Konflikt mit Deutschland EU-Milliarden stützen die Türkei

Bonn · Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel will einen Stopp der EU-Unterstützung an die Türkei prüfen. Warum ein Aussetzen der Zahlungen nicht so einfach ist, wie er es sich wünscht. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

 Eine deutsche und eine türkische Fahne vor einer Moschee.

Eine deutsche und eine türkische Fahne vor einer Moschee.

Foto: dpa

Die Beitrittsgespräche mit der Türkei stoppen – das fordert das EU-Parlament. Zahlungen der EU für Ankara überprüfen – das will Bundesaußenminister Sigmar Gabriel. Doch die Realität ist eine andere. Über vier Milliarden Euro stehen für die Heranführung der Türkei an die EU bereit. Heute wird in Brüssel sogar über eine Ausweitung der Zollunion verhandelt. Warum schwenkt die Union nach der offenkundigen Abkehr Ankaras von demokratischen Grundwerten nicht um?

Wie viel Geld steht der Türkei aus dem EU-Etat zur Verfügung?

Es geht dabei um Vorbeitrittshilfen, mit denen die Gemeinschaft die Heranführung eines Kandidaten an die Union finanziert. Solche Gelder bekommen auch andere wie Serbien. In der Finanzperiode 2014 bis 2020 sind in diesem Programm 4,45 Milliarden Euro für Ankara vorgesehen, von denen bisher aber nur 167,3 Millionen für entsprechende Projekte abgeflossen sind. Diese Zuwendungen haben nichts mit den drei Milliarden Euro zu tun, die zusätzlich im Rahmen des Flüchtlingsdeals vereinbart wurden. Sie kommen noch dazu.

Und wofür kann die Türkei das Geld ausgeben?

In den Jahren 2014 bis 2017 sind zum Beispiel 540 Millionen Euro für die Stärkung der Demokratie und bessere Regierungsführung eingesetzt worden. Weitere 389 Millionen können für den Ausbau der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit genutzt werden. Von diesen Positionen ist aber bis jetzt noch kein Euro ausgezahlt worden. Rund zwei Drittel der Gesamtsumme von 4,45 Milliarden Euro sind als Heranführungshilfe zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, des Umbaus der Energieversorgung und des Transportsektors vorgesehen. Bildung und Beschäftigung werden ebenfalls bezuschusst.

Kann die EU das Geld nicht einfach stoppen?

Dazu wäre zunächst ein einstimmiger Beschluss der EU-Außenminister nötig. Dafür gibt es bisher keine Initiative, eine Sondersitzung während der Sommerpause wurde (noch?) nicht anberaumt. Hinzu kommt ein massives rechtliches Problem. Im ersten Vorbeitrittsprogramm 2007 bis 2013 gab es eine Klausel, mit der die Auszahlung der Finanzhilfen an rechtsstaatliche Grundsätze und die Wahrung der Demokratie gebunden waren. Im zweiten Programm ab 2014 fehlt diese Klausel. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam deshalb in einem Gutachten zu dem Ergebnis, dass ein Aussetzen der Hilfe, wie sie der Bundesaußenminister angeregt hat, nicht möglich ist.

Die Türkei gehört zur Zollunion mit der EU. Was heißt das?

Bereits 1995 hat die EU Ankara in die Zollunion aufgenommen. Damit wurden alle Zölle für Industriegüter gestrichen, Ankara musste allerdings versprechen, die europäischen Zölle an seinen Außengrenzen zu erheben. Für die Wirtschaft des Landes bedeutete dieser Schritt einen deutlich erleichterten Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Außerdem wurde die Türkei so als Standort für europäische Unternehmen attraktiv.

Am Dienstag soll sogar über eine Ausweitung der Zollunion gesprochen werden. Ist das nicht das völlig falsche Signal?

Tatsächlich soll es am Dienstag Gespräche über eine Modernisierung der Zollunion in Brüssel geben. Dieser Termin wurde vor mehreren Monaten vereinbart. Ursprünglich war geplant, den freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt auch auf Dienstleistungen und Landwirtschaft auszudehnen. Allerdings rechnet heute niemand mit Zugeständnissen.

Kann es sein, dass die EU die Zollunion aufkündigt?

Die Union wird dieses Projekt nicht leichtfertig aufgeben, weil es eines der letzten Druckmittel gegen Ankara ist. Die türkische Wirtschaft hat größte Probleme, der von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan versprochene Wohlstand lässt auf sich warten. Die EU wiederum hofft, dass sie dieses Instrument nutzen kann, um Erdogan zur Rückkehr zu einer demokratischen Politik zu bewegen.

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