Cem Özdemir Eisdusche mit Nebenwirkungen

BERLIN · DAS PORTRÄT Grünen-Chef Cem Özdemir geht nach Hanfpflanzen-Ärger in die Offensive

 Cem Özdemir.

Cem Özdemir.

Foto: dpa

Nein, er will durchaus nicht zurückziehen. Keinen Fehler eingestehen - oder gar eine Dummheit. Ganz im Gegenteil. Dass im Hintergrund seines sommerlichen Videos, als die Stimmung in Deutschland noch unbeschwert und fußballtrunken war, eine Cannabis-Pflanze zu sehen war, sei durchaus kein Versehen gewesen, sagt Özdemir. Das Argument läge nahe, schließlich ging es beim Dreh auf seinem privaten Balkon ja um etwas ganz anderes: Es war die Zeit, da sich Deutschlands Halb- und Viertelprominente reihenweise Kübel mit Eiswasser über den Kopf schütteten, um auf eine heimtückische Krankheit aufmerksam zu machen.

Özdemir sagt heute, er wollte aber sehr wohl auch auf anderes aufmerksam machen. Die Pflanze stehe nicht nur so da, sie sei "platziert". Und die Aufregung und Ermittlungen zeigten, "wie widersinnig die deutsche Drogenpolitik ist". Also eine bewusste politische Aktion. Vorwärtsverteidigung. "Niemand sollte den Konsum von Drogen verharmlosen. Die Kriminalisierung der Konsumenten von Cannabis lässt sich jedoch nur mit einer irrationalen Drogenpolitik erklären, die eine Droge wie Alkohol akzeptiert, eine andere wie Cannabis jedoch mit allen gesellschaftlichen Folgen verteufelt", sagt der grüne Parteichef.

Vielleicht ist das seine Lehre aus dem Sommer 2002. Damals zogen sich die Vorwürfe gegen ihn wie Kaugummi. Erst wurde ein Privatkredit des PR-Beraters Moritz Hunzinger bekannt, dann Vorwürfe, er habe dienstlich erworbene Bonusmeilen genutzt. Damals musste Özdemir sein Amt als innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion aufgeben und kandidierte nicht mehr für den Bundestag. Das soll nicht wieder passieren.

Die grüne Partei treffen die Schlagzeilen zu einer denkbar unglücklichen Zeit - und das gleich aus mehreren Gründen. Ukraine-Krise, Griechenland-Krise, Terror-Angst: Man kann nicht behaupten, dass die politische Agenda zur Zeit von Langeweile oder Belanglosigkeit geprägt ist. Da kann es schon wie ein eklatantes Verkennen des Ernstes der Lage aussehen, wenn dem grünen Bundesvorsitzenden das Thema Drogenpolitik auf den Nägel zu brennen scheint.

Unangenehm für die Grünen, denn die Partei hat gerade alle Mühe, ihren Platz in den öffentlichen Debatten zu behaupten. Große Koalitionen lassen wenig Spielraum für die kleinen Oppositionsparteien. In Krisenzeiten richtet sich zudem die Aufmerksamkeit zuallererst auf das Handeln der Kanzlerin und der Minister. Das grüne Problem wird dadurch verstärkt, dass - anders als in den Zeiten des wortmächtigen Josef Fischer - die kleinere Bühne nicht durch starke rhetorische Auftritte kompensiert werden kann.

Es bleibt eigentlich Cem Özdemir. Er ist in den vergangenen Monaten zur eigentlichen Stimme der Grünen aufgestiegen. Das liegt nicht nur daran, dass die zweite Bundesvorsitzende, Simone Peters, den Sprung in die Bundesliga der Politik noch keineswegs geschafft hat. Vor allem hat es damit zu tun, dass mit dem Aufkommen der Pegida-Bewegung das Thema Migration und Umgang mit den Muslimen in Deutschland eine grandiose Aufwertung erfahren hat. Und da gibt es eben kaum einen Politiker, der geeigneter wäre, zu diesen Themen Stellung zu nehmen als Özdemir.

Seine Eltern kommen aus der Türkei, er ist hier geboren, ist Schwabe durch und durch - kurz: er ist in Sachen Zuwanderer von Grund auf glaubwürdig. Ein Glücksfall für seine Partei. Umso ärgerlicher für ihn und die Grünen, dass er Angriffsfläche bietet.

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