SMS-Warnung vor einer Katastrophe „Das hat Züge von Staatsversagen“

Interview | Bonn · Die Flutkatastrophe hat viele Opfer in der Region überrascht. Für einige Betroffene kam jede Warnung zu spät. Der Bonner Ingenieur und Erfinder der SMS Friedhelm Hillebrand sagt: Die Lösung lag seit Jahren auf dem Tisch und wurde nicht genutzt. Viele Menschen hätten gerettet werden können.

 Die Fluten an der Ahr haben Tod und Zerstörung über die Einwohner gebracht. Für viele Opfer kam jede Hilfe zu spät.

Die Fluten an der Ahr haben Tod und Zerstörung über die Einwohner gebracht. Für viele Opfer kam jede Hilfe zu spät.

Foto: Benjamin Westhoff

Als die Flut über die Region hereinbrach, kamen Warnungen für viele Menschen zu spät. Nun wird diskutiert, wie die Bevölkerung besser geschützt werden kann. In vielen Ländern sind Katastrophen-Warnungen per SMS aufs Handy längst üblich. Per sogenanntem Cell Broadcast werden Warnungen an alle Handys innerhalb einer Funkzelle verschickt. In Deutschland wird diese Möglichkeit bislang nicht genutzt. Friedhelm Hillebrand gilt als Erfinder der SMS und hat in den 1980er Jahren das Konzept dafür geschrieben. Der Bonner Ingenieur sagt: Die Lösung für Warnungen per SMS liegt längst fertig auf dem Tisch.

Die Flutkatastrophe hat vielen Menschen das Leben gekostet. Hätten Warnungen per SMS Leben retten können?

Friedhelm Hillebrand: Ja, natürlich. Per Cell Broadcast können Sie innerhalb von zehn Sekunden die gesamte Bevölkerung erreichen. Es ist eine sehr schnelle und elegante Lösung. Sie können damit bis zu 1395 Zeichen verschicken und dadurch sehr genau vor einer Gefahr warnen – etwa, dass eine riesige Flutwelle auf die Menschen zukommt und sie sofort höhere Orte aufsuchen sollen. Man hätte das System bereits vor zehn bis 15 Jahren in Deutschland implementieren können und hat es nicht getan.

Warum nicht?

Hillebrand: Da fragen Sie mich was. Sie finden mich sprachlos. Die Voraussetzungen wurden Anfang der 1990er Jahre geschaffen. Das Bundesamt für Katastrophenschutz ist vom Innenministerium damals aufgefordert worden, diese Lösung zu untersuchen. Aber es ist alles versickert. Für mich hat das Züge von Staatsversagen, Lethargie und Genügsamkeit und steht dem Wohl der Bevölkerung entgegen.

 SMS-Erfinder Friedhelm Hillebrand.

SMS-Erfinder Friedhelm Hillebrand.

Foto: Joerg Heupel

Die Behörden setzen auch auf Warnapps wie Katwarn und Nina. Welche Vorteile hat Cell Broadcast?

Hillebrand: Der Anwender muss dazu nichts installieren, sich nicht mit der Technik oder den Versionen einer App herumschlagen. Außerdem funktionieren Apps nur auf Smartphones. Per Cell Broadcast erreichen Sie auch alte Handys. Wer sich im Gefahrenbereich aufhält, bekommt eine Nachricht. Damit ist ein Alarmierungston und eine optische Warnung verbunden. Dort, wo es gefährlich wird, können sie die Menschen aufwecken und warnen. Ein weiterer Vorteil: Das System funktioniert auch, wenn das Funknetz überlastet ist. Ich verstehe nicht, warum man da nicht sofort zuschlägt, denn bessere Lösungen gibt es nicht. Ich halte das für fahrlässig.

Warum kommt nun Bewegung ins Thema?

Hillebrand: Wir haben es bei der Flutkatastrophe zum ersten Mal mit solch hohen Opferzahlen zu tun. Das hätte zu weiten Teilen vermieden werden können. Die Verantwortlichen sind sich bewusst, dass dies kein singuläres Ereignis war. Extreme Wetterereignisse häufen sich und wir müssen uns auf ungemütlichere Zeiten einstellen. Auch in der Bevölkerung gibt es Unruhe, sie will besser geschützt werden.

Innenminister Horst Seehofer hat auf eine laufende Machbarkeitsstudie verwiesen, einen Zeitplan zur Einführung gebe es noch nicht. Zudem sollen rechtliche Rahmenbedingungen geprüft werden wie der Datenschutz. Nachvollziehbar?

Hillebrand: Nein, das ist es nicht. Es braucht keine Machbarkeitsstudie, das läuft doch alles längst. Die Niederländer haben es vor unserer Haustüre bei mehreren Hochwassern erfolgreich eingesetzt. In den USA, Japan und vielen anderen asiatischen Ländern wird es genutzt. Aber in Deutschland bewegt sich immer noch nichts. Auf EU-Ebene sind alle Papiere im Projekt EU-Alert längst ausgearbeitet. Seit 2018 gibt es eine EU-Direktive an die Mitgliedsstaaten, Cell Broadcast einzusetzen. Zudem werden ohnehin keine zusätzlichen persönlichen Daten erhoben.

Woran hapert es hierzulande?

Hillebrand: Technisch ist es jedenfalls keine große Sache. Die Netzbetreiber müssen die Funktion vorhalten. Alles ist standardisiert. Es gibt auch keine technischen Probleme, die gelöst werden müssten. Die Verantwortlichen in den zuständigen Behörden haben das Thema über viele Jahre verschlafen. Ich würde mir nun wünschen, dass das Reden aufhört und das System endlich implementiert wird, damit die Bevölkerung besser geschützt ist.

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