Andreas Scheuer und die Pkw-Maut Ein Verkehrsminister auf dem Schleudersitz

Berlin · Nach dem Debakel um die Pkw-Maut gibt es parlamentarische Ermittlungen, die Verkehrsminister Andreas Scheuer das Amt kosten könnten.

 Andreas Scheuer, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur.

Andreas Scheuer, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur.

Foto: Michael Kappeler

Andreas Scheuer (CSU) ist bekannt für medienwirksame Auftritte. Erst recht, wenn er sich bedrängt fühlt. 21 Aktenordner liegen auf dem Wägelchen, das der Verkehrsminister Ende Juli zur Sondersitzung des Verkehrsausschusses schieben lässt. Zehn Ordner enthalten die zu dem Zeitpunkt bereits veröffentlichten Verträge für die Pkw-Maut, elf weitere sind mit Dokumenten der Risikobewertung oder Statusberichten gefüllt. Scheuer blättert vor laufenden Kameras demonstrativ durch die Ordner, verspricht "maximale Transparenz" bei der Aufklärung des Maut-Desasters. Erkenntnisgewinn aus Sicht der Opposition nach der Sitzung: null.

Doch jetzt soll sich das ändern. Die Abgeordneten von FDP, Linken und Grünen haben an diesem Dienstag für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gestimmt. Auch ohne die AfD, die das Gremium nicht für nötig hält, haben sie ausreichend Stimmen im Parlament, um den Ausschuss durchzusetzen und in den kommenden Monaten gegen Scheuer zu ermitteln.

Zwei zentrale Vorwürfe stehen dabei im Raum. Erstens soll Scheuer darauf gedrungen haben, dass die Maut-Betreiber die Verträge unterschreiben sollten, noch bevor der Europäische Gerichtshof geurteilt hatte, ob die Abgabe mit einseitiger Belastung von Ausländern überhaupt rechtmäßig ist. Und zweitens soll Scheuer sich mehrmals mit Vertretern der später ausgewählten Unternehmen getroffen haben, bevor die Verträge unterzeichnet waren - ohne dass es darüber Vermerke oder Protokolle im Ministerium gab. Hat Scheuer darüber die Parlamentarier belogen?

Der stets makellos auftretende Niederbayer ist bereits der zweite Verkehrsminister, der mit der Maut zu kämpfen hat. Sein Amtsvorgänger Alexander Dobrindt (CSU) war nach Berlin gekommen mit dem fast als Bürde zu verstehenden Satz vom damaligen CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer: "Ein Alexander Dobrindt scheitert nicht." Und tatsächlich schaffte es das Prestigeprojekt aus dem CSU-Wahlkampf 2013 zunächst in den Koalitionsvertrag, obwohl weder SPD noch weite Teile der CDU Freunde davon waren. "Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben", hatte Kanzlerin Angela Merkel noch im TV-Duell der Kanzlerkandidaten gesagt. Bedingung für die Koalition: Dass im Inland zugelassene Fahrzeuge nicht höher belastet werden dürfen als bisher.

Für Scheuer ist genau das zum nicht mehr lösbaren Problem geworden. Der EuGH befand im Juni 2019 nach einer Klage Österreichs, dass die Maut gegen EU-Recht verstoße, weil sie nicht-deutsche EU-Bürger ungerechtfertigt diskriminiere. Damit war die Maut, die eigentlich den Titel "Infrastrukturabgabe" trug, tot. Gerechnet hatte damit kaum jemand, weil zuvor auch der Generalanwalt am EuGH, Nils Wahl, in seinem Schlussantrag eine Diskriminierung verneint hatte.

Doch so wurde der Fall zum gefundenen Fressen für die Opposition, die jetzt vor allem das Verfahren in den Blick nehmen will. Sie wirft Scheuer vor, Ende 2018 den Zuschlag zur Erhebung der Maut an ein Konsortium aus der österreichischen Firma Kapsch und der deutschen Firma CTS Eventim vergeben zu haben - bevor endgültige Rechtssicherheit bestand. Weil der Bund nach dem Urteil die Verträge kündigte, dürften nun Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe auf die Steuerzahler zukommen. Und was ist mit den Treffen? Scheuer musste immer wieder einräumen, sich außerhalb offizieller Protokolle mit Unternehmensvertretern getroffen zu haben - beispielsweise am 3. Oktober 2018 am Berliner Flughafen mit Kapsch-Managern, als das Auswahlverfahren noch lief. Dem Bundestag hatte Scheuer das Treffen zunächst vorenthalten. "Mit seinem Verhalten hat uns Scheuer die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses regelrecht aufgedrängt", sagt nun Grünen-Verkehrsexperte Stephan Kühn. Für Scheuer könnte das durchaus gefährlich werden. "Wenn im Untersuchungsausschuss festgestellt wird, dass Minister Scheuer im Parlament gelogen hat, dann ist er nicht länger tragbar und sollte zurücktreten", sagt FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic.

Scheuer will davon nichts wissen und geht am Dienstag in die Offensive. Noch bevor offiziell feststeht, dass FDP, Grüne und Linke den Ausschuss einsetzen werden, gibt Scheuer in seinem Ministerium eine kleine Pressekonferenz. Der Untersuchungsausschuss biete die Chance zur Versachlichung der Debatte, sagt er da. Von Rücktritt will er nichts wissen. "Ich habe sehr viel Freude an dem Amt", sagt Scheuer. Und auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus betont, der Stuhl von Scheuer wackle nicht. Dennoch: Dieser Stuhl ist mittlerweile zum Schleudersitz geworden.

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