Fragen und Antworten Die wichtigsten Regeln der Corona-Notbremse im Überblick

Berlin · Das Infektionsschutzgesetz zur Eindämmung der Corona-Pandemie hat den Bundestag passiert. Nun muss es am Donnerstag noch durch den Bundesrat, frühestens ab Samstag könnten die Beschlüsse greifen. Was bedeutet das?

 Abstimmung zur bundeseinheitlichen Corona-Notbremse: Bundeskanzlerin Angela Merkel wirft ihre Stimmkarte ein.

Abstimmung zur bundeseinheitlichen Corona-Notbremse: Bundeskanzlerin Angela Merkel wirft ihre Stimmkarte ein.

Foto: AP/Michael Sohn

Das Gesetz für eine Bundes-Notbremse gegen die dritte Corona-Welle ist vom Bundestag an diesem Mittwoch verabschiedet worden. Wichtige Fragen und Antworten:

■ Was wurde beschlossen?

Ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 in einem Landkreis tritt automatisch eine Ausgangssperre in Kraft, die ab 22.00 Uhr greift. Allerdings dürfen einzelne Personen von 22.00 Uhr bis 24.00 Uhr ihr Zuhause verlassen, etwa um spazieren zu gehen oder zu joggen. Ab Mitternacht gilt die Ausgangssperre bis 05.00 Uhr. Schulen und Kitas sollten nach der Vorlage der Regierung ab einer Inzidenz von 165 geschlossen werden. Zudem sollen Arbeitgeber zwei Schnelltests pro Woche anbieten. Die Änderungen gelten bis zum 30. Juni.

Wie lief die Debatte im Bundestag ab?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte, die Neuregelung sei „angemessen, verhältnismäßig und geeignet“, um die Pandemie einzudämmen. 5000 Menschen lägen derzeit mit Covid-19 auf den Intensivstationen – „Tendenz weiter steigend, bei sinkendem Alter der Patienten“, sagte Spahn. Jeder dritte Covid-19-Patient in den Kliniken sterbe – nicht nur auf den Intensivstationen. Patienten müssten in der dramatischen Lage in den Kliniken bereits verlegt, Nicht-Covid-Behandlungen verschoben werden. Die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus kritisierte hingegen, die vorgesehenen bundeseinheitlichen Ausgangssperren seien „keine geeignete Maßnahme“. Die FDP werde eine Verfassungsbeschwerde auf den Weg bringen, sollte die Ausgangssperre wie geplant kommen. Auch andere Abgeordnete planen, vor das Verfassungsgericht zu ziehen.

■ Was ist mit den Schulen?

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) verteidigte im Bundestag insbesondere die Sonderregelung für die Schulen, die erst ab einem Inzidenzwert von 165 geschlossen werden sollen. Die Kinder „haben es verdient, dass wir uns um sie kümmern“, sagte der Bundesfinanzminister. Deshalb sollten die Schulen als letztes geschlossen werden. Der Deutsche Lehrerverband forderte bessere Impfbedingungen für die Lehrer und eine bessere Ausstattung der Schulen mit Schnelltests. „Wir halten den Inzidenzwert von 165 an den Schulen für einseitig zu hoch, insbesondere wenn weitere Gesundheitsschutzmaßnahmen wie die Impfung von Lehrkräften und die Testpflicht in der Schule noch nicht umfassend umgesetzt worden sind“, sagte Lehrerverbands-Chef Heinz-Peter Meidinger. „Ich halte es für problematisch, jenseits der Empfehlungen von RKI und Gesundheitsbehörden neue Grenzwerte zu erfinden. Die Zahl 165 stammt ja nicht von Virologen, sondern von der Politik, so nach dem Motto, jetzt nehmen wir mal eine Zahl, wonach man zumindest die Hälfte der Schulen offenhalten kann“, sagte Meidinger.

■ Ab wann greift das Gesetz?

Die neuen Regelungen könnten frühestens ab diesem Samstag greifen. Bevor das geschehen kann, müssen sie am Donnerstag den Bundesrat passieren. Zudem muss Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gesetz unterzeichnen. Es ist offen, ob das am Donnerstag geschehen wird, weil das Gesetz – wie jedes andere auch – im Präsidialamt erst geprüft wird. Damit die Notbremse greift, muss die Sieben-Tage-Inzidenz an drei Tagen über 100 liegen. Diese drei Tage sollen nach dem jüngsten Entwurf nun auch schon die drei Tage unmittelbar vor Inkrafttreten des Gesetzes sein.

Was sagen die Ärzte?

Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund hält das Gesetz für nicht ausreichend. „Die Maßnahmen sind richtig, kommen aber deutlich zu spät und gehen in einzelnen Punkten nicht weit genug. Die Infektionsdynamik hätte schon früher gebrochen werden können“, sagte die Vorsitzende Susanne Johna unserer Redaktion. „Die Politik hat stattdessen viel Zeit verstreichen lassen, obwohl es gerade aus dem Bereich der Intensivmedizin deutliche Hilferufe gab und detaillierte Prognoserechnungen vorlagen“, kritisierte die Medizinerin. Jetzt sei das Personal in vielen Krankenhäusern „wieder extrem belastet und Kliniken kommen an Kapazitätsgrenzen, nicht nur bei Covid-19-Patienten“, betonte Johna. Sie frage sich schon, warum der Bund nicht schon viel früher seine Gesetzgebungskompetenz für den Infektionsschutz wahrgenommen habe. „Eine solche Krisenmedizin kann niemand wollen“, sagte Johna weiter.

Was passierte vor dem Reichstag?

Mehrere Tausend Menschen demonstrierten am Mittwoch im Berliner Regierungsviertel gegen die Corona-Beschränkungen. Nach Angaben eines Polizeisprechers versammelten sich auf der Straße des 17. Juni in Spitzenzeiten rund 8000 Demonstranten. Die Mehrzahl der Teilnehmer trug weder Mundschutz, noch hielten sich die Teilnehmer an den Mindestabstand. Deshalb wurde die bis 22 Uhr angemeldete Versammlung bereits gegen Mittag aufgelöst. Vereinzelt kam es zu Rangeleien.

Ist die Ministerpräsidentenkonferenz nun politisch erledigt?

Nein. Das Gremium, das es bereits seit 1954 als feste Einrichtung zur Koordinierung der Interessen von Bund und Ländern gibt, hatte in der Corona-Krise stark an Einfluss gewonnen. Als aber die Differenzen zwischen den Ländern und mit dem Bund immer größer wurden, gelang in der vergangenen Mammutsitzung nach 15 Stunden mit der Osterruhe ein Kompromiss, den Kanzlerin Angela Merkel kurz danach zurücknehmen musste. Aus mehreren Ländern hieß es, man brauche eine neue Form der Entscheidungsfindung, die Änderung des Infektionsschutzgesetzes erfolgte nun über das Parlament. Die Ministerpräsidentenkonferenz wird weiterhin ein wichtiges Gremium zur Koordinierung zwischen Bund und Ländern bleiben.

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