"Humanitärer Anspruch nur Pose" FDP-Chef Christian Lindner über die Misshandlung von Flüchtlingen in NRW
BONN/DÜSSELDORF · Für die heutige Sondersitzung des Innenausschusses des NRW-Landtags fordert der Vorsitzende der FDP im Bund und in NRW, Christian Lindner, eine umfassende Aufklärung der Misshandlungsfälle in Flüchtlingsunterkünften. Mit Lindner sprach Kai Pfundt.
Was erwarten Sie von der Innenausschuss-Sondersitzung?
Christian Lindner: NRW-Innenminister Ralf Jäger muss Klarheit schaffen über die Versäumnisse der Vergangenheit und die notwendigen Konsequenzen, die er zieht. Wir haben einen umfangreichen Fragenkatalog zusammengestellt, dessen Beantwortung wir erwarten.
Bleiben Sie bei der Rücktrittsforderung gegen Jäger?
Lindner: Herr Jäger hat stets sehr strenge Maßstäbe an Landesminister früherer Kabinette angelegt. Bei ihm saß der Colt immer sehr locker. Wenn er seine früheren Maßstäbe für sein Handeln in der Flüchtlingsfrage zur Grundlage macht, muss er sein Amt zur Verfügung stellen.
Und wenn Jäger im Amt bleibt?
Lindner: Dann muss sich Ministerpräsidentin Hannelore Kraft fragen, ob sie ein so eklatantes Versagen in einem Ministerium tolerieren will.
Am kommenden Montag trifft sich der von Kraft zusammengerufene Runde Tisch zur Flüchtlingskrise. Ist das der richtige Weg, das Problem anzugehen?
Lindner: Ich befürchte, dass dieser Runde Tisch eine Showveranstaltung wird, die dazu dient, die politische Verantwortung auf viele Schultern zu verteilen. Wir stellen die Frage, warum etwa Brandbriefe des Dortmunder OB aus dem September und November 2013 in der Landesregierung unbeantwortet blieben. Es gab auch vorher schon Berichte aus Flüchtlingsunterkünften, die Anlass zur Besorgnis hätten geben müssen. All das hat Innenminister Jäger nicht alarmiert. Das erweckt den Anschein, dass der humanitäre Anspruch, den sich die Landesregierung gibt, nur Pose ist.
Was sollte denn das Ergebnis des Runden Tisches sein?
Lindner: Wir brauchen ein Konzept, das klare Anforderungen erfüllt: Eine hinreichende Zahl von Unterbringungsplätzen für Flüchtlinge, das dafür notwendige Personal, die kontinuierliche Überprüfung in den Unterkünften und eine Erstaufnahmeeinrichtung in jedem Regierungsbezirk. Einrichtungen für die Erstaufnahme und Wohnheime sollten zusammengelegt werden und Kapazitäten für besondere Lagen müssen geschaffen werden, etwa für den Fall, dass eine Einrichtung wegen Krankheitsfällen geschlossen werden muss. Ein solches Konzept müsste übrigens Chefsache für den Minister sein.
Sehen Sie den Runden Tisch als reine Ablenkungsmaßnahme?
Lindner: Ich will den Runden Tisch nicht kritisieren, bevor er überhaupt stattgefunden hat. Aber Aufklärung und konzeptionelle Arbeit der Landesregierung kann er nicht ersetzen. Rot-Grün kann die Verantwortlichkeit nicht auf Runde Tische verlagern.
Eigentlich dürften Sie mit der Art und Weise, wie die Flüchtlingsheime betrieben werden, nicht unzufrieden sein. Der Einsatz privater Dienstleister folgt doch dem alten FDP-Motto "privat vor Staat".
Lindner: Es ist doch eine Karikatur, dass die FDP alles privatisieren will, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Bei hoheitlichen Aufgaben, die der Staat in private Hände legt, muss er natürlich einen klaren Rahmen vorgeben. Private Tätigkeit im Staatsauftrag muss unter staatlicher Aufsicht laufen. Die Landesregierung hatte leider keine klaren Regeln - und die nicht einmal ausreichend kontrolliert.
Sie haben also im Grundsatz nichts dagegen, wenn private Sicherheitsdienste in Flüchtlingsunterkünften für Ordnung sorgen?
Lindner: Nicht prinzipiell. Aber so, wie es in NRW gemacht worden ist, nämlich indem ein Sub-Sub-Unternehmer statt des Auftragnehmers tätig wird, war das falsch. Wenn auch die Qualitätsstandards nicht definiert und ausreichend geprüft werden und von den Bediensteten nicht einmal ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt wurde, dann ist das ein Versagen des Innenministers. Zur privaten Vergabe solcher Aufgaben sagen wir ja - aber unter staatlicher Aufsicht.
Zur Person
Der 1979 in Wermelskirchen geborene Christian Lindner löste 2013 Philipp Rösler als Bundeschef der Liberalen ab. Lindner, der in Bonn studierte, saß für die FDP im Bundestag und war Generalsekretär der Partei. 2012 kehrte er nach NRW zurück und führt in Düsseldorf nun Fraktion und Landespartei.