nach der Wahl den Glückwunsch von seinem Vorgänger Joachim Gauck entgegen.

Frank-Walter Steinmeier nimmt nach der Wahl den Glückwunsch von seinem Vorgänger Joachim Gauck entgegen.

Foto: dpa

Die erste Ansprache nach der Wahl setzt den Ton für die kommenden fünf Jahre, und Frank-Walter Steinmeier setzte ihn richtig: Mut haben und Mut machen, lautet seine Devise. Den Mutlosen entgleitet die Zukunft und zur Mutlosigkeit gibt es in Deutschland keinen Grund. Recht hat er, wenn sein Plan nicht bedeutet, sich auf den Lorbeeren der Vergangenheit auszuruhen. Die Zeiten sind nicht danach, denn ruhigeres Fahrwasser ist nicht in Sicht, eher im Gegenteil.

Die Bundesversammlung erhebt den Anspruch, die politischen Strömungen der deutschen Gesellschaft in ihrer vollen Breite abzubilden. Sie tritt daher auch nur zur Wahl des Bundespräsidenten zusammen. Bei 1253 Teilnehmern wird sie diesem Anspruch sicher gerecht. Das Gremium hat Steinmeier schon im ersten Anlauf eine ungewöhnlich breite Mehrheit mit auf den Weg gegeben.

Das ist kein Zufall. Es spiegelt die Wertschätzung für den Kandidaten und es ist Ausdruck einer verbreiteten Stimmung im Land, das sich angesichts der vielen ungelösten Krisen und absehbaren Veränderungen wieder dort einzurichten beginnt, wo es sich am wohlsten fühlt: in stabilen und übersichtlichen Verhältnissen. Wenn der Applaus für die listige Rede und geschickte Versammlungsleitung Norbert Lammerts ein Gradmesser dafür ist, wie dieses Land derzeit tickt, dann ist ein demonstratives Bekenntnis zu den Kernbestandteilen und Grundüberzeugungen bundesdeutscher Demokratie ablesbar.

Grundgesetz setzt auf Stabilität

Freiheit, Frieden, Humanität und die Bindung an die westliche Wertegemeinschaft stehen nicht zur Debatte. Sie wurden im Reichstagsgebäude immer wieder beschworen und immer wieder laut beklatscht, lauter als es gewöhnlich bei solchen Anlässen der Fall war. Der Rahmen der Wahl atmete erkennbar den Geist einer Demonstration, einer Selbstvergewisserung der deutschen Republik in schwierigen Zeiten. Der neue Präsident passt zu dieser Stimmung.

Sollte der Bundespräsident besser vom Volk gewählt werden? Lammert machte am Beispiel der USA klar, dass dabei nicht zwangsläufig das bessere Ergebnis herauskommt. Muss es nicht mehrere starke Kandidaten, eine echte Auswahl geben? Die Wahl Wulfs war so eine Abstimmung, die neun Stunden dauerte. Das Ergebnis ist bekannt. Das Grundgesetz setzt in jedem seiner Teile auf Stabilität. Unsere Verfassung ist darauf ausgerichtet, den Populisten und Extremisten, den Feinden der Freiheit möglichst viele Steine in den Weg zu legen. Das ist in unruhigen Zeiten wichtig. Mag sein, der eigentliche Test des Grundgesetzes steht noch bevor.

Eine spröde, grenzenlose Verlässlichkeit

Steinmeier strahlt eine spröde, grenzenlose Verlässlichkeit aus. Glanz ist nicht zu erwarten, dafür aber Solidität im höchsten Amt des Staates. „Was ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammen hält?“ hat er am Anfang seiner Ansprache gefragt, und es ist die Frage, die ihn vermutlich in den kommenden Jahren ständig beschäftigen wird. Denn dieser Kitt wird nicht mehr der gleiche sein, der die vergangenen 25 Jahre gehalten hat. Ungelöste Konflikte gibt es mehr als genug. Die Gesellschaft steht vor den Herausforderungen der Digitalisierung, die erst in der Zukunft den Arbeitsmarkt voll erreichen wird. Deutschland muss mehr Verantwortung in der Welt, für Europa und für sich übernehmen. Es muss seine inneren Konflikte wie die zwischen Alt und Jung, zwischen Stadt und Land, Arm und Reich, zwischen Einheimischen und Zuwanderern, zwischen Extremisten und Gemäßigten moderieren. Die Eckpunkte der Debatten sind gut erkennbar. Dafür wird es einen Präsidenten brauchen, der ausgleicht. Steinmeier sollte das gelingen.

Deutschland hat einen Präsidenten, der von Beginn an unumstritten ist. Das ist mehr als sich über viele andere Länder derzeit sagen lässt. Steinmeier wird gleichwohl Mut brauchen. „Wer, wenn nicht wir, kann da eigentlich guten Mutes sein?“ fragte er sich und die Bürger. So sieht wohl bei allem Pathos des Tages Steinmeiers bodenständige Vision aus: stocknüchtern. Das ist der ganz besondere Ton des neuen Präsidenten.

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