GA-Interview mit Professor Wolfgang Maier "Faktor ist nicht die Arbeit, sondern Arbeitslosigkeit"

Fehlzeiten im Job wegen Depressionen nehmen rapide zu. Doch die Arbeitswelt ist nicht allein für die Gesundheitsmisere verantwortlich, sagt Professor Wolfgang Maier. Mit dem Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn sprach Jasmin Fischer.

 Wolfgang Maier.

Wolfgang Maier.

Foto: DZNE

Depressionen gehören mittlerweile zu den Hauptursachen von Krankschreibungen bei Deutschlands Beschäftigten. Die Krankenkassen gehen davon aus, dass die Zahlen in Zukunft sogar noch weiter steigen. Ist die Arbeitswelt schuld an dieser Entwicklung?
Wolfgang Maier: Nicht nur! Denn trotz der steigenden Arbeitsintensität nimmt nicht die Häufigkeit von Depressionen zu, sondern das Gefühl, krank zu sein und die Inanspruchnahme von medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung. Die Ärzte sind in der Hinsicht viel aufmerksamer geworden und notieren die Diagnose "Depression" inzwischen häufiger offen auf dem Krankenschein. Ein Grund hierfür ist die Abnahme der Stigmatisierung psychischer Leiden. Zum Thema Arbeit und Depression ist festzustellen: Der stärkste depressionsfördernde Faktor ist aber nicht Arbeit, sondern Arbeitslosigkeit.

Viele Vertreter der "Sandwich-Generation" zwischen 30 und 50 Jahren fühlen sich chronisch überarbeitet, permanent gehetzt, kommen nicht mehr zur Ruhe. Macht der Druck die Menschen krank?
Maier: Ich würde es so formulieren: In einer Arbeitswelt, die sicher härter und fordernder geworden ist, stoßen Menschen mit depressiven Leidenszuständen schneller an die Grenzen. Die Leistung bleibt hinter den gestiegenen Erwartungen zurück. Die Arbeitswelt selbst macht den Menschen nicht depressiver. Aber bei steigender Arbeitsintensität wird die Belastungsgrenze von Menschen mit depressiven Beschwerden zunehmend überschritten.

Nun gibt es Jobs, in denen eine depressive Erkrankung fast zum Berufsrisiko gehört. Beschäftigte in der Altenpflege, in Callcentern, Lehrer, Pendler mit weiten Arbeitswegen oder Zeitarbeiter sind offenbar seelisch besonders belastet.
Maier: In der Tat ist das Risiko, an Depressionen zu erkranken, in kommunikativen Branchen besonders hoch. Darunter fallen alle Berufe mit hohem Grad an zwischenmenschlichen Verpflichtungen und kommunikativen Lasten. Dazu macht es einen Unterschied, wie viel Gestaltungsspielraum mir die Arbeit lässt. Zugespitzt formuliert: Ein Pfleger hat ein höheres Erkrankungsrisiko als ein Arzt.

In NRW ist die Zahl der Fehltage wegen Depressionen besonders hoch. Bonn liegt im Bundesschnitt, doch Ruhrgebietsstädte wie Duisburg und Herne schlagen besonders aufs Gemüt. Wie erklären Sie sich die regionalen Unterschiede?
Maier: Zwei Gesichtspunkte: der stärkste Risikofaktor für Depression ist Arbeitslosigkeit, die in Bonn besonders gering ist. Weiterhin haben Menschen mit niedrigerem Bildungsgrad ein höheres Erkrankungsrisiko. Aber Risikofaktoren wie Burnout spielen auch bei Patienten in Bonn eine große Rolle - also Sinnkrisen, ein Gefühl, dass ihre Arbeit sie nicht mehr erfüllt.

Nun setzen Kassen darauf, dass der Einzelne selbst vorsorgt, Stress abbaut, Sport und Yoga treibt, die Kunst der Entspannung lernt. Wird damit das Erkrankungsrisiko auf den ohnehin überforderten Einzelnen abgewälzt?
Maier: Ich halte das betriebliche Gesundheitsmanagement für ganz wichtig. Hier gibt es deutliche Defizite in kleinen und mittleren Betrieben. Auch das Präventionsgesetz der Bundesregierung, das auf den Weg gebracht worden ist, kann helfen, denn eines der zehn Hauptziele lautet, Depressionen früher zu erkennen, besser zu diagnostizieren und früher zu behandeln. Derzeit fehlen Betroffenen die klaren Pfade im Versorgungssystem - mit dem Effekt, dass sich die Fehlzeiten der Arbeitnehmer wegen Depressionen verlängern.

Ein britischer Gesundheitsforscher plädiert für eine Vier-Tage-Woche, weil eine bessere Balance zwischen Job und Familie Stress reduziere und vor Depressionen, Bluthochdruck und Rückenschmerzen schütze. Was halten Sie davon?
Maier: Eine politisch brisante Frage! Die Arbeitswelt wird von Tarifparteien geregelt und die lassen sich dabei nur ungern reinreden. Schon das Anti-Stress-Gesetz ist am Widerstand gescheitert. Aus medizinischer Perspektive hielte ich es ohnehin für besser, wenn gefährdete Personen regelmäßig, dafür aber kürzer, arbeiten. Je länger mehrtägige Arbeitspausen sind, umso mehr Überwindung kostet der Wiedereinstieg.

Wo hört die schlechte Laune auf und fängt die Depression an?
Maier: Wenn die Erholung nicht die Erschöpfung nimmt, ist das ein Alarmzeichen. Für die Diagnose "Depression" sind aber noch andere Symptome wie Schlafstörungen, Appetitverlust, Minderwertigkeitsgefühle, Freudlosigkeit oder innere Unruhe nötig.

Zur Person

Prof. Wolfgang Maier hat an der Universität München zuerst das Studium der Mathematik und Volkswirtschaftslehre abgeschlossen und im Anschluss Humanmedizin studiert. 1981 nahm er seinen Dienst als Arzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Mainz auf, 1986 wurde er Oberarzt. Seit Oktober 1995 arbeitet er an der Universitätsklinik Bonn. Maier ist zudem Sprecher des Kompetenznetzes "Demenz".

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