Auftritt in Berlin Ex-Kanzlerin Merkel lehnt Entschuldigung für Russland-Politik ab
Berlin · Angela Merkel hat sich im Berliner Ensemble erstmals nach Ende ihrer Kanzlerschaft öffentlich einem Interview gestellt. Sie äußerte sich darin zum russischen Angriff auf die Ukraine und die ersten Monate ihres Ruhestands.
Da sitzt sie also auf der Bühne des Berliner Ensembles, in diesem schönen Saal mit den prächtigen Balkonen und Logen. Ein passendes Ambiente. Blauer Blazer, schwarze Hose – Angela Merkel, wie man sie kennt. Vor einem halben Jahr hat sie an Olaf Scholz das Kanzleramt übergeben, das sie 16 Jahre führte. Erstmals steht sie Rede und Antwort, nachdem die Zeit des „Auslüftens“, wie sie zu Beginn ihres Ruhestands mal gesagt hat, vorbei ist. Mal ist Merkel in unterhaltsamer Plauderlaune, mal wird sie vehement, mal rückt sie ein paar Dinge zurecht. Da hat jemand wieder Erklärungsbedarf. Gerade mit Blick auf Russland und ihrer eigenen Rolle.
„Auslüften.“ Für Merkel bedeutete dies mehr Bewegung, vor allem an der Ostsee. „Ein richtig dickes Buch mal zu lesen, das war schön.“ Hörbücher hat sie dort gehört, Shakespeare. „Ich habe den Tag richtig gut rumbekommen“, erzählt Merkel. Sie hatte gedacht, dass ihr langweilig werden könnte. Wurde es aber nicht. Ostsee deshalb, „weil die Leute da an mich gewöhnt sind, deshalb sind sie auch sehr schweigsam“.
Die Fragen stellt ihr der Journalist und Schriftsteller Alexander Osang, der Merkel mehrfach porträtiert hat. Kurzweilig ist das Gespräch. „Wer bin ich heute?“, fragt Merkel sich sogar selbst. Die Antwort: „Ich bin Bundeskanzlerin a.D. Ich bin keine ganz normale Bürgerin.“ Sie müsse weiterhin vorsichtig sein, sich zu äußern. „Das ist auch nicht meine Aufgabe, Kommentare von der Seitenlinie zu geben“, sagt sie vehement. „Ich suche ja noch meinen Weg.“ Wenn sie lese, Merkel schleiche sich zurück und mache jetzt nur noch Wohlfühltermine – „da sage ich ja.“ Gelächter im Publikum.
Mit eigener Politik weitgehend im Reinen
Die Unterhaltung ist durchaus wohlig. Und man erlebt eine Altkanzlerin, die mit sich und ihrer Politik weitgehend im Reinen ist. „Ich werde mich auch nicht entschuldigen“, hebt sie hervor. Manch einer hatte das nach dem Beginn des Ukraine-Krieges wegen ihrer Russlandpolitik gefordert. Merkel stellt klar: Sie habe nie daran geglaubt, „dass Putin durch Handel gewandelt wird“. Sie habe gewusst, wie er denke und habe immer versucht, eine Eskalation zu verhindern. Der Ukraine-Krieg sei aber eine Zäsur gewesen, die sie sehr bedrücke. Hätte man noch mehr tun können, was hat man versäumt, hätte man die „große Tragik“ des Krieges verhindern können, fragt sie sich erneut selbst. Sie habe sich während ihrer ganzen Kanzlerschaft jedenfalls mit den Problemen beschäftigt, die aus dem Zerfall der Sowjetunion entstanden seien.
In Sotchi 2007, als Putin sie mit dem Hund einschüchtern wollte, habe er ihr schon gesagt, dass der Zerfall der Sowjetunion für ihn das Schlimmste gewesen sei. Der Dissens habe sich über die Jahre immer fortentwickelt, am Ende sei es nicht gelungen, den Kalten Krieg tatsächlich zu beenden. Zum Hund sagt sie noch: „Eine tapfere Bundeskanzlerin muss mit so einem Hund fertig werden.“ Wieder Gelächter.
Klar betont Merkel, es sei nicht gelungen, eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die die Entwicklung hätte verhindern können. „Dieser Überfall auf die Ukraine findet keinerlei Rechtfertigung, ein brutaler, das Völkerrecht missachtender Überfall, für den es keine Entschuldigung gibt.“ Sie habe auch nicht den Eindruck, dass es etwas nütze, mit dem russischen Präsidenten zu reden. „Es gibt wenig zu besprechen, schon gar nicht, ohne mit der Ukraine zu sprechen.“ Auch müsse sie, wenn überhaupt, von der Bundesregierung gebeten werden.
Hat Putin gewartet, bis Merkel weg ist? „Kann sein, kann nicht sein.“ Sie habe nun aber Vertrauen in die jetzige Bundesregierung. „Das müssen jetzt andere machen, ich kann erahnen, wie schwer das ist“, so Merkel. Mit Scholz hat sie gesprochen. Sie schiebt nach: „Wenn ich denke, das läuft in die völlig falsche Richtung, dann kann ich sehr viele anrufen. Das musste ich aber noch nicht.“ Besonders stolz ist sie darauf, dass sie freiwillig aufgehört hat. „Das ist auch ein schönes Gefühl.“
Freimütig räumt sie allerdings auch ein: „Innenpolitisch musste eine neue Regierung her, das hat man an allen Ecken und Enden gespürt.“ Sie habe nach 16 Jahren schon gemerkt, „dass ich manchmal nicht mehr ganz so kampfesfreudig bin“. Ihr Auftritt zeigt zumindest, dass die verlorene Kraft wieder da ist.