Daniel Cohn-Bendit wird 70 Jahre alt "Frankfurter, Europäer, Kosmopolit"
PARIS · Packt er es doch noch und überrascht einmal mehr alle Welt? Die Energie hätte er, die Beliebtheit auch - und zuzutrauen ist ihm ohnehin alles. Mit einem Augenzwinkern wird in Frankreich spekuliert, ob sich Daniel Cohn-Bendit zu einer Präsidentschaftskandidatur aufschwingen könnte, seit er angekündigt hat, die französische Nationalität zu beantragen - mit ihr könnte er theoretisch auch Staatschef werden
Dass der ewige Jungenhafte heute 70 Jahre alt wird und sich von der aktiven Politik verabschiedet hat, scheint da nicht zu stören. Als Präsident habe man doch kein Leben mehr, wandte Cohn-Bendit selbst immer ein. Dafür sei er viel zu hedonistisch, hänge an seinen Hobbys von Kino über Theater bis Fußball, brauche Zeit mit seinen Freunden, Frau und Sohn in Frankfurt. Mit der doppelten Staatsbürgerschaft wolle er nur sein Gefühl ausdrücken, Deutscher und Franzose zugleich zu sein.
Denn der Grüne gilt zwar als der bekannteste deutsch-französische Politiker - doch den französischen Pass hat er nicht, der ohnehin nicht in nationalen Grenzen denkt. Er fühle sich als "Frankfurter, Europäer, Kosmopolit". Cohn-Bendit sei "der einzige echte Europäer", den er kenne und der sich mit seiner ganzen Person für die europäische Idee engagiere, sagte Ex-Außenminister Joschka Fischer von seinem alten Weggefährten. "Auch wenn er beim Fußball etwas mehr auf der französischen Seite steht."
Schon durch seine Familiengeschichte hat Cohn-Bendit in jedem Land ein Bein. Seine jüdischen Eltern flohen nach Hitlers Machtergreifung 1933 von Deutschland nach Frankreich. Cohn-Bendit kam im südfranzösischen Montauban zur Welt, ging erst als Jugendlicher mit seinen Eltern wieder nach Frankfurt, die früh starben. Als 18-jähriger Student wurde er einer der Rädelsführer der 68er-Revolte in Paris und sogar vom Präsidenten Charles de Gaulle nach Deutschland ausgewiesen. Dort gehörte er der Sponti-Szene an, gründete das linke Stadtmagazin "Pflasterstrand" und arbeitete als Erzieher in einem Kinderladen.
1984 Mitglied wurde er der Grünen und beriet als "Realo" Joschka Fischer, den ersten grünen Umweltminister von Hessen. Als Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten schuf Cohn-Bendit die von Migranten gewählte Kommunale Ausländervertretung. Seit 1994 ließ er sich abwechselnd in Deutschland und Frankreich ins Europäische Parlament wählen, wo er zuletzt Co-Vorsitzender der Grünen-Fraktion war und 2014 seinen bewegenden Abschied gab. Seither ist Kommentator beim Radiosender "Europe 1".
In Erinnerung bleibt "Dany, der Rote" als überzeugter und überzeugender Redner, das Gegenteil vom Bild des grauen Brüsseler Technokraten. Aber er spaltete auch - die einen kritisieren ihn als profilierungssüchtigen Selbstdarsteller, die anderen rühmen ihn als Europa-Enthusiasten. So kann er mit politischen Gegnern gemeinsame Sache machen. Oder sich gegen die eigene Parteifamilie wenden, wie beim Eintreten für ein militärisches Eingreifen 1993 im ehemaligen Jugoslawien oder dem Bruch mit den französischen Grünen, denen er bei der Europawahl 2009 zu ihrem größten Triumph verholfen hat: Von den 16,3 Prozent, die sie damals erreichten, sind sie heute weit entfernt.
Er sei "total verdutzt vom Archaismus der französischen Politik", erklärt Cohn-Bendit. Doch selbst wenn er Franzose wird, bleiben Argumente, warum er nicht als Präsident kandidiere, um das zu ändern: "Ich habe nicht einmal eine Krawatte."