Fall Anis Amri: Chance im Juli 2016 möglicherweise verpasst

Düsseldorf · War der Terroranschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt verhinderbar? Am Freitag gerieten zwei gefälschte Pässe in den Blick. Hätte Amri damit hinter Gitter gebracht werden können?

 Der Generalbundesanwalt Peter Frank im Fall Amri ist zu sehen.

Der Generalbundesanwalt Peter Frank im Fall Amri ist zu sehen.

Foto: Matthias Balk/Archiv

Der islamistische Attentäter Anis Amri hätte möglicherweise bereits im Juli 2016 aus dem Verkehr gezogen werden können. Damals war er in einem Fernbus auf dem Weg in die Schweiz in Süddeutschland mit gefälschten italienischen Pässen festgenommen, aber wieder freigelassen worden.

Generalbundesanwalt Peter Frank sagte am Freitag in Düsseldorf, in einem ähnlichen Fall sei es gelungen, einen Terrorverdächtigen über den Umweg der Urkundenfälschung wegen eines gefälschten Passes mit Haftbefehl in Untersuchungshaft zu bringen. Zuvor habe der Bundesgerichtshof den Mann auf freien Fuß gesetzt, weil sich der Terrorverdacht nicht ausreichend habe erhärten lassen.

Seine Behörde hätte die Akten dafür im Fall Amri freigegeben, sei aber nicht gefragt worden, erklärte Frank. Er widersprach damit dem NRW-Sonderermittler Prof. Bernhard Kretschmer, der erklärt hatte, der Generalbundesanwalt habe die Erkenntnisse damals nicht freigeben wollen.

Als Frank ein entsprechender Aktenvermerk über ein Gespräch zwischen seiner Behörde und dem Landeskriminalamt NRW vorgehalten wurde, wonach einer Freigabe widersprochen werde, sagte Frank, er kenne den Vermerk nicht, werde das aber klären.

Ob es damals tatsächlich für einen Haftbefehl gereicht hätte, wollte der oberste deutsche Ankläger aber nicht sagen: "Das maße ich mir nicht an, ich kenne die damalige Aktenlage nicht."

Zuvor hatte Frank auf die schwierige Beweislage bei Terroranschlägen mit Alltagsgegenständen wie im Fall Anis Amri hingewiesen. Wer keine Waffen oder Sprengstoffe horte, weil er Messer oder Auto nutzen wolle, dem sei eine Terrorabsicht im Vorfeld sehr schwer nachzuweisen, sagte Frank im Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags zum Fall Amri. Geheimdienst-Erkenntnisse oder die von verdeckten Ermittlern seien oft nicht gerichtsverwertbar.

"Vor Gericht heißt es: Hose runter. Damit gewinnt auch die Verteidigung Einblick in die Akten. Es wird alles offengelegt", sagte Frank. Die Vertrauensperson, die Erkenntnisse über Amri geliefert habe, habe eine Schlüsselrolle in mehreren wichtigen Ermittlungsverfahren gespielt, so auch beim mutmaßlichen Terror-Netzwerk um Abu Walaa.

Für die Einleitung von Ermittlungen könne zwar ein Behördenzeugnis reichen, für eine Festnahme nicht. Amri war Ende Juli 2016 vorläufig festgenommen worden, es war ein Strafverfahren wegen Urkundenfälschung und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet worden. Am 1. August 2016 war Amri aber aus der Justizvollzugsanstalt Ravensburg entlassen worden.

Als Konsequenz aus dem Fall Amri sei auf Anregung des BKA ein neues Instrument entwickelt worden, um die Risikoeinstufung der über 600 Gefährder in Deutschland zu verbessern.

Der Ausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags untersucht, wie es dem Tunesier gelingen konnte, den Anschlag mit zwölf Toten auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember zu begehen, obwohl er als islamistischer Gefährder im Visier der Sicherheitsbehörden war.

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