Untersuchungsausschuss zur Flut an der Ahr Zeugin über Ex-Landrat Pföhler: „Habe gebrochenen Menschen erlebt“

Update | Mainz · Wo war Jürgen Pföhler in der Flutnacht? Eine als Zeugin geladene enge Vertraute des früheren Landrats berichtet im Untersuchungsausschuss. Klar wird, dem Lagezentrum des Innenministeriums fehlten in der Katastrophennacht Informationen.

 Jürgen Pföhler (CDU), ehemaliger Landrat des Kreises Ahrweiler, wurde vergangene Woche als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Landtags Rheinland-Pfalz zur Flutkatastrophe gehört.

Jürgen Pföhler (CDU), ehemaliger Landrat des Kreises Ahrweiler, wurde vergangene Woche als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Landtags Rheinland-Pfalz zur Flutkatastrophe gehört.

Foto: dpa/Arne Dedert

Als das Landeskriminalamt vor einigen Monaten die Handy­daten des früheren Ahrweiler Landrats auswertete, stellten die Beamten fest, dass Jürgen Pföhler am Tag der Flut 13 Mal mit einem Kontakt telefonierte, der in seinem Handy unter „Nring“ abgespeichert war. Nur Pföhlers rechte Hand in der Kreisverwaltung, Erich Seul, hatte laut Handydaten an diesem Tag öfter mit dem damals noch amtierenden Landrat telefoniert.

Hinter „Nring“ verbirgt sich eine 71-jährige frühere Studiendirektorin aus Dernau, die CDU-Kreistagsmitglied ist und früher zehn Jahre lang Erste Kreisbeigeordnete war. Politische und private Kontakte habe sie zu Pföhler gehabt, erklärte sie. Auf die Frage von Untersuchungsausschuss-Chef Martin Haller (SPD), ob sie auch ein „romantisches Verhältnis“ zu dem ehemaligen Landrat gehabt habe, antwortete sie: „So hat es in der Zeitung gestanden. Ja.“

Die 71-Jährige, deren Name auf ihren Wunsch hin in diesem Bericht nicht genannt wird, erklärte zudem, dass Pföhler in der Flutnacht vor allem in seinem Haus in Bad Neuenahr-Ahrweiler war. Dies habe sie aber erst viel später erfahren. Bisher ist immer noch nicht geklärt, wo sich der damalige Landrat am 14. Juli aufgehalten hat. Sowohl Pföhler selbst, gegen den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Koblenz laufen, als auch seine Ehefrau hatten in der vorigen Woche von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Sie selbst sei an dem Abend gegen 21 Uhr ins Bett gegangen – nach dem letzten Telefonat mit Pföhler und in dem Bewusstsein „alles ist unter Kontrolle. Die Situation ist geregelt“, sagte „Nring“. Es habe in Dernau bis zu dem Zeitpunkt auch keine Hochwasser- oder Flutwarnung gegeben.

An die zahlreichen Telefonate könne sie sich „nicht wirklich erinnern“, wie sie sagte. Vielleicht sei es um private Dinge gegangen, um den vor der Flut für den 15. Juli beabsichtigten Besuch des damaligen Unions-Bundestagsfraktionschef Ralph Brinkhaus oder die für den 16. Juli geplante Kreistagssitzung. Sie wisse es nicht. „Ich habe versucht, mich zu erinnern, aber es ist alles durch das, was passiert ist, zugeschüttet“, sagte sie. In Dernau habe sie als eine von ganz wenigen Bürgerinnen, die von der Flut nicht betroffen war, intensiv im Krisenbüro mitgearbeitet und viel vom Leid der Flutopfer mitbekommen.

Die Nachricht, in der ihr Pföhler am späten Abend verzweifelt mitgeteilt hatte, dass er und seine Frau evakuiert werden müssten, habe sie erst am Tag danach gelesen. Die zweite Nachricht, dass das Haus geflutet worden sei, habe sie gar nicht bekommen. In Dernau habe es „vier oder sechs Wochen“ lang keinen Empfang gegeben. Die pensionierte Studiendirektorin berichtete, sie habe den damaligen Landrat eine Woche nach der Katastrophe bei einer CDU-Fraktionssitzung gesehen und „einen gebrochenen Menschen erlebt“. „Er war am Ende.“ Deshalb habe sie ihn auch nicht mehr nach der Flutnacht gefragt.

Innenminister Roger Lewentz rückt wieder in den Fokus

Was wusste Roger Lewentz wann über die Flutkatastrophe? War dem rheinland-pfälzischen Innenminister schon am Abend bekannt, wie dramatisch die Lage im Ahrtal war und noch werden würde? Er selbst hat Anfang April im Untersuchungsausschuss erklärt, dass die Technische Einsatzleitung (TEL) Ahrweiler die Lage als beherrschbar angesehen habe. Gegen 19.30 Uhr am 14. Juli, als er die TEL besuchte, sei man dort von einer prognostizierten Wasserhöhe von vier Metern ausgegangen. „Man hat sich auf ein starkes Hochwasser vorbereitet“, sagte Lewentz im April, eine Sturzflut sei aber kein Thema gewesen.

Der Journalist Willi Willig berichtete am Freitag im Untersuchungsausschuss von einem Gespräch mit Lewentz. Bei seiner Fahrt ins Flutgebiet habe sein 16-jähriger Sohn gegen 19.50 Uhr gesehen, dass der Innenminister auf der Gegenfahrbahn der Autobahn unterwegs war. Also habe er ihn angerufen. „Die Lage ist katastrophal“, habe ihm Lewentz gesagt. In Schuld sei ein Haus eingestürzt und der Campingplatz Stahlhütte bei Dorsel sei überflutet. Dort sei die Lage aber unter Kontrolle, alle Menschen seien gerettet.

Diese Informationen, die Lewentz wohl in der TEL bekommen hatte, habe er dann in seine Liveberichte am Abend eingebaut. Nachher stellte sich heraus, dass bei Dorsel sieben Menschen ums Leben kamen. Dass es diese Falschinformation gab, zeigt für den Freie-Wähler-Obmann Stephan Wefelscheid, dass die TEL „nicht im Bilde über die tatsächliche Lage war“.

Von einer sehr unklaren Lage am Abend des 14. Juli sprach Heiko Arnd, Leiter des polizeilichen Lagezentrums im Mainzer Innenministerium. Man sei von einem starken Hochwasser ausgegangen, habe aber nur punktuelle Informationen gehabt, zum Beispiel aus Dorsel oder Schuld. „Wir hatten ein Informationsdefizit in der Nacht“, sagte Arnd. Das Ausmaß der Kata­strophe habe er selbst weder am 14. noch am 15. Juli erfasst, „sondern erst in den darauffolgenden Tagen“.

In der Nacht habe man ständig versucht, diese Informationslücken zu schließen und regelmäßig mit der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion und den Polizeipräsidien Koblenz und Trier telefoniert. Arnd berichtete von einem Gespräch mit Lewentz gegen 0.45 Uhr. Da sei der Innenminister zwar über eingestürzte Häuser in Schuld informiert gewesen, es habe aber noch keine konkreten Hinweise auf Tote oder Verletzte gegeben. Er selbst habe zu dem Zeitpunkt versucht, bundesweit an Hubschrauber mit Winden ranzukommen, so Arnd.

   Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses Flut in Rheinland-Pfalz Martin Haller. (Archivfoto)

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses Flut in Rheinland-Pfalz Martin Haller. (Archivfoto)

Foto: Martin Gausmann

Markus Brugger, Arnds Kollege im Lagezentrum, ging nach eigener Aussage bis nach Mitternacht davon aus, dass der Einsatzschwerpunkt im Raum Trier lag. Was das Ahrtal anging, sei er „von einem Hochwasser ausgegangen“, wie er im Ausschuss sagte.

Bekannt war die Existenz einer großen Flutwelle an der Ahr der Polizei in Koblenz hingegen schon gegen 22 Uhr. „Da hatten wir keine Hochwasserlage mehr, da hatten wir eine Flutkatastrophe“, sagte Marita Simon von der Führungszentrale des Polizeipräsidiums Koblenz im Ausschuss. Sie sei um 22 Uhr mit den Worten begrüßt worden: „In Schuld sind gerade sechs Häuser von der Flutwelle weggerissen worden“, berichtete die 56-Jährige. Im Radio habe sie zuvor gehört, dass die Autobahn 61 gesperrt und eine Mauer zusammengebrochen war. „Wenn sechs Häuser weggerissen werden und man mit Toten und Verletzten rechnen muss, ist das für mich der Beginn einer Katastrophe.“

In der Integrierten Leitstelle in Koblenz sei ihr zudem gesagt worden: „Hier ist Land unter.“ Und: „Das ganze Ahrtal ist mehr oder weniger ein Schwerpunkt.“ Sie habe ständig in telefonischem Kontakt zur Leitstelle und zum Lagezentrum gestanden, sagte Simon.

Brugger berichtete, dass ihm Simon von den sechs eingestürzten Häusern in Schuld gegen 22.30 Uhr am Telefon berichtete. „Die ersten Eindrücke sind schnell geschildert“, sagte Brugger. Aber Valides komme in der Regel schriftlich – und dies sei aus Koblenz erst viel später gekommen. Ein Foto aus einem Hubschrauber, mit dem Simon auf das Ausmaß aufmerksam machen wollte, sei unscharf gewesen und habe ausgesehen „wie ein See, wo Hochhäuser drin standen“.

Hat man in Mainz trotz der dramatischen Schilderungen die Lage im Ahrtal nicht wahrgenommen? Lewentz hatte in seiner Vernehmung im April erklärt, gegen 23.45 Uhr habe er erste Bilder aus einem Polizeihubschrauber erhalten. Diese hätten auf „ein starkes Hochwasser“ an der Ahr hingedeutet, aber es sei keine Flutwelle erkennbar gewesen. Es ist wahrscheinlicher geworden, dass die Ausschussmitglieder den Innenminister noch einmal vorladen.

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