Sterbehilfe Ein schwerer Gang

BERLIN · Wenig ist leicht in diesen 229 Minuten. Das ahnen alle im Saal. Und manches ist sehr persönlich.

 Die letzte Phase des Lebens: Deutschlands Politiker beraten über ein Sterbehilfegesetz.

Die letzte Phase des Lebens: Deutschlands Politiker beraten über ein Sterbehilfegesetz.

Foto: dpa

So sehr sogar, dass die Linke-Abgeordnete Kathrin Vogler den Kolleginnen und Kollegen im Dreiviertelrund des Plenums ein Bekenntnis in die Debatte mitgibt: "Wenn es ums Sterben geht, wird es einfach persönlich. Denn niemand von uns weiß, wie das geht - das Sterben."

Es gibt in diesen knapp vier Stunden keine Fraktionsgrenzen. Alles offen. Bedenken machen die Runde, Vorstellungen, Ungewissheit, Zweifel und jede Menge Gefühle. Vieles ist noch vage in dieser Orientierungsdebatte über Sterbebegleitung in Deutschland, an deren Ende irgendwann im Herbst 2015 tatsächlich ein Gesetz stehen soll, in dem geschrieben steht, wie viel Sterbehilfe erlaubt sein soll und wann das Strafrecht einsetzt, beispielsweise, weil das Geschäft mit dem Tod zu offensichtlich ist.

Peter Hintze (CDU) wird später sagen, es gehe auch darum, "dass wir das Sterben der Menschen aus dem allgemeinen Schweigen herausholen". Aus gutem Grund hat Bundestagspräsident Norbert Lammert vor dem Einstieg in die Aussprache noch gesagt, das Hohe Haus debattiere hier über "das vielleicht anspruchsvollste Gesetzgebungsprojekt dieser Legislaturperiode".

Sehr persönlich. Man konnte es ahnen. Bei Petra Sitte (Linke) ist es der eigene Vater, der in den fünf Minuten ihrer Rede lange nur "er" ist. Ein Fallbeispiel, so klingt es zunächst. Aber eben auch ein naher Mensch. "Er", der Vater. Kaputter Rücken, Alzheimer, fortschreitende Taub- und Blindheit. Am Ende sei er "mit multiplem Organversagen" gestorben. Sitte: "Er hat sich trotzdem seinen Tod ertrotzt." Sitte setzt sich mit Renate Künast und Kai Döhring (beide Grüne) dafür ein, "die von Angehörigen, Nahestehenden, Ärzten und Sterbehilfevereinen geleistete Beihilfe zum Freitod weiterhin straflos zu lassen", kurz, auch organisierte Sterbehilfe nicht zu verbieten.

Auch Michael Brand (CDU) hat seine Geschichte. Sein Vater sei 1973, im Jahr seiner Geburt, an Krebs erkrankt. "Krankheit und Tod waren zu hause immer mit am Tisch." Der CDU-Abgeordnete ist heute aber überzeugt: "Niemand muss wegen Schmerzen heute mehr in die Schweiz reisen." Die Schweiz ist seit vielen Jahren Ziel von Menschen auch aus Deutschland, die ihrem Leben ein Ende setzen und dabei begleitet werden wollen.

Oben auf der Besuchertribüne sitzt Sabine Laube, stellvertretende Vorsitzende von Dignitas Deutschland e.V. Der Verein setzt sich nach eigenen Angaben für ein auch das Lebensende umfassendes Selbstbestimmungsrecht ein und bietet seinen Mitgliedern auf "Ersuchen" auch "Freitodbegleitung" an. Eine Reihe hinter Laube sitzt Ulla Kalbfleisch-Kottsieper, die für ein Hospiz in Berlin-Wannsee arbeitet. Beide kennen ungezählte Fälle von Schwerstkranken und Schmerzpatienten. Und auch sie haben unterschiedliche Positionen.

Unten am Rednerpult zitiert CDU-Mann Brand gerade Auszüge aus einem Brief, den ihm eine 48 Jahre alte Frau geschickt hat, die über sechs Jahre an Krebs erkrankt war. Die Krankheit gilt bei ihr mittlerweile als geheilt, wie Brand sagt. Die Frau schreibt: "Vielleicht wäre ich schon tot", wenn der "psychische Druck von außen" auf sie nur groß genug gewesen wäre. Jetzt soll Brand sich für das Leben auch Schwerkranker einsetzen. Er tut es zusammen mit Claudia Lücking-Michel (CDU) und Michael Frieser (CSU).

In ihrem Positionspapier sprechen sich die drei Unionsparlamentarier "gegen Sterbehilfevereine und andere organisierte Formen der Förderung der Selbsttötung oder Beihilfe zum Suizid" aus. Auch "organisierte ärztliche Assistenz zum Suizid" lehnt diese Gruppe ab, hinter der sich eine Mehrheit der Unionsfraktion versammeln könnte. Wie Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will auch sie keine gesetzlichen Sonderregelungen für Ärzte. Gröhe ist gegen eine "Verklärung der Selbsttötung" und warnt davor, dass Suizid als Dienstleistung angeboten würde.

Lücking-Michel sagt es so: "Sterben und Leben in Würde gehören untrennbar zusammen." Für sie als Christin sei "unser aller Leben ein Geschenk Gottes". Die Würde des Menschen sei einfach unveräußerlich. Also: Kein Geschäft mit dem Sterben. Auch Franz Josef Jung (CDU) genügt ein Blick in das Grundgesetz, woraus er Artikel 1 zitiert: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt." Deswegen seien Vorschläge zum assistierten Suizid nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. "Sie sind verfassungswidrig."

Für den CDU-Fraktionskollegen Hintze ist es nicht so einfach. Er kennt Fälle von furchtbarem Mundbodenkrebs und Panik-Erstickungstod. Zum Schutz des Lebens gibt es von ihm ein "klares Ja". Es sei mit der Menschenwürde schlicht unvereinbar, "wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Qualtod würde". Bei einer unumkehrbar zum Tod führenden Krankheit gehe es doch "nicht um das Ob, sondern um das Wie". Hintze will mit Carola Reimann und Karl Lauterbach (beide SPD) Ärzten mehr Freiraum und auch die Möglichkeit zu ärztlich assistiertem Suizid als letztem Schritt geben. Dabei müsse der Flickenteppich mit unterschiedlichen Regelungen von 17 Landesärztekammern vereinheitlicht werden. Reimann kritisiert, dass in Essen (Landesärztekammer Nordrhein) zur ärztlichen Sterbebegleitung etwas anderes gelte als in Bochum (Landesärztekammer Westfalen-Lippe).

So kämpfen sich die Abgeordneten durch die Positionen. So wie Maria Michalk (CDU) "niemals ein Geschäft mit dem Tod" in Deutschland erleben will, so plädiert die Grünen-Abgeordnete Künast dafür: "Aber selber darf ich mein Leben beenden." Suizid sei ebenso wenig strafbar wie Beihilfe. "Aber es muss Beihilfe sein und nicht Tötung auf Verlangen." Die Stimmung im Plenum ist gedämpft. Es gibt kaum Zwischenrufe. Und manchmal Applaus aus allen Fraktionen für den jeweiligen Redner. Das Thema ist zu schwer für Effekthascherei.

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